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Bitcoin Pizza Day

„Kryptowährung gewinnt, wenn sie Freiheit bringt“

Der griechische Informatiker Andreas Antonopoulos findet Blockchains vor allem dann interessant, wenn sie neutral, öffentlich und zensurresistent sind. Auch im FM4-Interview zum „Bitcoin Pizza Day“ hält er ein Plädoyer für die Open Blockchain.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Jedes Jahr am 22. Mai feiern Kryptowährungs-User auf der ganzen Welt den „Bitcoin Pizza Day“. Denn an diesem Tag im Jahr 2010 wurde die erste dokumentierte Transaktion einer Kryptowährung gegen ein physisches Gut durchgeführt: Zwei Pizzas für 10.000 BTC, die heute circa 70 Millionen Euro wert wären. In Erinnerung daran werden Bitcoin-Pizza-Partys veranstaltet und viele Bilder von Pizza essenden Menschen in den Social Media gepostet.

Am allerersten „Pizza Day“ im Jahr 2010 beschäftigte sich der griechische Informatiker Andreas Antonopoulos noch nicht mit Bitcoin, sondern arbeitete als Sicherheitsberater für Banken. Heute ist der charismatische Redner und Buchautor einer der beliebtesten Vortagenden zum Thema weltweit. So war er – neben Apple-Gründer Steve Wozniak – auch einer der Keynote-Speaker auf der diesjährigen „We are Developers“-Konferenz in Wien, wo ich ihn zum Interview traf.

Burstup: Einen Tag bevor wir uns hier getroffen haben, war ich noch auf einer anderen Technologiekonferenz, wo ich selbst gesprochen habe. Sie war organisiert von einer Schule und einem lokalen Wirtschaftsverband. Im Publikum befanden sich deshalb Lehrer, Unternehmer, Politiker und Schüler. Die Lehrer wollten Wissen vermitteln. Die Unternehmer dachten laut darüber nach, wie man neue Technologien benutzen kann. Die Politiker warnten mit erhobenem Zeigefinger vor ebendiesen Technologien, z.B. davor, dass man „das Smartphone nicht am Frühstückstisch verwenden soll“. Und die Schülerinnen und Schüler? Zumindest zwei von ihnen hatten Bitcoin-Wallets auf ihrem Smartphone. Was ist ihre Message an diese jungen Menschen?

Antonopoulos: Ich denke ich habe nicht wirklich eine Message für junge Leute. Der Generationsunterschied ist ganz offensichtlich: Die meisten Menschen über 35, denen man sagt, dass die Zukunft des Geldes im Internet liegt, machen sich Sorgen darüber. Die meisten jungen Leute, denen man sagt, dass die Zukunft des Geldes im Internet liegt, wundern sich, warum man ihnen das überhaupt erklärt, denn es ist ohnehin klar. Sie verstehen nicht, warum Geld nicht im Internet sein sollte.

Ich denke, in 20 Jahren wird der durchschnittliche Wirtschaftsstudent sehr frustriert sein, wenn er eine Semesterarbeit darüber schreiben soll, wie eine Zentralbank funktioniert. Dieser Student wird sich fragen, wie gesund eine demokratische Gesellschaft ist, wenn zwölf nichtgewählte Funktionäre die Zinsen für eine ganze Volkswirtschaft bestimmen und eine Monopolwährung herausgeben - so wie uns heute die Vorstellung, dass es in jedem Land nur eine staatliche Fluglinie und ein staatliches Telekommunikationsunternehmen gegeben hat, absurd erscheint.

Burstup und Andreas Antonopoulos

Christoph Weiss

Andreas Antonopoulos (rechts)

Der griechische Informatiker und Autor Andreas Antonopoulos hält seit 2012 Vorträge zum Thema Bitcoin - mehr als 300 Videos davon gibt es im Internet zu sehen. Seine Bücher, „Mastering Bitcoin“ und „The Internet of Money“ gelten als Standardwerke zum Thema und sind mittlerweile zu Bestsellern geworden.

Sie erzählen auf ihren Vorträgen manchmal über ihre Computerbegeisterung als Teenager im Griechenland der 1980er Jahre - und wie schwierig es damals war, ihre Mitmenschen von der Wichtigkeit dieser Erfindung zu begeistern. Mit dem entstehenden Internet ging es Ihnen dann ähnlich. Heute haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen vom Potenzial Bitcoins, die Welt zu verändern, zu erzählen – und sind sehr erfolgreich damit. Trotzdem überwiegt immer noch die Skepsis gegenüber Kryptowährungen. Wie gehen Sie damit um?

