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Arctic Monkeys

Zackery Michael

Lounge-Pop für das Hotel am Mond

Nach fünf Jahren sind die Arctic Monkeys zurück mit dem Album „Tranquility Base Hotel + Casino“. Nach den bisherigen großen Erfolgen scheinen der Band die Charts diesmal egal zu sein. Sie haben sich einen komplett anderen Sound gegeben.

Von Eva Umbauer

Alex Turner von den Arctic Monkeys trägt nun Bart - Knebelbart, um genau zu sein. Passt gut zum Sound-Update dieser Band, die sich zu Beginn der Nuller Jahre in Sheffield zusammengetan hat und die im Laufe der Zeit mit Songs wie „I Bet You Look Good On The Dancefloor“, „Crying Lightning“ oder „Do I Wanna Know“ zur wohl bedeutendsten Band ihrer Generation geworden ist.

Fünf Jahre sind seit dem letzten Album der Arctic Monkeys vergangen. „AM“ verkaufte sich sensationell gut und toppte die bisherigen Longplayer der Band aus der britischen Stadt Sheffield noch einmal. Aber auch sonst jede Platte eine Nummer Eins, zuhause in Großbritannien sowieso, und auch darüber hinaus gab es viel Applaus für das Gitarrenpop-Quartett, das alles kann, vom Britpop bis zum ‚Schweine‘-Rock.

Arctic Monkeys

Zackery Michael

Jetzt sind die Arctic Monkeys wohl beim ‚Lounge‘-Pop angelangt, falls man ihr neues Album überhaupt kategorisieren kann. „I just wanted to be one of the Strokes, now look at the mess you made me make“, kokettiert Alex Turner gleich im ersten Song am neuen Album; eine Zeile aus „Star Treatment“, die fortan wohl in jeder Rezension zur neuen Arctic-Monkeys-Platte zitiert werden wird. Der Song hat einen tollen Bass, das Klavier kommt gleich vor, und die Gitarre steigt erst später ein.

Wer „you“ ist in dieser Textzeile, also wer verantwortlich ist für den „mess“, den Alex Turner da nun künstlerisch kreiert, ist nicht klar. All die Fans, die immer mehr und Neues von Alex und seiner Band hören wollen? Oder handelt es sich vielleicht um das Piano, das „schuld“ ist am - verspielten - „Durcheinander“ auf dem neuen Album der Arctic Monkeys? Auf das Klavier würde so manches hinweisen, es ist schließlich ziemlich bedeutend für die neuen Songs der britischen Band.

Vor zwei Jahren feierte Alex Turner seinen 30. Geburtstag, und aus diesem Anlass schenkte ihm sein Manager einen Konzertflügel, und zwar einen ganz besonderen: ein Sammlerstück vom US-Hersteller Steinway. Und weil Alex Turner ohnehin gerade ein wenig ratlos war, was mögliche neue Songs mit den Arctic Monkeys betraf, „klimperte“ er ein wenig auf diesem Instrument herum. Das war bereits der Grundstein zum Album „Tranquility Base Hotel + Casino“.

Zurück zum Klavier

Alex Turner hat als Kind in Sheffield zwar Klavierspielen gelernt, aber er mochte es nicht wirklich, weil er immer das Gefühl hatte, dass er darauf kaum etwas spielen kann. Im Gegensatz zur Gitarre, mit der Alex Turner sofort prächtig harmonierte.

Dass er nun zum Piano zurückkehrt, freute ihn umso mehr. Es schien der richtige Zeitpunkt zu sein. Alte Platten fielen Alex Turner ein, die er als Kind gehört hatte, als sein Vater sie zuhause auflegte: Jazziges war da dabei, Musik von Radioshows, „croonende“ Entertainer, Loungiges, Altes, was man heute als „Easy Listening“ bezeichnen würde.

Das alles fiel Alex Turner ein, als er so in seinem Klavierzimmer in Los Angeles, wo er heute meist lebt, saß und nachdachte. Dem Gesangsstil des „Crooners“ hatte er zuletzt schon bei seinem Side-Project Last Shadow Puppets - zusammen mit dem englischen Musiker Miles Kane - gefrönt.

Das „Crooning“ bezeichnet einen in den Zwanziger Jahren mit der Entwicklung des Mikrofons entstandenen Gesangsstil der populären Musik, dessen vorwiegend männliche Vertreter Crooner genannt werden. Das Crooning zeichnet sich durch die Intimität und Wärme der Stimme aus. Bekannte Vertreter dieses Stils sind Bing Crosby, Frank Sinatra oder der Franzose Charles Aznavour.

Musikalische Einflüsse

Letzteren scheint Alex Turner viel gehört zu haben, als das neue Album der Arctic Monkeys entstand. Zumindest singt bzw. spricht Alex Turner bei manchen der Songs so wie er. Außerdem dürfte er einen französischen Klassiker der Popgeschichte gehört haben, nämlich „Histoire de Melody Nelson“ des Pop-Schwergewichts Serge Gainsbourg. Zumindest erinnern daran die wunderbar monotonen Grooves, die es bisweilen in den neuen Songs der Arctic Monkeys gibt.

