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Kathrin Weßling

Melanie Hauke

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Selbstoptimierung, die weh tut

„Es ist nicht geil zu sagen: Ich bin so gestresst.“ Kathrin Weßling schreibt einen Roman über Selbstoptimierung in und nach der Arbeit.

Von Zita Bereuter

„Super, und dir?“ ist die Antwort der Erzählerin Marlene Beckmann, wenn sie gefragt wird, wie es ihr geht. Eine Antwort, die sie gibt, weil sie von ihr erwartet wird. Dazu postet die 31-jährige Social Media Managerin auch gern lachende Selfies von ihrem Volontariat in einem großen Konzern – von wegen, wie super das alles ist:

"Als ‚Stimmung‘ wähle ich ‚motiviert‘, überlege es mir aber dann noch mal anders, denn das hier ist doch einer der besten Tage meines Lebens, ich bin doch jetzt eine von denen, die es ‚geschafft‘ haben, also klicke ich auf ‚glücklich‘, denn ‚glücklich‘ muss ich sein und genau das sollen alle sehen.“

Natürlich auch nur, weil das von ihr erwartet wird. Bis sie unter der Arbeit einbricht. Keinen Urlaub bekommt. Nicht mit ihrem Freund verreisen kann. Der alleine geht, sie ihren Dealer besucht. Und alles erst recht entgleitet.

„Die Kantine ist der größte Konferenzraum in einem Unternehmen. So ist das jedenfalls bei uns. Es ist nicht bloß eine Kantine, es ist ein Laufsteg und ein Raum voller Aussagen: Das ist meine Stellung, das ist mein Gehalt, das sind meine Kollegen und das fasst zusammen, wie geil ich bin. Und genau deshalb hasse ich sie sehr. Ich hasse die kleinen Tische, auf denen für die Tablets nicht genug Platz ist. Ich hasse das Anstehen, den Small-Talk in der Schlange vor der Essensausgabe. Ich hasse die anderen, ich hasse mich. Und ich hasse das Essen. Das Essen, das man runterwürgt, während man eine Präsentation hält, die man selber ist.“

Buchcover Kathrin Weßling "Super und dir?"

Ullstein Verlag

Kathrin Weßling: Super, und dir? Ullstein 2018

Eine Präsentation, die kein Ende nimmt. Alles will die Protagonistin Marlene Beckmann perfekt machen. In der Arbeit wie nach der Arbeit. Denn Privatleben gibt es für sie längst nicht mehr. Damit beschreibt die Autorin Kathrin Weßling die für viele gegenwärtige Arbeitswelt, in der es immer noch kürzere, befristete Arbeitsverträge gibt und wo zwei Leute in direkter Konkurrenz in einem Volontariat oder Praktikum um eine Anstellung buhlen.
Das habe sie auch selbst mehrere Male erlebt, erzählt Kathrin Weßling.

Das größere Problem sieht sie allerdings darin, dass diese Arbeit in der Freizeit nicht aufhört. Auch da werde der Körper ständig verbessert. Den Höhepunkt dieser Entwicklung sieht Kathrin Weßling in Schlaf-Apps. Selbst das Schlafen soll noch verbessert werden. „Mit Apps und dem Internet können wir eine 24/7 Selbstoptimierungsarbeitsmaschine betreiben – das ist definitiv etwas, was nicht immer so war.“

Marlene Beckmann nervt

Marlene Beckmann wächst einem nicht ans Herz. Kathrin Weßling beschreibt das Leben, die Arbeitswelt und den Druck, unter dem Marlene Beckmann langsam zerbricht, so radikal und schonungslos, dass einem selbst beim Lesen die Luft knapp werden kann. Kathrin Weßling ist es beim Schreiben nicht viel anders gegangen. „Für mich bedeutet gutes Schreiben, dass man sich quält und an so Punkte geht, wo es echt weh tut. Das Buch hat auf jeden Fall weh getan.“

Kathrin Weßling ist Autorin und Social-Media Spezialistin. Sie hat in „drüberleben“ über ihre Depressionen gebloggt und darüber ihren Roman „Drüberleben. Depressionen sind doch kein Grund, traurig zu sein.“ geschrieben. 2015 erschienen Kurzgeschichten über Liebeskummer unter „Morgen ist es vorbei“. 2016 hat sie nach dem Terroranschlag in Brüssel #aufdieliebe initiiert.

Besonders die Dialoge und Gedanken von Marlene Beckmann sind gelungen. Das liegt auch an den Schreibumständen, erklärt Kathrin Weßling. Ihr Hauptjob sei es ja nicht, Bücher zu schreiben. „Aber wenn, dann total bulimisch. Ich mach mir voll den geilen Plan und dann halte ich den am ersten Tag ein. Und am zweiten noch. Und dann hör ich auf und krieg ein megaschlechtes Gewissen und mach erstmal vier Tage gar nichts, weil ich so wütend auf mich bin. Und dann fang ich an und mach alles, was ich schaffen wollte, in einer Nacht. Und dadurch entstehen auch diese schnellen Dialoge. Das ist ja nichts, was man so ganz langsam über Tage hinweg schreiben kann, sondern das ist ja sehr stakkatohaft und schnell.“

1. Auflage nach 3 Tagen ausverkauft

Kathrin Weßling hat den Roman geschrieben, „weil das für mich symptomatisch war für ganz viele Menschen, die in das Berufsleben einsteigen und sich ganz lange darauf auch vorbereitet haben, sich mega gefreut haben und dachten: ‚So, jetzt geht’s endlich los‘ und dann wahnsinnig enttäuscht sind, weil sie einfach unglaublich viel arbeiten müssen, unglaublich wenig Anerkennung dafür erfahren und gleichzeitig das Alter losgeht, in dem sie sich auch in ihrem Privatleben die ganze Zeit optimieren. Also eigentlich doppelt und dreifacher Druck die ganze Zeit entsteht.“

Damit hat sie wohl sehr viele angesprochen. Die erste Auflage war nach nur drei Tagen ausverkauft. Natürlich gebe es Leute, die mit ihrem 60-70-Stundenjob glücklich sind. Täglich bekomme Kathrin Weßling seither aber unzählige Nachrichten von Leuten, die ihr mitteilen, dass sie ihre Arbeits- und Lebenssituation neu überdenken und sich fragen, „wie sie mit sich umgehen und mit ihrem Körper, und wie sie immer so tun, als wäre alles immer so geil und so einfach“.

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