Antonopoulos: Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sogar noch skeptischer sind. Das Problem ist nicht, dass die Menschen Skepsis gegenüber Bitcoin zeigen. Das Problem ist, dass Menschen sehr wenig Skepsis gegenüber Dingen zeigen, die sie einfach als gegeben hinnehmen.

Zum Beispiel: Ist es eine gute Idee, dass alle Geldüberweisungen heute von allen Geheimdiensten und Regierungen der Welt überwacht werden? Tausende Jahre lang haben wir völlig anonym auf einer Peer-to-Peer-Basis bezahlt mittels Trägerinstrumenten wie Bargeld. Plötzlich aber denken wir, dass die Welt in Chaos versinkt, wenn wir nicht jede Transaktion überwachen.

Ich würde mir also wünschen, dass zuerst die falsche Grundannahme in Frage gestellt wird. Letzendlich ist es aber auch egal: Denn wer Bitcoin braucht, wird es benutzen – und das ist nicht unbedingt der durschnittliche Österreicher, der sich einen Kaffee kaufen möchte. Seine Währung funktioniert, seine Bank funktioniert, das Kaffeehaus funktioniert, seine Regierung ist nicht totalitär und nicht allzu korrupt. Wir müssen uns bewusst sein, dass das eine sehr privilegierte Position in der Welt ist, und dass es Milliarden von Menschen gibt, die keines von diesen Dingen haben. Die Mehrheit der Weltbevölkerung muss mit Korruption, Erpressung, Gewalt und fehlendem Zugriff auf finanzielle Ressourcen zurechtkommen – und diese Menschen muss man nicht überzeugen, dass Bitcoin eine Antwort ist. Sie werden es finden, weil es nützlich ist.

Das Regime in Nordkorea soll hinter Angriffen auf Kryptowährungsbörsen in Südkorea und der ganzen Welt stehen. Halten Sie es für problematisch, wenn autoritäre Regimes beginnen, Bitcoin zu zu akkumulieren, etwa um wirtschaftliche Sanktionen zu umgehen?

Antonopoulos: Ja, aber es wird noch viel problematischer für das Regime sein, wenn die Bevölkerung beginnt, Bitcoin zu benutzen. Und auch hier muss man wieder eine fundamentale Annahme in Frage stellen. Die Annahme ist: Sanktionen funktionieren. Ich finde, dass wir in der Geschichte keinen Beweis dafür sehen. Sanktionen haben nicht in Norkorea funktioniert, nicht im Iran, in Venezuela oder in Kuba. Anstatt positiver Veränderungen haben sie immer einen externen Feind präsentiert, der das Regime stärkt, und sie haben zu größerer Verarmung der Menschen führt.

Vielleicht sollten wir statt der Sanktionen besser Kurzwellen-Funkgeräte mit Bitcoin-Funktion über diesen Ländern abwerfen. Denn Technologien dieser Art haben einen sehr störenden Effekt für die Herrschenden aufgrund ihrer asymetrischen Natur: Wenn die Menschen Zugang zu wirksamen Kommunikations- und Finanztechnologien wie Bitcoin haben, dann verwenden sie diese sehr viel effektiver als zentralisierte Institutionen wie Nationalstaaten. Also, Nationalstaaten werden Sanktionen mit Hilfe von Technologien umgehen. Die Frage, die wir stellen sollten, ist: Wie kann man diese Technologien benutzen, um Menschen zu befreien? Sie sind in dieser Hinsicht viel mächtiger.

In Nordkorea gibt es einen blühenden Schwarzmarkt für CDs, DVDs und USB-Sticks, die über die Grenze aus Südkorea und aus China geschmuggelt werden. So hören die Menschen die Musik aus dem Ausland und sehen Filme und Fernsehserien. Smartphones und das Internet sind in Nordkorea aber nicht sehr verbreitet, nur eine winzig kleine Elite hat Zugriff darauf. Wie sollten die Menschen dort Bitcoin benützen? Sie haben bereits eine Möglichkeit – Funkgeräte mit Bitcoin-Funktion – erwähnt.

Antonopoulos: Ja, denn man benötigt das Internet nicht, um eine Bitcoin-Transaktion durchzuführen. Sie kann sich auf einem USB-Stick befinden, den man außer Landes schmuggelt. Sie kann über Funk und sogar über Morsezeichen erfolgen. Kryptogeld kann über jegliches Kommunikationsmedium übetragen werden – deshalb ist es eine so mächtige Technologie.

