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Oneohtrix Point Never Portrait

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Interview

Neues Album „Age Of“

Oneohtrix Point Never hat sich mit einem komplizierten Künstlernamen und mit komplizierter Musik in die Beletage des Pop gespielt. Sein neues Album heißt „Age Of“.

Von Christian Lehner

Mit Baseballkappe, Arbeiterhemd und Jeans sitzt Daniel Lopatin in einem noblen Vintage-Salon. Ein Szenario mit Symbolcharakter. Das deutsche Pop-Feuilleton steht Schlange an diesem Promo-Tag in Berlin. Alle wollen ein Stück vom nerdigen Maestro. „Hätte ich gewusst, wohin mich dieses Projekt bringt, hätte ich mir seinerzeit nicht diesen dämlichen Künstlernamen ausgedacht“, so Lopatin. Er lacht, als er das sagt. Der Name ist wie ein Tattoo der Kategorie Jugendsünde. Er geht einfach nicht mehr weg, aber das Mal gehört mittlerweile einfach dazu.

Oneohtrix Point Never in Berlin

Christian Lehner

Oneohtrix Point Never ist immerhin googlebar. Und der Name signalisiert, dass man es hier nicht mit einem leicht verdaulichen Pop-Produkt zu tun hat, auch wenn es nach einem solchen benannt ist. Es handelt sich dabei um eine ironische Brechung von „Magic 106.7“. Das ist eine Radiostation in Massachusetts, die ein kommerziell ausgerichtetes Adult-Contemporary-Programm fährt. Daniel Lopatin ist in der Gegend aufgewachsen als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer.

Das ganze Interview mit Oneohtric Point Never gibt es im FM4 Interviewpodcast

Schon als Kid drehte er am Roland Juno-60 Synthesizer des Papas. Am renommierten Pratt-Institute in Brooklyn studierte Daniel Philosophie und Archivwissenschaften, ein Schlüssel zum Verständnis seines künstlerischen Ansatzes. „Ich finde Geschichte faszinierend, weil sie so instabil ist. Wir öffnen Archive und denken, dass wir dort Antworten finden. Doch eigentlich finden wir nur Fragezeichen.“

„Black Snow“ vom neuen Album „Age Of“

Lopatin hantiert mit den Gedächtnisleistungen von Computern und bettet sie in einen philosophischen Kontext. „Billige“ Midi-Sounds von Computerspielen zählen dazu, ebenso wie die komplexen Arrangements der väterlichen Klassik- und Stevie-Wonder-Plattensammlung und die kuriosen „Glitch“-Geräusche der ersten PCs: rotierende Floppy-Disks, sich einwählende Datenleitungen, System-Crashes. Und immer wieder AOR-Rock, von Fleetwood Mac bis Seals & Croft.

Das Referenzsystem von Oneohtrix Point Never ist also so üppig wie ein gut gefüllter Bookmark-Ordner. Der 35-Jährige nennt Industrial und Thrash Metal als frühe Einflüsse. Später kamen Künstler wie Mike Kelley und Jim Shaw dazu. Letzterer hat das Cover-Photo des neuen Albums „Age Of“ geschossen. Dann die unvermeidlichen Nietzsche, Kubrick und Debord, diverse AI-Philosophen, russische Literatur und New Age Musik. Man kann mit Lopatin richtig losnerden. Zum Beispiel, wenn es um Renaissance-Maler mit Hang zu großen Leinwänden und apokalyptische Themen geht.

Cover Shot - Oneohtrix Point Never - Age Of

WARP Records

„Age Of“ von Oneohtrix Point Never ist auf WARP erschienen. Hier geht’s zum Interview-Podcast.

Anhand dieser Linie lässt sich auch die künstlerische Entwicklung Lopatins aufdröseln. Begonnen hat er Mitte der Nullerjahre als Noise-Musiker in Brooklyn, später machte er sich über Samples von Werbemusik aus den Siebziger-Jahren her und gilt seitdem als Mitbegründer retrogardistischer Mikrogenres wie Hauntology oder Vaporwave.

Auf dem achten Album „Age Of“ hat Oneohtrix Point Never nun zu einer Klarheit in Form und Struktur gefunden, die man bisher noch nicht von ihm kannte. „Früher habe ich das gesamte Arrangement deformiert“, so Lopatin im FM4-Interview, „heute interessiere ich mich für die Bearbeitung einzelner Instrumente und was sich dadurch an Bedeutungsebenen verschiebt.“

Auf „Age Of“ tauchen immer wieder vertraute Klänge auf. Wir kennen sie aus der Musikgeschichte: asiatische Saiteninstrumente, ein Cembalo, eine Trompete. Diese Klänge werden durch den digitalen Häcksler gedreht. Oneohtrix Point Never treibt jedoch nicht die blanke Zerstörungswut, er möchte vielmehr die Vorstellung, die wir von diesen Instrumenten haben, von ihrem historischen Ballast befreien, um sie für neue Spielarten zu öffnen. Es ist das utopische Moment von „Age Of“. Oneohtrix Point Never hebelt die Herrschaft der kollektiven Erinnerung aus, die stets von den Herrschenden definiert wird.

Dass sich der selbsterklärte Poststrukturalist nun ausgerechnet am Format des Popsongs anlehnt, ist in diesem Zusammenhang kein Widerspruch. Immerhin hat Oneohtrix Point Never in der Vergangenheit schon ausreichend den Vorschlaghammer ausgepackt. Besonders eindrucksvoll auf dem Vorgängeralbum „Garden Of Delete“ (2015), einer „Vorwegnahme der Trump-Ära und der Kultur, die dazu geführt hat.“

„Sticky Drama“ vom Vorgängeralbum „Garden Of Delete“

Die vergangenen Kollaborationen mit MusikerInnen wie Anohni, David Byrne, Nine Inch Nails und FKA-Twigs hätten Oneohtrix Point Never die Pop-Form wie „ein Schwamm“ aufsaugen lassen. „Ich liebe es, die Welt durch die Arbeit anderer Künstler zu erleben. Und dann schlüpfe ich in meinen eigenen Virtual-Reality-Anzug.“

Am Album selbst sind befreundete MusikerInnen wie Anohni, Prurient und Kelsey Lu zu hören. Beim Produzieren half der britischen Post-Dub Step-Star James Blake. Am Ende liefen alle Wege aber doch wieder bei Oneohtrix Point Never zusammen, der sich auch weiterhin als Einmannorchester versteht und sämtliche Elemente der davor eingespielten, eingesungenen oder gesampelten Musik via Keyboard kontrolliert.

„The Pure And The Damned“ in Zusammenarbeit mit Iggy Pop.

Live inszeniert Oneohtrix Point Never seine Musik wie eine Cyber-Oper. Nach einer seiner Aufführungen bat ihn Usher um einen Song. „The Station“ war dann wohl doch etwas zu avantgardistisch für den R’n‘B-Superstar. Da hat Oneohtrix Point Never das Stück einfach selbst eingesungen und auf sein neues Album gepackt. Apropos Star: Für den in Cannes preisgekrönten Soundtrack zum Film „Good Time“, arbeitete er mit dem Ur-Punk Iggy Pop zusammen. „Nein, mein T-Shirt musste ich dafür nicht ausziehen“, grinst der Star-Nerd, nimmt seine Baseballkappe vom Kopf und legt sie auf das Edelsofa neben sich.

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