Toll auch die Sprechgesangs-Mantras von Alex Turner beim Song „American Sports“. Was toll ist kann aber auch durchaus nicht unanstrengend sein. So braucht das neue Album der Arctic Monkeys durchaus etwas Gewöhnungszeit, ein Sich-Einarbeiten in die Songs mit all ihren Details wie eine Orgel, Synthies, Pauken, Vibraphon oder Glockenspiel. Der Rock´n´Roll, der straight in Ohr, Herz und Beine geht, macht hier etwas Pause, obwohl einen die Beatles-artigen Harmonien bei „Four Out Of Five“ gleich packen; sie erinnern an die Last Shadow Puppets, dieses, wie gesagt, Nebenprojekt von Alex Turner, das ihn mehr prägte, als man angenommen hätte.

Alex Turner hatte erst das Gefühl, er würde ein Soloalbum machen. Denn er wollte die Songs, die er angedacht hatte, seinen Bandkollegen nicht zumuten. Aber als dann Gitarrist Jamie Cook von England nach Los Angeles kam und Alex Turner ihm ein paar Ideen vorspielte, war Jamie absolut nicht abgeneigt. Auch wenn die neuen Songs bedeuteten, er würde sich mit seiner Gitarre zurücknehmen müssen.

No problem, konstatierte Jamie Cook, und Alex Turner fiel ein Stein vom Herzen, als ihm auch Bassist Nick O´Malley sagte, dass er durchaus etwas mit der neuen Richtung anfangen könne. Ja, und dann war noch Matt Helders, der mit seinem großen Drumming samt HipHop-Einflüssen so wichtig ist für die Band - auch er war d´accord mit den Ideen, die Alex Turner hatte. Auch wenn es diesmal etwas weniger um ihn gehen würde, sondern darum, einfach diese Songs zu spielen.

Alle vier Mitglieder der Arctic Monkeys mögen sich, nach wie vor, und darum war es Alex Turner umso wichtiger, die neuen Songs wieder mit seinen Band-Mates zu machen und doch nicht als Solo-Album.

Tranquility Base

Die US-Band Styx - großer bombastischer Siebziger Jahre Rock - wusste schon in einem ihrer Songs: „All roads lead to Tranquility Base“. Und auch Alex Turner beschäftigte sich zuletzt mit dem Mond, der ersten Mondlandung und mit der Frage, ob es einmal Leben auf dem Mond geben wird, oder, ja, warum nicht, Urlaub auf dem Mond. Also baut er uns ein Hotel auf dem Mond, ein Casino setzt er gleich daneben. Wenn schon, denn schon.

Albumcover: Arctic Monkeys "Tranquility Base Hotel & Casino "

Domino Records

„Tranquility Base Hotel + Casino“ von den Arctic Monkeys ist am 11.Mai 2018 bei Domino Records in London erschienen.

„Science Fiction“ nennt Alex Turner einen der neuen Arctic Monkeys Songs und einen anderen eben „Tranquility Base Hotel + Casino“. Die „Tranquility Base“ ist jene Landestelle der ersten bemannten Mondfähre 1969 im „Mare Tranquilitatis“; diese lateinische Bezeichnung steht für das „Meer der Ruhe“, ein Mondmeer. Also eine Tiefebene auf dem Mond, den sich Alex Turner eben als eine mögliche zukünftige Ferienoase vorstellt. Ein Traum, der aber auch ein Albtraum werden könnte. Immer höher, weiter, schneller, immer mehr. Aber vielleicht wird es gut - Alex Turner sitzt jedenfalls dort auf dem Mond in der Hotellobby am Piano und spielt für uns.

Golden Trunks

Weitere Themen am neuen Album der Arctic Monkeys sind Technologie und ihr Einfluss auf unseren Alltag - etwa im Song „The World´s First Ever Monster Truck Front Flip“, der mit an die Beach Boys erinnernden Chöre daherkommt. Und, ja, auch Alex Turner kommt an Donald Trump nicht vorbei und singt in „Golden Trunks“ die Zeile „the leader of the free world reminds you of a wrestler wearing tight golden trunks“. Das Wort „trunks“ heißt Badehose, Turnhose, Sport-Shorts. Golden ist die kurze Sport-Short von Donald, und etwas eng sitzt sie. Man muss schließlich Humor bewahren, um nicht zu verzweifeln.

Abenteuerlich und Bowie-esk ist das neue Album der Arctic Monkeys jedenfalls, auch ein Vergleich mit Radiohead darf sein. Die britischen Bandkollegen der Arctic Monkeys wandten sich nach „OK Computer“, auf „Kid A“, auch dem Piano zu.

Hier noch ein paar Pressestimmen zum neuen Album der Arctic Monkeys:

"It’s loaded with cultural references, which is something frontman Alex Turner had previously designated to his other projects, but are now placed deftly onto a layout that reads more like a short novel than any traditional songwriting structure.” (The Independent)

„The Arctic Monkeys’ Alex Turner is the Damon Albarn of his Brit-pop generation – the restless artist who refuses to sit still in one sound too long. The Monkeys have come a long way since the wordy, stungun punk rock of their 2005 hit ‚I Bet You Look Good on the Dance Floor.‘“ (Rolling Stone)

„It’s a strange, wonderful album, one that almost feels like Arctic Monkeys have embarked on their own full-band side-project.“ (Q Magazine)

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