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Eine Lawine kommt auf den Facebook Schriftzug zu

CC BY-SA 3.0 by Zacharie Grossen via Wikicommons , APA/AFP/LOIC VENANCE, Bearbeitung Radio FM4

Erich Möchel

Neuer Facebook-Skandal toppt Cambridge Analytica

Über zehn Jahre wurden Benutzerdaten und alle Kommunikationen in Facebook-Freundeskreisen an 60 Großkonzerne weitergegeben, die allesamt selbst Datenbroker sind. Das Dementi von Facebook besteht nur aus Ausreden und Schutzbehauptungen.

Von Erich Möchel

Die massenhafte Datenweitergabe von Facebook an App-Hersteller, die im Skandal um Cambridge Analytica gipfelte, war tatsächlich nur die Spitze eines Eisbergs. Facebook hatte auf die neuen Enthüllungen der „New York Times“ am Montag zwar blіtzartig mit einem Dementi reagiert. Das besteht allerdings aus einem Umbennungstrick und Schutzbehauptungen. Am aufschlussreichsten aber ist, was dabei verschwiegen wird.

Facebook hat eingestandermaßen ein Jahrzehnt lang mindestens 60 Konzerne - von Amazon, Apple, Samsung bis zu Microsoft - eine unbekannte, jedenfalls enorme Zahl von Datensätzen abgreifen lassen. Das geschah nach demselben Schneeball-Schema wie bei Cambridge Analytica, nämlich durch Zugriffsmöglichkeiten auf die Profile von Freunden, Freundesfreunden und deren Freunden. Zwei Drittel dieser Firmen haben auch jetzt noch Zugriff auf ein unbekannte Zahl von Facebook-Konten.

Christopher Wylie

Eu Parlament

Während die Nachrichten über den neuen Facebook-Skandal am Montag die Runde machten, stand Whistleblower Chris Wiley im EU-Parlöament Rede und Antwort zum Datenskandal um Cambridge Analytica

Das Facebook-Schneeballprinzip

Neue Patente zeigen, dass Facebook nicht nur massenhaft Benutzerdaten an Dritte weitergibt, sondern auch, wie der Konzern in fremden Netzen nach Nutzerdaten jagt

Die schіere Anzahl der Großkonzerne, die sich an als nicht-öffentlich ausgewiesenen Benutzerdaten und Kommunikationen bei Facebook bedienen konnten, spricht klar dafür, dass es diesmal um eine weit größere Menge personenbezogener Daten geht als im Fall Cambridge Analytica. Der Datenabgriff funktionierte weitgehend nach dem gleichen Schema wie im Fall dieser mittlerweile im Konkursverfahren befindlichen Datenbroker-Firma.

Ein Reporter der „New York Times“ zog über ein Smartphone, das über eine solche Zugriffsmöglichkeit für „Provider“ verfügte, erst einmal die Datensätze seiner 550 Facebook-Freunde ab. Über die Konten von Freundesfreunden und deren Freunden kam man zuletzt auf knapp 300.000 Facebook-Konten - über nur einen einzigen Account. Cambrіdge Anaytica hatte über eine eigene App, die als Psychotest daherkam, persönliche Daten von 270.000 Facebook-Uѕern abgegriffen, über die man dann an die Daten von insgesamt 37 Millionen Facebook-Konten kam. Es sieht also danach aus, dass die Zugriffsrechte für diese als „Provider“ bezeichneten Konzerne noch großzügiger gestaltet waren, als jene für einfache App-Entwickler.

Facebook Reaktion

Facebook

Diese Passage zeigt ziemlich klar in welchem Stil das gesamte Dementi gehalten ist. Anders als die "NYT berichtet habe, seien nicht alle Bilder von einem Endgerät abgezogen worden, sondern nur jene, die der Benutzer in seinem Facebook-Freundeskreis geteilt habe. Man habe also „eh nur“ für Freunde gedachte Fotos an 60 Konzerne rund um die Welt systematisch weitergegeben, die privaten Fotos aber nicht.

Das Narrativ von der „Facebook Experience“

Wie Facebook ziehen auch auf „Schwarze PR“ und Desinformation spezialisierte Firmen wie Cambridge Analytica massenhaft Daten von Dritten ab und ordnen sie bestehenden Profilen zu

Wie im Fall von Cambridge Analytica hatte Facebook auch für diese Datenverarbeitung keinerlei Zustimmung von den Millionen ahnungslosen Betroffenen eingeholt. Mark Zuckerberg aber hatte sowohl beim Hearing im Senat wie auch im EU-Parlament wiederholt erklärt, die Datenweitergabe an Cambridge Analytica sei der einzige ihm bekannte Fall von Weitergaben von Facebook an Dritte. Am Montag wurde dann der für Produktpartnerschaften zuständige Facebook-Vizepräsident Ime Archibong mit folgendem Narrativ vorgeschickt.

