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A view of the pitch and the stands of Volgograd Arena in Volgograd on May 9, 2018 The nearly 45,000- seater stadium will host four World Cup matches

AFP PHOTO / Mladen ANTONOV

Blumenaus WM-Journal

Jetzt ist also wieder Fußball-WM. Eine Einführung.

Ohne uns! Beim Russen! Von der korrupten FIFA ausgerichtet! Ohne Menschenrechte! Mit wenig Bewusstsein! Und Ambivalenz! Und Blinden Flecken! Irrational! Mit wohligen Schauern!

Von Martin Blumenau

Jetzt ist dann also wieder Fußball-WM. Und das ohne Österreich. Obwohl WIR doch jetzt alles gewinnen, den Gastgeber besiegen und den Deutschen, den Weltmeister, den deutschen Weltmeister vom Platz schießen und am Sonntag dann auch den Rekord-Champion Brasilien eintunken und die Mini-WM bewinnen wird. Cordoba heißt jetzt Klagenfurt! Bestest Sieges-Serie seit Wunderteam! Österreich zuerst! Und dann darf das ÖFB-Team nicht bei der echten WM mitspielen, wieso versteht keiner. Warum nicht jetzt schnell eine Route für seltsam aussehende Ausländer schließen und dann doch noch teilnehmen?

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

(1)

Jetzt ist dann also wieder Fußball-WM. In Russland, Heimat des Schneetigers und des Putin, ein Gigant von einem Land, aber ein fußballerischer Zwerg, und nur als Rechts-Nachfolger der diesbezüglich glorreichen Sowjetunion auf der Kicker-Landkarte. Russland, Reich der Trolle und der Pipitapes, Hort der leichtfüßigen Beleidigtheit, wenn man trotz schierer Größe und ausgestellter Grandezza als normaler Teilnehmer behandelt wird und nicht mehr als Supermacht. Russland, die Halbdemokratie, wie sie der Ex-SEDler nennt, nimmt sie mehr als gerne ein, die Opfer-Pose.

(2)

Jetzt ist dann also wieder Fußball-WM. Von der FIFA vergeben und vergoldet und weltweit vermarktet. Von einer FIFA die aktuell gar nichts mit der alten korrupten Blatter-FIFA zu tun hat, sondern supersauber ist, und deshalb weiter an Russland und Katar und den inkriminierten, korruptionsversuchten Vergaben nicht abgerückt ist; und natürlich weiß man in Zürich, dass es sich mit Halb- und GarNicht-Demokratien viel besser verhandeln und handeln und wirtschaften lässt, weil Staat und Privat dort Hand in oligarchischer Hand geht, weil die Zentralmacht samt Günstlingen dort mitschneidet, bei jedem Stadionbau, bei jeder Umfeld-Investition.

(3)

Jetzt ist dann also wieder Fußball-WM. Und wieder die Frage wie man damit umgeht, mit Großveranstaltungen in Staaten, in denen die Menschenrechte, die Bürgerrechte, die Pressefreiheit keine oder wenig Gültigkeit haben. Und wieder wird mit zweierlei Maß gemessen, wie in Peking, bei Olympia 2008, wo sich auch entgegen aller Sonntagsreden, dass man China durch diese Vergabe reinholen würde in die Weltgemeinschaft der Menschenrechte, im Vorfeld nichts zum Besseren gewendet hat, im Gegenteil. Ai WeiWei, der das Vogelnest, das architektonische Symbol der Spiele gebaut hatte, wurde prompt vom Günstling zum Staatsfeind. Und direkt nach Sochi 2014 fühlte sich Putin stark genug die Krim zu inhalieren. Und musste auch nur Mediallen zurückgeben, als Jahre später das dort flächendeckende Doping aufgeflogen ist, aber kein Land.

Spielorte der Fußball WM 2018 in Russland

FRANCOIS XAVIER MARIT, ROMAN KRUCHININ, MLADEN ANTONOV, DMITRY SEREBRYAKOV, RUSLAN SHAMUKOV, STR / AFP / picturedesk.com

Die Spielorte der Fußball-WM 2018

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Jetzt ist dann also wieder Fußball-WM. Und mein Umgang mit Diktaturen ist seit meiner ersten postkindlichen, meiner Teenager-WM, der in Argentinien 1978, klar. Ich war bei Demos, habe dort Pickerl verteilt, die das offizielle WM-Logo mit Stacheldraht umwickelt gezeigt haben, um auf die monströse Militärdiktatur und ihre Folterkeller hinzuweisen. War damals allen egal, Krankl oder Prohaska wissen es bis heute nicht. Und trotzdem habe mich für Menottis Mannschaft gefreut; und über die Ambivalenz der Teilnahme im Bewusstsein der anhaltenden Grausamkeiten ist seitdem steter Begleiter der argentinischen Seele. Und auch meiner.

(5)

Jetzt ist dann also wieder Fußball-WM. Und wieder wissen nur die was, die was wissen wollen. In einer dieser Vorab-Tourismus/Folklore-Show im deutschen Fernsehen, hat der Korrespondent vor Ort, ein machoider Mansplainer vor dem Herrn, seinen unbedarften Sidekick, die russischstämmige Palina Rojinski an den Ort der Ermordung des Boris Nemzov, unweit der Kreml-Mauern in Moskau geführt. Und sie, Rojinski, in Leningrad geboren und schon im Vorjahr beim Confed-Cup als Russland-Expertin im Einsatz, hörte öffentlich das erste Mal von diesem politischen Mord und seinen dubiosen Umständen. Das ist der ganz normale öffentliche Zustand, was politisches Bewusstsein betrifft, und er gilt auf grauenvolle Weise vorbildhaft für eigentlich eh alles und es ist zum Speiben.

(6)

Denn es ist wieder Fußball-WM. Und ich werde es nicht wie 78 machen können und zu Stani Cherchesovs Heim-Team halten (außer im politische gruseligen Eröffnungs-Match), weil es einen echten Drecks-Fußball spielt. Ich werde mir bei den afrikanischen Teams, die bis auf Tunesien allesamt üble politische Verhältnissen repräsentieren, einige blinde Flecken erlauben, einiges ausblenden. Ich werde mir wie seit Jahren mit Kroatien schwertun und nach Flaggen, die mit dem weißen Karo beginnen Ausschau halten, ich werde mir einzelne Iraner als Widerständler vorstellen. Ich werde Rafa Marquez hassen, seit ich um seine Verbindungen zu den Kartellen weiß.

(7)

Es ist wieder Fußball-WM. Meine Zuneigung, mein Wohlwollen für bestimmte Nationalmannschaften ist ganz eng an kindliche oder jugendliche Zuschreibungen geknüpft. An frühere Teams, die schön gespielt hatten, an intensive Bilder, die sich nur schwer überlagern lassen. Ich habe Jahrzehnte gebraucht, um Deutschland der Toni-Schuhmacher-Tritt gegen Battiston zu vergeben, umgekehrt hat eine geistesgestörte Koksnase meine Liebe zu Argentinien ruiniert. Aber die erste peruanische Schärpe, die ich sehe, wird mich wohlig erschauern lassen. Auch wenn ihr Rekordtorschütze ein begnadigter Dopingsünder ist.
Es ist irrational, es ist Fußball-WM.

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