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Einarmiger Bandit mit Spiegel

Wieso es keine Smartphone-Sucht gibt, aber immer mehr Menschen, die ihr Handy nicht weglegen können.

von Ali Cem Deniz

Die Hände verkrampfen, die Ellenbogen schmerzen, die Augen brennen, doch an das Weglegen wird nicht gedacht. Das Smartphone ist paradox. Es vereinfacht den Alltag, verlangt aber dafür den NutzerInnen viel Zeit, Aufmerksamkeit und sogar körperliche Kraft ab.

Digitale Diät

Jetzt will ausgerechnet Google dagegen halten. Die nächste Android-Version soll einen Fokus auf „digital wellness“ setzen. User sollen die Zeit, die sie am Bildschirm verbringen überwachen und sogar mithilfe eines Timers einschränken können. Auch die „Nicht stören-Funktion“ bekommt ein Update. Zukünftig sollen nicht nur Töne unterdrückt werden, sondern auch Notifications und Symbole, die dauernd in der Statusleiste auftauchen und die Konzentration stören.

Neu ist das alles nicht. Sowohl in Googles Playstore, als auch in Apples Appstore gibt es jetzt schon zahlreiche Anwendungen, die genau diese Funktionen anbieten. Und sie sind extrem beliebt. Quality Time, die App für „digitale Diät“ ist auf mehr als eine Million Smartphones installiert. Die zeigt an, welche Apps am meisten verwendet werden und wie oft das Handy entsperrt wird. Andere gehen über das Monitoring hinaus und versuchen es mit Gamification. Bei der App „Forest: Stay Focus“ pflanzt man Bäume. Die bleiben aber nur am Leben, solange man keine Social Media und Spiele-Apps öffnet.

In die Hölle oder aufs Land

Allein die Beliebtheit dieser Anwendungen zeigt, dass es offenbar viele Leute gibt, die ihren eigenen Umgang mit dem Smartphone nicht unproblematisch finden. Dass man wieder auf das Smartphone greift, um den Smartphone-Konsum zu reduzieren scheint kein Widerspruch zu sein. „Ich habe die App anfangs eine Woche lange nur gehabt und zu sehen wie viel Zeit ich so immer am Smartphone verbringe. Es waren immer zwischen 6-10h täglich. Zu viel, habe ich mir gedacht und habe angefangen Pausen einzustellen. Das war am Anfang für mich die Hölle“ schreibt ein User im Playstore.

Man muss aber nicht immer in die Hölle, um das Smartphone aufzugeben. Es reicht auch aufs Land zu fahren. Immer mehr Hotels bieten „Digital Detox“ an. Die elektronischen Geräte werden an der Rezeption abgegeben. In den Zimmern gibt es kein TV, Radio oder Telefon.

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Sucht oder nicht?

Peter Ebele glaubt, dass Apps bei einem problematischen Smartphone-Konsum durchaus wirksam sein könnten. Der Experte vom Linzer Institut für Suchtprävention hat sich auf problematischen Medienkonsum spezialisiert.

Eine medizinische Definition von Smartphone-Sucht gibt es nicht. „Es ist ein Unterschied, ob man einen starken Wunsch hat das Smartphone zu nutzen oder ob man wirklich darunter leidet. Wenn es so weit geht, dass man eine Lehrstelle verliert, weil man alle fünf Minuten auf das Klo geht um das Handy zu checken ist das ein Problem“, sagt Peter Ebele. Wie viele Menschen in Österreich unter ihrem Smartphone-Konsum leiden, ist nicht bekannt. Peter Ebele vermutet aber, dass die Zahl noch nicht all zu groß sein dürfte. Es gibt aber Menschen, die sich wegen ihres Smartphone-Konsums an Suchtkliniken wenden. „In Österreich und in Deutschland sind das bislang Einzelfälle. Die Dunkelziffer könnte natürlich höher sein“, sagt Peter Eberle.

Im Smartphone-Land Südkorea schaut das ganz anders aus. Studien zeigen, dass dort bereits über 30 Prozent der Jugendlichen einen suchtartigen Umgang mit Smartphones haben. Ist das die Zukunft, die den Rest der Welt erwartet? Peter Eberle ist skeptisch. Auch wenn die Geräte überall auf der Welt verwendet werden, gäbe es auch lokale Unterschiede. „Nur weil dort eine hohe Dichte an Smartphone-Besitzern ist, sollte man nicht den Schluss ziehen, dass das auch die Ursache ist. Es herrscht dort ein enormer Leistungsdruck unter Jugendlichen. Das ist mit Österreich nicht vergleichbar.“

Eine Frage des Designs

Gerade dort, wo man es am wenigsten vermuten würde, entsteht gerade eine Gegenbewegung. Der ehemalige Google-Designethiker Tristan Harris hat im Silicon Valley das „Center for Humane Technology“ gegründet. Er glaubt, dass der übermäßige Smartphone-Konsum kein individuelles Problem ist, sondern eine Folge des Designs.

Viele Apps imitieren dabei Maschinen, die man aus dem Glückspiel kennt. Das Aktualisieren einer Timeline wird zum einarmigen Banditen. Immer wieder ziehen User eine Leiste runter, in der Hoffnung, dass es etwas Spannendes zu entdecken gibt. Genauso ist es mit dem Mail-Posteingang, den man immer wieder überprüft. Aus Angst, man könnte etwas Wichtiges verpassen. Diese Angst hat einen Namen: FOMO – Fear of missing out.

Die Kritik aus dem Silicon Valley kommt im Silicon Valley langsam an. Nicht nur Google, sondern auch Apple, Facebook und Samsung arbeiten daran, die schädlichen Konsequenzen des Smartphone-Konsums zu reduzieren. Wohl auch aus Eigeninteresse. Denn in den USA befürchten Stakeholder, dass die Tech-Giganten in Zukunft mit Schadenersatzklagen zugedeckt werden könnten.

FM4 Auf Laut: Leben fürs Display?

Du wartest auf den Bus: Blick aufs Smartphone. Du weißt etwas nicht: frag dein Smartphone. Du sitzt in einer Runde bester Freunde und die Hälfte ist abwesend, weil sie ins Smartphone schaut.

Während Apps gegen Smartphone-Sucht zu den meistbenutzten Apps gehören, schlagen Designer touch screenlose Handy-Attrapen zur Entwöhnung vor. Haben wir Smartphone-DauernutzerInnen unseren Geist aufgegeben? Übersteigt die digitale Revolution die Begriffe der Verhaltenssucht-Forschung? Wieviel Zeit am Smartphone ist zuviel Zeit?

Lukas Tagwerker diskutiert am Dienstag, 29. Mai, ab 21 Uhr in FM4 Auf Laut mit Designer Klemens Schillinger und AnruferInnen über unseren Umgang mit Smartphones.

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