Dieser Fall sei mit Cambridge Analytica gar nicht zu vergleichen, zumal hier Daten nicht an Dritte gelangt seien, die sie widerrechtlich gebraucht hätten. Vielmehr würden die Daten an „Provider“ weitergegeben, deren einziges Bestreben es sei, die „Facebook-Experience“ auf ihren Geräten und Betriebssystemen originalgetreu wiederzugeben. Facebook habe dabei streng auf den Verwendungszweck geachtet und die „Provider“ für diesen Deal zum beiderseitigen Nutzen auch einen Vertrag unterzeichnen lassen, dass diese Daten zu keinem anderen Zweck verwendet würden. Laut Archibong sei den Konzernen auch untersagt, diese Datensätze in ihre eigenen Systeme überzuführen.

Zuckerberg vor Senat Screenshot

BBC World News

Mark Zuckerberg bei der Anhörung im US-Senat im April. Man beachte dabei das Wording: Zuckerberg sprach von „unangemessener Datenweitergabe“ an Dritte. Der neue Skandal macht nun klar, was Facebook unter „angemessener Datenweitergabe“ versteht.

Ausreden und Verschweigen als Erzählprinzip

Dass Facebook multiple Patente auf Augen-Tracking hält, das Verhaltensdaten zu Einstellungen und Kaufverhalten der Benutzer extrahiert, zeigt, wie der Konzern nach immer neuen und noch intimeren Daten jagt.

An diesem Narrativ stimmt von vorn bis hinten nichts wirklich zusammen. Erst wird die graue Vorzeit beschworen, in der die Darstellung der Facebook-Site ein Problem für Smartphones und Betriebssysteme war. Deswegen habe man sogenannte APIs - Interfaces zum Datenaustausch - eingerichtet, um diese „Provider“ dabei zu unterstützen. Nicht erklärt wird, warum diese APIs im Jahr 2018 noch immer notwendig sind, um die volle „Facebook-Experience“ auf so fortgeschrittenen Smnartphonesystemen wie iOS 9 und Android 9.0 zu bieten. Ebensowenig wird erklärt, warum auch alle internen Kommunikationen jedes „Facebook-Freundeskreises“ an diese 60 Firmen gingen.

Rein gar nicht erläutert wird, worin eigentlich der Nutzen für diese „Partner“ besteht, wenn sie die von Facebook abgegriffenen Datenmengen nicht in die eigenen Datendepots überführen dürfen. Das heißt, Amazon Microsoft und Co haben dafür eine eigene Serverstruktur errichtet, die über das Facebook-Interface Rohdaten unbestimmten aber jedenfalls bedeutenden Umfangs rund um die Uhr bezog. Das Narrativ suggeriert dabei, dass der wahre Nutzen für diese Drittfirmen darin bestehe, dass die volle „Facebook-Experience“ auf ihren Betriebssystemen und Apps wiedergegeben wіrd.

Was wirklich mit den Daten passiert

Sachdienliche Informationen, Metakritiken et al. sind über dieses Formular verschlüsselt und anonym beim Autor einzuwerfen. Verbindungen via TOR-Netz willkommen. Wer eine Antwort will, gebe tunlichst eine Kontaktmöglichkeit an.

Die Integration der von Facebook zur millionenfachen Rasterung durch Dritte freigegebenen, privaten Daten seiner Benutzer ist nach Angaben der Firma also untersagt, nicht aber deren Verarbeitung und Auswertung. Wenn also Amazon oder Microsoft diese Facebook-Daten separat halten und dort auswerten, sind die Bedingungen von Facebook bereits erfüllt. Dass dann aber bestimmte distinktive Merkmale von Benutzern extrahiert werden können - alle Big Data Firmen ordnen jedem Benutzprofil hunderte Merkmale von Eigenschaften, Kaufverhalten bis zu Vorlieben und Interessen zu - wurde von Facebook nicht angeführt.

Das aber ist der einzige handfeste kommerzielle Nutzen, den diese Drittfirmen aus den Facebook-Datensätzen ziehen können.

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