Die Menschen haben ganz unterschiedliche Gründe, aus denen sie sich für Bitcoin interessieren. In Ihrem Fall, haben sie einmal gesagt, ist es die Perspektive, den 6,5 Milliarden Underbanked und Unbanked auf der Welt mehr finanzielle Freiheit zu ermöglichen. Nun höre ich aber oft das Argument, dass dies nicht unbedingt durch Bitcoin geschehen werde, sondern dass Blockchain-Unternehmen wie Ripple oder sogar ein zentralisiertes elektronische Zahlungssystem wie der M-Pesa in Kenya einen größeren Marktanteil im Finanzdienstleistungs-Sektor übernehmen könnten. Sie haben in Ihrem Vortrag auf der „We are Developers“-Konferenz gesagt: Offene Systeme gewinnen immer. Warum gewinnt das offene, dezentralisierte Bitcoin-Netzwerk gegen geschlossene, zentralisierte Systeme?

Antonopoulos : Weil ich „gewinnen“ anders definiere. Gewinnen bedeutet für mich nicht, über das größte Netzwerk oder die größte Marktkapitalisierung zu verfügen, sondern die größtmögliche Freiheit zu ermöglichen. Hinsichtlich einer Blockchain, die das größte Ausmaß an Freiheit ermöglichen wird, habe ich keine Zweifel, dass es eine offene, öffentliche, zensurresistente, neutrale und grenzenlose Blockchain sein wird. Organisationen, Firmen und sogar Nationalstaaten werden ihre eigenen Blockchains bauen. Aber diese Blockchains werden nicht offen, nicht grenzenlos, nicht zensurresistent und nicht neutral sein.

Werden sie mehr Geld haben? Natürlich, Konzerne und Banken haben mehr Geld. Das ist aber auch das einzige. Sie haben nicht mehr Kreativität, Innovation, Empathie oder irgendetwas anderes, das für Menschen wichtig ist. Sie haben nicht die Fähigkeit, ein dezentralisiertes, offenes Netzwerk zu bauen. Zu gewinnen bedeutet, möglichst vielen Menschen Freiheit und Wahlmöglichkeiten zu geben. Ja, die Menschen in Kenya haben den M-Pesa. Was geschieht, wenn der M-Pesa in eine Hyperinflation gerät und niemand kann raus, weil er durch eine Firma kontrolliert wird? Was geschieht, wenn man den M-Pesa in die Währung des Nachbarlandes tauschen will? Sehen Sie sich die hohen Gebühren dafür an. Solche geschlossenen Systeme können den Menschen zwar ein paar Finanzdienstleistungen bringen, aber sie bringen keine Freiheit. Gewinnen heißt für mich, möglichst viel Freiheit für möglichst viele Menschen zu erreichen.

Auf einer Reise nach Thailand vor kurzem habe ich mit vielen jungen Menschen gesprochen. Sie teilen sich Zimmer zu dritt oder zu viert, weil sie sich nicht mehr leisten können. Sie haben 100 Baht (ca. 2,50 Euro) in der Tasche, mit denen sie durch den Tag kommen. An Bitcoin waren sie prinzipiell interessiert, aber solange sie ihr Essen nicht damit bezahlen können, ist es nicht interessant genug für sie.

Antonopoulos: Ich glaube, es ist wichtig zu verstehen, dass die Nutzung von Bitcoin im Einzelhandel nicht der erste Anwendungsfall von Bitcoin ist. Es ist vielleicht sogar erst der letzte. Im globalen Finanzsystem gibt es Probleme, die viel schwieriger zu lösen sind als der Kauf von Waren in einem Laden in Thailand. Auch dort gilt: Solange dein Bargeld funktioniert, gibt es keinen Grund, es durch Bitcoin zu ersetzen. Aber was geschieht, wenn das Bargeld nicht mehr funktioniert – wie wir es zuletzt in Zimbabwe, Venezuela und anderen Ländern gesehen haben? Wenn man in diesen Ländern über Kryptowährung verfügt, hat man einen enormen Vorteil – für die Wertaufbewahrung, als Maßnahme gegen die Hyperinflation und als Tauschmittel. In diesem Fall wird Bitcoin zu einem Notausgang.

