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Filmstill aus Hereditary

Einhorn Film

Schleichender Schrecken

Ein kleiner Indie-Schocker wird als Horrorphänomen des Jahres gefeiert. Sogar abgebrühte Kritiker berichten von schlaflosen Nächten, die ihnen „Hereditary“ bereitet hat.

Von Christian Fuchs

Auch abseits der hysterisch grassierenden Spoilerphobie: Eine ausführliche Inhaltsangabe zu diesen Film sollte man sich tatsächlich eher sparen. Es reicht zu wissen, was auch der spooky Trailer von „Hereditary“ erzählt: Da ist eine gutbürgerliche Familie, die nach dem Tod der dominanten Großmutter nicht zur Ruhe kommt. Eine beklemmende Atmosphäre drückt dauerhaft die Stimmung in dem abgelegenen Haus am Waldrand, in dem die Grahams wohnen. Bis die übernervöse Angespanntheit plötzlich von einer Kette furchtbarer Ereignisse auf die Spitze getrieben wird.

Aus einem solchen, relativ beliebig klingenden Stoff, könnte man nicht nur ein dysfunktionales Indie-Familiendrama maßschneidern. Im Genrekontext muss man wohl sofort an einen der beliebten Gespensterfilme der Gegenwart denken. Die beiden putzigen Kinder würden darin unheimliche Stimmen im Kleiderschrank hören, die mutigen Eltern irgendwann einen Exorzisten kontaktieren. Das alles natürlich in eine Geisterbahn der Spezialeffekte verpackt, wie sie Jason Blumhouse, der Erfolgsproduzent von Franchises wie „Insidious“ oder „The Conjuring“, so liebt.

Filmstill aus Hereditary

Einhorn Film

Eher Arthouse als Blumhouse

Aber „Hereditary“ ist anders. Eine anfängliche Idylle, die dann zerstört wird, gibt es gar nicht in diesem kleinen Glanzstück des Grauens. Die Kinder der Grahams (herausragend: Milly Shapiro und Alex Wolff)sind überängstlich und beschädigt, Gabriel Byrne als Vater schwer apathisch und Mutter Annie, wahnwitzig gespielt von Toni Colette, ein einziges Neurosenbündel. Diese Familie hat einen schweren Dachschaden und mit dem Tod der Oma stürzt auch die Fassade ein.

Vor allem ist es aber die formale Umsetzung, die das Debütwerk des jungen Regietalents Ari Aster so speziell macht. Der 31-jährige Amerikaner besticht nicht nur in Interviews mit seinem Filmwissen und einer Eloquenz, die an Altmeister wie Martin Scorsese denken lässt. Aster bricht, geschult durch Regisseure wie Dario Argento, Stanley Kubrick oder David Lynch, regelmäßig mit den Ansätzen von Realismus in seinem Werk und feiert die bewusste Künstlichkeit. Der Schlüssel zur Ästhetik von „Hereditary“ sind dabei die kunstvollen Miniaturmodelle, die Toni Colettes Figur bastelt und dann in Galerien ausstellt. Sehr oft wirken Szenen in dem Film wie Blicke in ein Puppenhaus, in dem die Figuren gefangen und einem entsetzlichen Schicksal ausgeliefert sind.

Filmstill aus Hereditary

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Alles an dieser Schauergeschichte ist eher Arthouse als Blumhouse: Die streng zentrierten Einstellungen, der Verzicht auf klischeehaft wirkende CGI-Dämonen, der avantgardistisch anmutende Soundtrack. Vor allem aber dürfte das schleichende Tempo manche Zuseher mit Blockbuster-Sehgewohheiten irritieren. Dass „Hereditary“ dennoch gerade seinen Weg vom Sundance-Festival-Hype mitten ins Herz des Mainstreams findet, liegt am Hunger nach genuinen Gruselerfahrungen seitens des Publikums. Irgendwie hat man alles schon gesehen, wird nur noch Vergangenes neu aufgewärmt oder zitiert bis zum Erbrechen.

Ari Aster versucht dagegen ernsthaft neue Bilder für den unbeschreiblichen Horror zu finden. Selbst wenn er sich über die Vergleiche der Kritiker freut, die von „Rosemarys Baby“ über „The Shining“ bis zu „The Exorcist“ reichen, direkte Referenzen auf diese und andere Streifen, die der Regisseur schon als Pubertierender verschlungen hat, gibt es nicht in „Hereditary“. Nur pingelige Spurensucher werden cineastische Verweise finden, alle anderen dürfen sich einfach zurücklehnen. Und tiefer und tiefer in den Kinosessel rutschen. Es warten keine lustigen Jumpscares oder gängigen Nervenkitzleien da draußen in der Dunkelheit auf dich. Aber dafür das Gefühl nachhaltiger Verstörung und Erschütterung.

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