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Bilder zweier Demos: Einmal gegen, einmal für die Politik Viktor Orbáns

ATTILA KISBENEDEK / APA

So sehen zwei junge Ungarn die Entwicklung in ihrem Land

Wir haben den Dichter und Software-Entwickler Zoltán Lesi und den Mitarbeiter des Kabinetts für auswärtige Angelegenheiten der Fidesz-Jugendorganisation Fidelitas, Patrik Török, gebeten uns zu helfen, die Situation in Ungarn besser zu verstehen.

Von Lukas Tagwerker

Bei den Parlamentswahlen haben 2,6 Millionen UngarInnen ihre Stimme Viktor Orbán gegeben, der seit 2010 an der Macht ist. Das sind rund ein Drittel aller Wahlberechtigten und 49% der abgegebenen Stimmen (bei der Wahlbeteiligung von 70%). Das mehrheitsfreundliche ungarische Wahlrecht macht daraus 66% der Parlamentssitze, also eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Seit den Wahlen sind Zigtausende Menschen gegen die nationalkonservative Fidesz-Regierung in Budapest auf die Straße gegangen und haben „Wir sind die Mehrheit!“ gerufen. Der US-Politikwissenschafter Daniel Kelemen sagte bereits vor der Wahl : „Ungarn ist keine Demokratie mehr.“

Eine schwarze Liste, auf der sich ZDF-Journalisten und österreichische Politikwissenschafter wiederfinden; die letzte oppositionelle Tageszeitung, die wenige Tage nach der Wahl geschlossen wird, nachdem sie zuvor über einen Geldwäscheskandal berichtet hat; und ein geplantes Gesetz, das die Vereins-, Informations- und Bewegungsfreiheit auch ungarischer Staatsbürger drastisch einschränken soll: Die Richtung, in die sich Ungarn entwickelt, versetzt das EU-Parlament in Alarmstimmung.

Wir haben den Dichter und Software-Entwickler Zoltán Lesi und den Mitarbeiter des Kabinetts für auswärtige Angelegenheiten der Fidesz-Jugendorganisation Fidelitas, Patrik Török, gebeten uns zu helfen, die Situation in Ungarn besser zu verstehen.

Was sind die größten Probleme in Ungarn?

Zoltan Lesi: Große Armut: Ein Großteil der Gesellschaft lebt von weniger als 300 Euro monatlich. Lies das Interview mit Gábor Iványi im Standard und du wirst die Lage der Menschen verstehen.

Mangel an sozialem Vertrauen: Es passiert regelmäßig, dass die Menschen ungern Verantwortung übernehmen. Im Kleinen: Der Nachbar reißt die gemeinsame Wand durch und sagt nur, dass das Haus sowieso alt ist. Im Großen: die fehlende politische Verantwortung für die Verbrechen des Holocaust oder die Opfer des Kommunismus. Korruption ist allgegenwärtig.

Depression und Selbstmord: Ungarn hat die höchste Selbstmordrate in Europa. Man spürt oft eine tiefe Traurigkeit. Seit der Hasskampagne gegen Migranten und die Central European University wird man auf der Straße immer öfter von irgendwelchen Menschen verbal angegriffen - wenn man „zu links“ aussieht zum Beispiel.

Patrik Török: Die Einwanderung ist ein Thema, welches die europäische Agenda für die nächsten Jahrzehnte prägen wird, wir werden ernsthafte Hürden bewältigen müssen. Eines der größten Herausforderungen wird es sein, gegen die aufgezwungene Einwanderung zu kämpfen, da die Einwanderungspolitik zu den nationalen Kompetenzbereichen gehört.

Weiterhin ist ein stabiles Wirtschaftswachstum von höchster Bedeutung. Nur durch ein starkes Wirtschaftswachstum können Einkommen erhöht werden, nur durch ein starkes Wirtschaftswachstum ist es erst möglich, die Lebensbedingungen zu verbessern oder effektiv gegen Arbeitslosigkeit anzukämpfen. All dies ist möglich, sodass gleichzeitig die Staatsverschuldung nicht steigt.

Das Problem des demografischen Wandels betrifft nicht nur Ungarn, sondern ganz Europa. Eine geringe Geburtenrate stellt eine Gefahr für die Zukunft dar. Unsere Antwort besteht aus der Stärkung der Familien und der Unterstützung derjenigen, die eine Familie gründen wollen.

Was wären mögliche Lösungsansätze für diese Probleme?

Patrik Török

Patrik Török

Patrik Török: Ich bin mit meinen eigenen Zielen im Klaren, ich habe ein konkretes Bild von dem, was ich in meinem Leben erreichen will. Die längste Erfahrung außerhalb Ungarns: 14 Jahre, die ich in Linz verbracht habe. Literatur: ich würde die Werke von György Méhes empfehlen, Film: „Son of Saul“, der 2016 den Oskar als bester fremdsprachiger Film gewann.

Patrik Török: Bezüglich Migration müssen wir weiterhin die nationalen Interessen vertreten, die mit einer forcierten Einwanderung nicht vereinbar sind. Es widerspricht dem Willen der Wähler, welcher durch den erdrutschartigen Wahlerfolg der Regierungspartei Fidesz zum Ausdruck gebracht worden ist, neben einer sehr hohen Wahlbeteiligung. Die Wurzeln der Krise müssen bestimmt, die Probleme nicht nach Europa importiert, sondern vor Ort behandelt werden, dort , wo sie entstanden sind. Um dies zu erreichen, bedarf es globaler Zusammenarbeit.

