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Thierry Robin / Fabien Nury / Splitter Verlag

Russische Geschichte in Comicform

Es ist nicht immer leicht einen Spagat zwischen realer Geschichte und einer tatsächlich guten Erzählung ohne Faktenfriedhof zu schaffen. Die beiden Comicbücher „Ikon“ und „The Death of Stalin“ versuchen das auf unterschiedliche Weise.

Von Paul Pant

Eine künstlerische Näherung einschneidender historischer Ereignisse, die sich im kollektiven Gedächtnis festgekrallt haben, bringt oft den nötigen Hauch einer Erleichterung. So auch bei zwei bemerkenswerten Comics, „Ikon“ und „The Death of Stalin“ die sich jeweils an einer bedeutenden Begebenheit des 20. Jahrhunderts abarbeiten, die beide in Russland, bzw. der Sowjetunion stattgefunden haben.

Die Ermordung der Zarenfamilie als Ikonen

„Ikon“ vom Hamburger Simon Schwartz zeichnet die seismographischen Verwirrungen nach, die auf die Ermordung der Zarenfamilie durch die Bolschewiki in der Nacht von 16. auf 17. Juli 1918 gefolgt sind.

Bilder aus Simon Schwarz' Comic "Ikon"

Simon Schwarz / Avant Verlag

„Ikon“ von Simon Schwartz ist im Avant Verlag erschienen. Eine Lesprobe zum Comic gibt’s hier

„Ikon“ ist ein vielschichtiger Comic. Mehrere Geschichten werden darin ineinander verwoben, eingebettet in die bruchstückhaften Erzählungen über die Ermordung der russischen Zarenfamilie.

Gleb Botkin ist einer der beiden Hauptprotagonisten in der Geschichte. Er ist der Sohn des Leibarztes des Zaren. Die zweite Hauptdarstellerin ist eine psychisch kranke Hochstaplerin, die sich als Großfürstin Anastasia ausgibt, eine Tochter des Zaren, über die in der Zwischenkriegszeit gemutmaßt wurde, sie hätte das Massaker an der Zarenfamilie und deren loyalen Gefolgsleuten überlebt.

In „Ikon“ verschwimmen Fakt und Fiktion, Vergangenheit und Gegenwart. Dazwischen gepackt wird obendrauf noch ein historischer Abriss der russischen Ikonenmalerei. Das alles ist vielleicht verwirrend und alles andere als leichte Kost. Trotz der vielen Zeitsprünge und Brüche bahnt sich aber durch das dichte Gewirr eine Erzählung. Dass man sich als LeserIn darin nicht verliert, ist vor allem ein Verdienst der fesselnden Tuschezeichnungen von Schwartz, in denen mit der Ästhetik von Siebdruck gespielt wird. Farbe braucht Schwartz keine.

Bilder aus Simon Schwarz' Comic "Ikon"

Simon Schwarz / Avant Verlag

Bitterböser schwarzer Humor um eine dunkle Episode der Geschichte

„The Death of Stalin“ des französischen Autors Fabien Nury und des Zeichners Thierry Robin nähert sich dann einem Ereignis an, dass im Nachfolgestaat des Zarenreichs stattfindet. Mit schwarzem Humor und bitterbösem Blick werden die Legenden ausgeleuchtet, die sich um den Tod des sowjetischen Diktators Stalin am 5. März 1953 ranken.

Bilder aus dem Comic "The Death of Stalin"

Thierry Robin / Fabien Nury / Splitter Verlag

„The Death of Stalin. Eine wahre Geschichte… auf sowjetische Art“ von Fabien Nury und Thierry Robin ist in der Übersetzung von Harald Sachse im Splitter Verlag erschienen. Eine Leseprobe zum Comic gibt’s hier

Fast wäre „The Death of Stalin” am erweiterten Publikumskreis vorbei geschrammt. Aber das Gute setzt sich am Ende doch immer durch. Bereits im Jahr 2010 haben die beiden Franzosen Fabien Nury und Thierry Robin („China Rot“) das Comicbuch herausgebracht. Sieben lange Jahre hat es gedauert, bis die danach schreiende Verfilmung endlich auf der Leinwand flimmerte, mit dem wunderbaren Steve Buscemi als Nikita Khrushchev und Jason Isaacs als Georgy Zhukov.

Ausgangspunkt in der Filmadaption wie im Comic ist – wie der Titel sagt – der Tod des Diktators Stalin. Das ganze Land lebt im Schrecken vor Stalin, inklusive seiner engster Vertrauter und der Sowiet-Regierung. Aus der fortwährenden Lähmung und der Angst auch über Stalins Tod hinaus entspinnt sich ein grotesker Machtkampf, in dessen Mittelpunkt der brutale Geheimdienstchef Berija steht.

„The Death of Stalin“ gleicht einer bitterbösen Persiflage eines Mafiafilms, dem der Pate abhandengekommen ist. Der gezeichnete Tod des Josef Wissarionowitsch Stalin ist eine Meisterleistung von Nury und Robin und näher dran an den Ereignissen, als es der reale Sozialismus vielleicht je an seiner Utopie gewesen ist.

Jahrestags-Publikationen sind heikel

Die Hinrichtung der Zarenfamilie jährt sich zum 100. Mal, der natürliche Tod Stalins zum 65. Mal. Zwei gute Gründe für eine neuerliche Aufarbeitung auch in Comicform. Das mit den Gedenk-Jahrestagen ist aber immer eine heikle Sache, die, wie es scheint, manchmal mehr über die aktuellen Verhältnisse aussagt, als über vergangene Ereignisse. Hier, wie drüben, wobei mit drüben, die russische Seite unseres Europas gemeint ist. Auch wenn das im aktuellen politischen Diskurs nicht so gerne gehört wird. Es ist nun mal eine eng verwobene Geschichte diesseits und jenseits des Urals, gespickt mit unzähligen Fakten, Daten und Aufzeichnungen emsiger Chronisten des 20. Jahrhunderts.

Bilder aus dem Comic "The Death of Stalin"

Thierry Robin / Fabien Nury / Splitter Verlag

Es ist also kein leichtes Unterfangen, das man sich darin nicht vollständig verliert und eine spannende Geschichte rausschält. Sowohl Schwartz, als auch Nury und Robin ist das mit eindrucksvollen Bildern gelungen. „Ikon“ sieht man noch mehr die verlegerischen Begierden des etablierten Genres „Graphic Novels“ an. Beide Comicbücher schaffen aber den bemerkenswerten Spagat zwischen den Geschichten, die auf realen Ereignissen basieren und einer tatsächlich guten Erzählung ohne Faktenfriedhof.

Historische Fakten und Brüche in der Erzählstruktur werden oftmals als langweiliges Stilmittel eingebaut, damit der Verdacht des Trivialen abgeschüttelt wird, das Comics noch immer anhaftet. Das Comicbuch von Simon Schwartz hätte das nicht notwendig gehabt. „The Death of Stalin“ gelingt das im direkten Vergleich in Perfektion, bei „Ikon“ leidet die Geschichte von Gleb Botkin ein wenig, man verspürt den Drang, mehr von seiner Geschichte zu erfahren.

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