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Ildar Da

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Russischer Punk im Wiener Exil

Ildar hat den Umbruch von der Sowjetunion zum neuen Russland als jugendlicher Punk miterlebt. Am Stadtrand von Moskau hat er jede Menge Prügel für sein Erscheinungsbild eingesteckt. Heute lacht er über sein Glück.

Von Gersin Livia Paya

Ildar Da (Künstlername) wurde 1985 am Moskauer Stadtrand geboren, damals noch Sowjetunion. Er nennt sich selbst ein „Perestroika-Kind“. Ein Kind jener Zeit, als die Sowjetunion gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich „umgebaut“ wurde. Näher dazu äußern kann er aber nicht, für eine nachhaltige Erfahrung war er nämlich zu jung.

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Welche Erfahrungen hast du mit oder in Russland gemacht und wie sollen wir mit Russland umgehen?

FM4 Auf Laut, am Dienstag ab 21 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player.

Aber einen guten Eindruck der Zeit danach kann er geben: Er gehörte zu den Außenseitern seiner Generation. Von „Dünn, Brille und Unscheinbar“ wechselte er schnell zu „Dünn, Brille und Irokesenschnitt“.

Ildars Eltern arbeiteten beide in einer Fabrik, um ihm und seiner jüngeren Schwester eine gute Schulausbildung geben zu können. Aber ganz gleich aus welcher Schicht man damals kam, die Straßen Moskaus waren allesamt rau und gefährlich.

„In Russland hatte ich immer wieder Probleme mit anderen auf der Straße, weil ich mich anders kleidete oder rote Haare hatte. Regelmäßig gab es Prügel!“

Mit 14 Jahren wollte er zu seinem allerersten Punk-Konzert, eine sibirische Punkband spielte in Moskau. Der Weg zum Konzert führte durch eine Industriezone. Dort wurden er und seine zwei Kumpels von 20 Skinheads mit Steinen und Flaschen beworfen und mussten die Flucht ergreifen. Zum Konzert zu gehen war dann zu gefährlich. Eingeschüchtert hat Ildar dieses Erlebnis aber nicht genug, er frönte dem Punk weiterhin. In den Neunziger Jahren in Moskau gab es viele verschiedene Lager und das rechte Lager hatte es immer wieder auf ihn abgesehen.

Insta-Foto von einem Punk, Gesicht verdeckt

Ildar Da

Als er selbst anfing Punkmusik zu machen, musste er sich mit dem Proberaum im sowjetischen Kulturhaus zufrieden geben, geteilt mit russischer VolksmusikerInnen und TänzerInnen. Es war der einzige Weg Musik zu machen. Aber dort gab es kein Verständnis für „diesen Lärm“. Immer wieder gab es Stress mit dem Aufseher, er hielt ihre Musik für zu laut, zu falsch und zu „dirty“.

„Die Menschen aus der Sowjetunion haben Punk nicht verstanden, sie sind mit Schlager aufgewachsen.“

Mit 18 Jahren ist er von zu Hause ausgezogen und lebte mehrere Jahre in „1-Zimmer-WGs“ zusammen mit mehreren anderen jungen Männern, ein eigenes Bett gab es nicht. Für einen Dollar die Stunde und gratis Essen arbeitete er in einem Buchgeschäft. Damit finanzierte er sich auch sein abgebrochenes Studium. Am Wochenende tourte er, legte als DJ auf oder ging einfach aus. Ildar meint, der größte Unterschied zwischen den Punks in Russland und den Punks in Europa sei, dass die russischen Punks arbeiten gehen, eigentlich nicht auf der Straße leben und einfach machen, ohne Unterstützung der Stadt, ohne Hilfsmittel. Ildar denkt sich ab und zu, mit so vielen Möglichkeiten wie es in Österreich gibt, würden Russen viel mehr machen.

„Die Sozialhilfe in Russland reichte für zwei Liter Milch pro Woche und ein Stück Weißbrot.“

Ildar hat den Umbruch von der Sowjetunion zum neuen Russland als jugendlicher Punk miterlebt. Für Politik hat er sich aber nie interessiert. Er wollte einfach nur eine gute Zeit haben und bloß keine Diskussionen. Bis heute hat Ildar kein Verständnis für Politik, denn für ihn ist Politik sowieso nur „unehrlich und scheiße“. Seine Generation hat keine Demos veranstaltet, sagt Ildar. Die nachfolgenden Generationen gehen auf Demonstrationen, sind viel europäischer.

„Wir wollten einfach unseren Frieden. Wir wollten Punkrock spielen, skaten und mit hübschen Frauen Zeit verbringen. Ich kann mich nicht an lange Diskussionen über Politik erinnern, uns war das alles egal.“

Er sagt auch, Russland habe seit dem Zerfall der Sowjetunion erst durch „Pussy Riot“ eine Veränderung erlebt. Er selbst ist ein Jahr danach nach Österreich gegangen. Hierher hat ihn allerdings die Liebe geführt. Seine jetzige Frau lebte bis dahin viele Jahre mit ihm in Moskau. Zu ihrer gemeinsamen Zeit gab es keine Probleme mehr, wie Ildar sie als Jugendlicher erlebte.

Typ liegt auf einer Bühne

Ildar Da

Eine Leberkäs-Semmel bitte

In Wien angekommen, konnte er nur einen Satz: „Eine Leberkäs-Semmel und ein MezzoMix, bitte“. Heute, nur fünf Jahre später, spricht er fließend Deutsch und ist Booker für österreichische Bands in Russland, zum Beispiel für Anna Threat oder Schnitzelbeats.

Die Messer Chups sind eine russische Surfband, sie spielen am 19.06 im Chelsea in Wien

Wenn Ildar am Wiener Gürtel ausgeht, fragen Menschn ihn garantiert nach der russischen Politik oder nach Homophobie. Im Nebensatz erzählt Ildar, dass er viele homosexuelle Freunde in Moskau hat, denen es gut geht. Zum Thema Homophobie stellt er die Gegenfrage, wie es denn für ein homosexuelles Paar wäre, wenn sie sich auf einem Feuerwehrfest am Land in Österreich küssen würden.

Ich merke ihm an, dass es ihn stört, dass österreichische Medien vorwiegend über Negatives aus Russland berichten. Ihm fehlt die Berichterstattung über Positives, etwa „Line-Ups auf Festivals in Russland, die oft breiter aufgestellt sind als in Österreich“.

„Leider oder zum Glück bin ich politisch nicht aktiv.“

Wir finden dann ein einfacheres Thema: Alkohol. Vor allem der selbst gebraute Alkohol, den er seinem Vater regelmäßig klaute. Ein wirklicher Troublemaker war er aber nie, sagt Ildar. Alle seine Freunde wurden oft verhaftet, er wurde nur einmal beim Schwarzfahren erwischt. Daraufhin lacht er laut, nämlich über sein Glück.

Heute in FM4 Auf Laut

In FM4 Auf Laut diskutiert Rainer Springenschmid heute mit Ildar Da und der österreich-russischen Künstlerin Anna Ceeh ab 21 Uhr darüber wie es eigentlich ist in Russland zu leben. Welche Erfahrungen hast du mit oder in Russland gemacht und wie sollen wir mit Russland umgehen? Ruf an und diskutier mit! Die Nummer ins Studio ist 0800 226 996.

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