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Hyperreality 2018

Karolina Miernik, Emilia Milewska

Club auf politisch

Arca, Kelela, Fauna, FAKA, Nina Kraviz uvm.: Wir haben getanzt und wir haben gestaunt. Das waren drei Nächte Hyperreality.

Von Dalia Ahmed

Alles begann an jedem der drei letzten Tage mit der Anreise nach Wien-Liesing. Schon am Meidlinger Bahnhof konnte man die „Aliens“ erspähen, die auf den Bus in den 23. Bezirk zum F23 Areal, einer ehemaligen Sargfabrik, warteten. Gemeinsam begab man sich raus in die Wiener Peripherie, wo auf ober- und unterirdischen Floors und Stages Strobolichter und Beats auf uns niederregneten.

Am ersten Hyperreality-Tag, dem Donnerstag, ging es noch am A
allergemütlichsten zu. Das gesamte Tagesprogramm bestand aus drei Acts: Fauna, Arca & Aïsha Devi.

Fauna präsentierte, wie bereits ganz groß angekündigt, ihr neues Album „Infernum“ zum ersten Mal live. Gemeinsam mit Farce am Mikrophon und an Tasten und Faunas Labelchefin Ursula Winterauer an den Saiten, Tasten und Reglern. Zu dritt bildeten die Musikerinnen eine undurchdringliche Soundphalanx. In der Liveinszenierung hörte sich „Infernum“ super ernst und super groß an. Den Pop hörte man nur durch, wenn man auf die Lyrics lauschte. Die kamen dann zum Schluss auch von Madonna. Da wurde „Like A Prayer“ gecovert und klang nach Madonna auf Quaaludes und Exstasy gleichzeitig. Industrial Pop oder poppiger Industrial? Es war auf jeden Fall arg.

Hyperreality 2018

Karolina Miernik, Emilia Milewska

Arca

Kein Arca-Zauber aber großer Spaß

Danach betrat Arca die Bühne, auf der nun ein schräges DJ Pult stand. Auf dessen niedrigeres Ende platzierte der Venezolaner seine Handtasche, aus der eine Rose herrausschaute. Ich und viele andere waren ab dem Moment - und schon früher - auf disruptive Tristess, großes Arca Theater und Musik zum Weinen eingestellt. Doch das kam nicht.

Stattdessen gab es ein DJ-Set mit Breakbeats, Reggaeton & Contemporary, clubbigen Bass-Sounds (und ebenfalls einen Madonna Song). Anfangs war ich da noch enttäuscht, dass ich mich nicht endlich auch in den illustren Kreis derer eingliedern konnte, die „eine Arca Show“ gesehen hatten. Man kennt die Geschichten und Insta-Stories von Bühnen, auf denen Arca in Lack und Leder oder auf hohen Stelzen, blutverschmiert in Parkgaragen oder auf den großen, kommerzigen Festival-Bühnen seinen opernhaften Gesang präsentiert. Doch dann dachte ich mir, eigentlich auch spannend mal einen Arca zu erleben, der „put your hands up“ und „how are you doing Vienna“ ins Mikrophon schreit, so als wäre er ein ganz normaler Mensch, wie du und ich.

Der Arca Zauber ist nun für mich ein bisschen gebrochen, aber dafür durfte ich miterleben, wie er die Bühne auf und ab ging und wie ein Ballroom MC „This one is for all the Cunts“ und den klassischen „kakakakakakaka“-Call zum Aufhypen der Voguetänzer*innen ausgerufen hat. Wer hätte gedacht, dass eine Arca Show so viel Spaß - also tatsächlich „ha-ha Spaß“ - machen kann.

Hedonismus statt Melancholie

Der zweite Tag des Festivals stand ebenfalls größtenteils im Zeichen der hedonistischen Freude. Nur die ersten zwei Acts, oben auf der „Zusammenbau-Bühne“ frönten dem melancholischen Moment. Zuerst waren da die Gaddafi Gals gemeinsam mit Farce, die eine Hyperreality-Auftragsarbeit präsentierten. Gesungen und gerappt, begleitet von schwebenden Beatwolken wurde uns ein moderner Cloud Rap präsentiert, der cerebraler und dichter daherkommt, als das, was man so auf Soundcloud oder in Hip Hop-Foren zu hören bekommt.