Ich habe vor kurzem jemanden auf einer Konferenz getroffen, der vor zwei Jahren in Venezuela über Bitcoin erfahren hat und mit einer kleinen Investition, die er damals gemacht hat, soeben 50 Familien geholfen hat, das Land zu verlassen und dem Regime zu entkommen. Für ihn war es also ein sehr mächtiges Werkzeug. Wenn ein Land in einen Hyperinflations-Zyklus gerät, wenn es Währungskontrollen, Entwertung oder Demonetarisierung durchführt, dann ist die Freiheit eines Systems, das nicht durch eine Regierung kontrolliert werden kann, ein offensichtlicher Vorteil. Das sind die Anwendungsszenarien heute.

Mit fortschreitender Zeit, je mehr Menschen Bitcoin besitzen und benutzen, wird es zur de-facto-Währung im Internet. Es ist die Währung, die in jedem Land verwendet werden kann. Bitcoin ist international, neutral und kann im Internet zwischen Usern, die einander nicht zu kennen brauchen, benutzt werden. Wird es in naher Zukunft von thailändischen Fischern verwendet werden, um ihren Fang zu verkaufen? Wahrscheinlich nicht, solange der Baht gut funktioniert. Aber sobald der Baht nicht mehr funktioniert, werden viele Menschen überrascht sein, wie schnell er durch Bitcoin ersetzt wird.

Was Sie gerade gesagt haben, hat auch Apple-Gründer Steve Wozniak auf derselben Konferenz vor zwei Tagen gesagt. Er meinte, Bitcoin wird innerhalb der nächsten zehn Jahre zur de-facto-Währung im Internet. Stimmen Sie mit diesem Zeitrahmen überein?

Antonopoulos: Ich denke, Bitcoin ist gewissermaßen schon jetzt die de-facto-Währung im Internet, und wir werden in Zukunft anstatt nur einer einzigen Währung eine pluralistische Welt von Währungen im Internet sehen. Kryptowährungen werden innerhalb von zehn Jahren zumindest im digitalen Bereich völlig dominieren und darüberhinaus Milliarden von Menschen, die bisher keine Wahlmöglichkeit haben, mehr Freiheit geben, welche Währung sie benützen wollen.

Jedes Jahr am 22. Mai begehen Bitcoiner auf der ganzen Welt den „Bitcoin Pizza Day“, denn an diesem Tag wurde im Jahr 2010 die erste dokumentierte Transaktion von Bitcoins gegen ein physisches Gut durchgeführt. Zwei Pizzas für 10.000 Bitcoins, die heute circa 70 Millionen Euro wert wären. Was ist Ihr Kommentar zum Bitcoin Pizza Day?

Antonopoulos: Bis ins Jahr 2010 war die Vorstellung, dass man eine weltweite, private Währung starten könnte, die tatsächlich Wert und Nutzen auf dem Markt haben könnte, völlig undenkbar. Was Bitcoin in den ersten zwei Jahren seiner Existenz erreicht hat war, aus dem Nichts zu starten und Wert zu etablieren, indem es ein Network des Vertrauens im Internet errichtet hat, das durch jeden User überprüfbar ist. Viele Menschen haben Schwierigkeiten zu verstehen, warum etwas überhaupt Wert haben kann, wenn dieser Wert nicht „durch eine Regierung garantiert“ ist - was tatsächlich auch bei keiner der nationalen Währungen der Fall ist. Und warum, fragen die Menschen, würde so eine Währung Wert für andere Leute haben?

Was Bitcoin demonstriert hat ist, dass der fundamentale Aspekt von Wert nicht etwas ist, dass intrinsisch in einem Gut liegt, mit dem man handelt – was auch für unser Papiergeld gilt, das keinen intrinsischen Wert hat. Wert liegt im Nutzen. Je mehr Menschen etwas benutzen, umso wertvoller ist es, solange es selten ist und nicht unendlich vervielfältigt werden kann – was ironischerweise auch zur besten Vergleichsmöglichkeit mit Währungen wie dem Euro oder dem Dollar führt, deren Geldvermehrung durch Schulden völlig außer Kontrolle geraten ist. Was Pizza Day im Jahr 2010 gezeigt hat war, dass es zum ersten mal möglich ist, eine private Währung zu starten und ein System kryptographischen Vertrauens zu bauen, das Wert erlangt, weil Menschen beginnen, es zu benutzen. Ich denke, jeder ist überrascht, wie robust dieses System ist, wie nützlich ist und wie weit es sich in nur acht Jahren verbreitet hat.

Burstup: Danke für das Interview, Andreas Antonopoulos.

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