Die ungarische Wirtschaft befindet sich bereits seit mehreren Jahren auf einem Wachstumskurs. Dies wird von anerkannten internationalen Organisationen, z.B. Weltbank und IMF, bestätigt. Das ungarische Wirtschaftswachstum ist nunmehr stärker als der EU Durchschnitt, wovon die gesamte ungarische Bevölkerung profitiert. Die Einkommen steigen, der Konsum steigt, die Steuereinnahmen des Staates nehmen zu, Steuererleichterungen sind möglich. Diese Wirtschaftspolitik muss genauso weitergeführt werden, die Ergebnisse der letzten Jahre bestätigen dies.

Der ungarische Standpunkt ist klar und eindeutig: Der demographische Wandel kann nicht durch Einwanderung gelöst werden, sondern nur mithilfe einer familienfreundlichen Politik. Genau das geschieht in Ungarn, welches bereits jetzt vielversprechende Ergebnisse aufzeigt: Die Geburtenrate im Jahr 2016 betrug 1,44, im Vergleich zu 1,23 im Jahr 2011. Diese familienfreundliche Politik muss weitergeführt werden. Den Menschen, die eine Familie gründen wollen, muss geholfen werden.

Zoltán Lesi

Ágnes Haraszti

Zoltan Lesi: Ich bin Dichter und Softwareentwickler, lebe seit sieben Jahren in Wien und halte mich regelmäßig in Ungarn auf. Ich finde die Musik von Péter Eötvös sehr ansprechend. Ich empfehle die Filme von Béla Tarr und die Bücher von Péter Nádas.

Zoltan Lesi: Es wäre wichtig, das Positive aufzuzeigen und der benachteiligten sozialen Schicht zu helfen. Ungarn braucht unabhängige Medien, Gerichtshöfe, ein gut finanziertes Gesundheitssystem und ein zukunftsorientiertes Bildungssystem.

Was sind Deiner Ansicht nach die wichtigsten Merkmale der Fidesz-Regierung?

Patrik Török: Sie setzt sich für die nationalen Interessen ein, egal was für einem starken Druck sie ausgesetzt sein mag. Die Regierung hält sich immer vor Augen, was getan werden muss, damit es den Menschen besser geht. Sie hält sich an ihre Wahlversprechen, wodurch sie Glaubwürdigkeit erlangt. Außerdem kommt sie ihren internationalen Pflichten nach, seien es gemeinsame Militärübungen im Rahmen der NATO oder sei es die Teilnahme an internationalen Missionen. Sie nimmt jede Kritik wahr, hört aufmerksam zu und verhält sich konstruktiv. Entscheidungen werden durchdacht getroffen.

Zoltan Lesi: Nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ die Spannungen in der Gesellschaft und der Opposition verschärfen, damit die Partei die Macht behalten kann.

Welche Regierungsmaßnahmen siehst du kritisch?

Zoltan Lesi: Fidesz hat die sozialen Schwächen in der Gesellschaft gut identifiziert und nutzt diese für persönliche Vorteile. Viktor Orbán baut ein autokratisches System in Ungarn weiter aus.

Patrik Török: Die infrastrukturellen Investitionen der Großstädte und der Städte mit Komitatsrecht wurden in den letzten Jahren fast vollständig vollzogen. Ein wichtiges Ziel, nämlich, dass das Autobahnnetz nunmehr alle Staatsgrenzen erreicht, wurde erreicht. Jedoch müssen die bereits begonnenen Programme fortgesetzt werden, damit die Bürger, die in kleineren Städten und Dörfern wohnen, von den positiven Effekten ebenso profitieren. Zum Glück ist der Regierungswille gegeben.

Wo siehst Du Deine persönliche Zukunft?

Zoltan Lesi: Mir ist es wichtig, kulturelle Brücken zwischen Ungarn und Österreich (und mit anderen Ländern) aufzubauen.

Patrik Török: Aufgrund meiner Vergangenheit würde ich später aktiv an der Aufrechterhaltung, Verbesserung der deutsch-ungarischen, österreichisch-ungarischen Beziehungen teilnehmen.

Was für eine Rolle sollte Ungarn in der Europäischen Union spielen?

Zoltan Lesi: Ungarn könnte eine positive Rolle in der Europäischen Union haben, um die ökonomische Spaltung zu überwinden. Ein gemeinsames Lohnniveau in der EU ist das Ziel. Das „Ausnutzen“ der osteuropäischen Länder bewirkt, dass diese große Armut weiter bestehen bleibt.

Patrik Török: In den letzten Jahren ist in bestimmen Bereichen ein tiefer Spalt zwischen den EU-Bürokraten und den Nationalstaaten entstanden. Die Visegrád Staaten bilden eine starke Gruppe, in der Ungarn einen wesentlichen Platz einnimmt. Ungarns Aufgabe könnte darin bestehen, die Aufmerksamkeit auf die aktuellen Probleme und Fehlentwicklungen der Europäischen Union zu ziehen und gleichzeitig Lösungsvorschläge auf den Tisch zu legen. Ungarn ist Mitglied der EU, und ein starkes Ungarn kann es nur bei einer starken EU geben. Weiterhin ist es wichtig, dass Ungarn dank der starken Wirtschaft zu einem starken EU-Wirtschaftswachstum beiträgt, damit die Europäische Union wieder den Platz in der globalen Welt einnimmt, den sie einmal hatte.

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