Kelela

Karolina Miernik, Emilia Milewska

Kelela

Danach war die Alt-RnB Heldin der Stunde dran. Noch vor zwei Tagen saß sie mit Solange Knowles in einer Limousine und machte Selfies und nun war der Superstar vor uns auf der Bühne im 23. Bezirk. Den Sound auf ihrem Debütalbum „Take Me Apart“ beschreibt Kelela mit den Worten „it’s like topping from the bottom“ , also mit queeren Codes, die sich auf den Top, also „aktiven“ Partner und Bottom, den „passiven“ Partner beim Sex beziehen.

Kelela findet ihre Kraft in der Verletzbarkeit, dem sich öffnen und hingeben. Und genauso ist auch ihre Liveshow. Zart, schlicht und doch kraftvoll und groß. Kelela steht alleine mit ihrem DJ auf der Bühne - im weißen Kleid und Mantel umgeben von blauem und rotem Licht. Ab und zu hebt und senkt sie die Arme, geht einige Schritte hin und her, bewegt den Körper robotisch oder entfernt sich vom Mikrophon, um ihre Stimme gespenstisch und flüchtig klingen zu lassen. So verbringen wir eine Stunde mit Kelela in der sie uns eindrucksvoll vom Breakup und der Selfcare erzählt.

Hyperreality 2018

Laura Schaeffer

FAKA

Und dann ist auch schon Zeit für die südafrikanischen, queeren Performer FAKA. Sie singen, voguen und sie tanzen süd-afrikanische, folkloristische Tänze zu Gqom und elektronischen Afrobeats. Und die Menge ist extatisch.

Was im Keller passiert

Nach FAKA wird es auch Zeit für uns, das erste Mal den Keller des F23 - also das Material Magazin und dessen zwei Floors - zu betreten. Dort gibt es bis 6 Uhr in der Früh DJ- und MC- Programm. Auf dem einen Floor die big Name DJ Nina Kraviz, der es beim Hyperreality so gut taugt, dass sie einfach die ganze Nacht bleibt und bei den DJs nach ihr wild mittanzt. Nämlich: Therese Terror, Electric Indigo, DJ Warzone und Gabber Eleganza, der mit einer Gruppe von Gabber- und Hardcore-Tänzern anrückt.

Hyperreality 2018

Karolina Miernik, Emilia Milewska

Ash B

Auf dem anderen Floor passiert die ganze Nacht ein Qween Beat Showcase. Das New Yorker Label, gegründet vom New Jersey DJ und Producer MikeQ bringt den Esprit des Ballrooms nach Wien. Blackness, Queerness und eine ganz spezielle Subkultur werden da die ganze Nacht gefeiert. Alle tanzen wild, und vor, neben und hinter dem DJ Pult wird sogar gevogued. Zwischendurch wird mal die Menge gespalten und man kann für den Bruchteil einer Sekunden das Gefühl haben, man wäre bei einem authentischen New Yorker Kiki, bei dem Vogue-Battles ausgetragen werden.

Außerdem rappen Cakes da Killa und Ash B über-harte Bars und LSDXOXO spielt Eigenproduktionen, Remixes und Rammstein.

Hyperreality 2018

Karolina Miernik, Emilia Milewska

Real Geizt

Ganz großes Theater

In der finalen Nacht spielt Taktlo$$’ Alter Ego Real Geizt ganz groß auf. Theatralisch und dadaistisch inszeniert er sein „Wie Prophezeit“-Album im gesamten Space der „Zusammenbau-Bühne“. Da schwirren Menschen in Leintuch-Geisterkostümen umher, ein Alphorn wird geblasen und ein Theremin kommt auch zum Einsatz. Ein destruktives und doch inspirierendes Stück, das sich nach ganz großem Theater anfühlt.

Das Materialmagazin war wie immer der nächste Stopp, wo über die Nacht hinweg Acts wie Tygapaw jamaikanische Musik in all ihren Facetten präsentierten oder Mina ghanaische Riddims gemeinsam mit dem Publikum feierte.

DJ Assault brachte Asses und Titties zum kreisen und der portugiesische DJ Lycox erschütterte den F23-Keller mit Süd-West-Afrikanischen Rhythmen.

Zum Schluss fühlten sich drei Nächte Hyperreality wie Ewigkeiten purer Club, pure Subkultur und pure Freude an der Musik an. Ein Zelebrieren der Diversität, die am Kitschigen oder Vereinnahmenden vorbeimanövriert und eine Reaffirmation des politischen Potenzials der Clubkultur und der Tanzmusik darstellt.

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