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Szenenbild aus "Dietland"

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Hungrig und angefressen

Die Serie „Dietland“ bündelt alle möglichen Diskussionen, die unter den Hashtags #metoo und #TimesUp geführt werden. Ein satirischer Biss in Richtung Schönheitsindustrie, vor allem aber ein feministischer Kampfschrei.

Von Pia Reiser

Die Serie „Dietland“ ist die Antwort auf die Bitte des Debatten-Zeitgeists nach einem Selbstporträt. Die Serie scheint so eng vernäht mit all den #metoo-Diskussionen, die sich täglich in den Medien – und zwischen Menschen – abspielen, dass es kurz seltsam erscheint, dass die Romanvorlage bereits 2015 erschienen ist.

Dann aber fällt einem ein, dass der Themen-Wirbelsturm von sexueller Gewalt gegen Frauen, systemimmanentem Sexismus und fehlender Gleichberechtigung ja im Grunde in den letzten Jahrzehnten eh stets anwesend war. Aber erst seit dem Fall von Harvey Weinstein und der Bündelung von Diskussionen in praktikable Hashtags(#metoo und #TimesUp) für eine Änderung der Debatte gesorgt hat. Diese Debatte ist gekommen, um zu bleiben. Gekommen, um was zu ändern.

Szenenbild aus "Dietland"

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Joy Nash in „Dietland“

Es wäre als Hashtag zu lang, aber ich lande gedanklich immer bei Peter Finch in „Network“, der „I’m mad as hell and not taking it anymore“ live auf Sendung brüllt. Das alles schwingt mit, wenn Cate Blanchett sexistischen Fragen Paroli bietet, Sigi Maurer die obszönen Botschaften veröffentlicht, die ihr geschickt werden oder Frauen während der Angelobung von Peter Pilz den Saal verlassen.

"Die ersten drei Episoden von „Dietland“ sind bereits via Amazon Prime erhältlich

In der Serie „Dietland“ steckt eine ordentliche Portion Wut und Kampfgeist, „Dietland“-Romanautorin Sarai Walker nennt „Fight Club“ als Inspirationsquelle. Doch zunächst latscht Hauptfigur Olive, genannt Plum, eher lethargisch und voll Selbsthass durch die Straßen New Yorks. Plum beantwortet als Ghostwriterin eines Modemagazins die Zuschriften von vor allem weiblichen Teenagern, die von sexueller Gewalt berichten, sich selbst Verletzungen zufügen, mit ihrem Körper unzufrieden sind. Plum versucht zu helfen, steckt aber selbst seit Teenager-Tagen in einer Krise. Mit ihren mehr als 100 Kilo träumt sie von einer Magenverkleinerung, endlich dünn sein, endlich glücklich sein. Denn das ist sie trotz jahrzehntelangem Antidepressiva-Konsum nicht. In kurzen Sequenzen sieht man wie Plum sich selbst sieht: Als dicke Cartoonfigur mit müden Augen. Den Spiegel zuhause hat sie abgeklebt, der Weg in die Redaktion ist für sie eine Qual, die Redaktion des Modemagazins eine reine Tortur: Wer hier arbeitet, an dem schlackert Kleidergröße 36.

Die Eiskönigin des redaktionellen Schönheitstempels ist Kitty (Julianna Margulies) mit erdbeerblondem Haar, das an Jessica Rabbit erinnert. Mode- bzw Frauenmagazinen sind eigentlich dafür gemacht, dass ihre Leserinnen sich schlecht, dick und hässlich fühlen und sie präsentieren ihnen Produkte, die bei der Selbstoptimierung helfen. Diese absurde Funktionsweise ist wie gemacht für den satirischen Ton, den „Dietland“ anschlägt in seiner Anprangerung des Diktats der Schönheit.

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Doch „Dietland“ geht weiter. Ganz im Sinne des „The Handmaid’s Tale“-Sinnspruchs „Don’t let the bastards grind you down“ rütteln zwei verschiedene Organisationen am Patriarchat. „Calliope“ ist ein feministisches und finanzstarkes Kollektiv, das Frauen hilft, ihre Ideen umzusetzen, wie „Calliope“-Mastermind es formuliert. Und dann ist da noch die radikale Gruppe mit dem unradikalen Namen „Jennifer“: Verborgen hinter Hexenmasken entführen und töten „Jennifer“-Mitglieder Männer, die Frauen vergewaltigt haben. Und lassen sie z.B. aus Flugzeugen fallen, mitten in New York. Da landet der Fotograf, der sicher nicht zufällig eine Dov Cheney/Terry Richardson-Brille trägt, im Salat einer Manhattan Business-Lady.

Dramaturgisch hat „Dietland“ durchaus Schwächen. Nicht immer sitzt der Tonfall. Nicht immer funktioniert das Wechseln zwischen der Thematisierung von sexueller Gewalt und dem satirisch-beißenden Tonfall, der sich am gesellschaftlich aufoktroyiertem Zwang, schlank und schön zu sein - und wenn nicht, sich deswegen ordentlich schlecht zu fühlen - festbeißt. Während die Serie selbst mit dem Geschichtenstrang um die mysteriöse Organisation „Jennifer“ wohl die Angst vor dem „Feminismus“ einiger Herrenwitz-Erzähler bebildert und vor brutalen Szenen nicht zurückschreckt, so steckt im Herzen der Serie - soweit sich das nach drei Episoden feststellen lässt - eine herrlich schmeichelweiche Botschaft an Frauen: Be kinder to yourself.

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