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Spain's forward Diego Costa (L) vies with Portugal's defender Jose Fonte

Jonathan NACKSTRAND / AFP

Blumenaus WM-Journal

Das war jetzt der echte WM-Auftakt - und gleich mit Final-Niveau

Einmal Weltklasse-Kunst, einmal Irrsinn am Kindertisch und einmal anständiges Handwerk - diese WM kann also doch Fußball.

Von Martin Blumenau

Wenn sich bis hierher einfach noch kein Gefühl für das größte Turnier des schönsten Spiels der Welt eingestellt hatte: das Abendspiel, das finalwürdige 3:3 zwischen Portugal und Spanien hat die Tür geöffnet.

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Die Tür hinein in das Herz des Spiels, und das Herz des Spiels hat nichts mit Verdienst-Rankinsgs, Rekord-Transfers, Weltverbands-Korruption, gesellschaftspolitischen Irrläufern, Doping oder Insta-Auftritten zu tun. Das Herz schlägt dort, wo es unberechen- und unwegbar wird, es schlägt dort, wo die Matches kippen, weil einzelne Situationen ein Momentum bringen, das alles vorher als gesichert angenommen wieder auflöst. Dort, wo das Unerwartete und das Unerhörte sich den Weg in die Wirklichkeit bahnen. Das Herz des Spiels schlug heute Abend in Sochi.

Ich möchte die Magie des 3:3 nicht mit einer plumpen Nacherzählung zerstören - wer’s nicht gesehen hat, sollte das nachholen. Aber die vielen Wendungen, die vielen Comebacks, die vielen außergewöhnlichen Einzel-Leistungen, die vielen Missgriffe und Fehlpfiffe und auch die schlussendliche Punkteteilung - es sind alles Zutaten, die dieses Match historisch machen. Und auch der Fakt, dass dieses 3:3 der Punkt war, an dem die WM wirklich begonnen hat.

Gestern war nichts.

Heute am Frühnachmittag absolvierten zwei anständige Mannschaften ein handwerklich brauchbares Spiel, das zwei Erkenntnisse nach sich zog. Zum einen, dass es in Gruppe A doch Mannschaften mit Niveau gibt; zum anderen, dass Last-Minute-Entscheidungs-Tore immer grausam sind.

Das Last-Minute-Ausgleichstor von Ronaldo lässt immer noch zu, dass sich alle als Gewinner fühlen - der Kopfballtreffer von Gimenez hatte eher destruktive Wirkung. Uruguay mag einen Deut besser gewesen und den Sieg so mehr verdient haben, richtig fühlt es sich trotzdem nicht an.

Noch ein Eckhaus falscher das Resultat beim Essensschlacht-Kindergeburtstag des späteren Nachmittags: zuerst eine Halbzeit aufgedrehter Spaß, dann eine Halbzeit wehleidiger Spielverderberei. Und dann der Schwächere als Sieger wegen eines Eigentors des (eh auch) Schwachen. Fühlte sich ganz komisch an.

Das Herz des Fußballs lebt nämlich nicht in Resultaten, sondern in der Relation zwischen Zahlen und Emotion, zwischen Einschätzung und Interpretation. Weshalb ein Sieg im tagesabschließenden Wunderspiels (dem nämlichen 3:3) auch nicht gepasst hätte, aus dem stimmigen Fest für die Welt, also für alle, wieder nur gespalten hätte. Keine Sorge, je länger das Turnier vor sich hin rumpelt, je mehr Bemessungs-Material vorhanden sein wird, desto mehr werden sich die Relationen schärfen, desto akzeptabler werden aus 90 Minuten heraus nicht zu rechtfertigende Siege respektive Niederlagen. Aber so weit sind wir an Tag Eins eben noch nicht.

Ganz was anderes

Es war heute wieder einmal so, dass die offiziellen taktischen Formationen, die vor dem Spiel eingeblendet werden, mehrheitlich nicht stimmen. Von den untauglichen Mitteln diverser Host-Broadcaster dann während des Spiels noch was untendrunter durchlaufen zu lassen gar nicht zu reden: Das stimmt ja nie.
Aber sowohl bei Marokko vs. Iran als auch bei Portugal - Spanien war alles falsch. Alles. Wenn auch wohl aus unterschiedlichen Gründen. Im maschek-Derby hatten die beiden Trainerfüchse die Öffentlichkeit bewusst getäuscht, beim iberischen Derby hingegen stand nur der allgemeine Unverstand im Weg. Und das dann auch länger im Spiel. Wenn Isco fürs Zentrum angesagt wird, dann sieht man ihn (in der ARD) auch gut 20 Minuten dort, obwohl er deutlich sichtbar auf der linken Seite arbeitet. Nur als Beispiel.

Ich weiß, dass das vielen wurscht ist, dass es den meisten darum geht, den Ball und die Ballführenden zu beobachten, und nicht auf das gesamte Gefüge zu achten: aber es ist das Gefüge, das für die Magie sorgt, nie der Ballführende allein, der ist ohne Unterstützung, ohne das richtige Positionsspiel, ohne gscheite Laufwege, ohne kreative Ausreißer ohne sensible Verschiebungen machtlos. Und dieses Gefüge, das ergibt sich nicht irgendwie, das folgt einem Plan, einem zwischen Trainern und Spielern akkordierten, agiert in einem System, das sich im Lauf des Spiels, je nach Bedarf, ändern kann. Das Wissen um die Grundformation ist also so wichtig wie das Wasser für den Kaffee.

Jedenfalls hatten Renard und Queiroz etwas ganz anderes angekündigt, als sie dann spielen ließen - das waren zwei recht unterschiedlich angelegte Ideen eines 4-5-1. Beim Iran entpuppte es sich als schlampig abgespultes 4-3-3 (mit dem Starstürmer auf der rechten Seite, wo er sich dann Teile des Spiels auch noch in die Abwehr zurückfallen ließ), bei Marokko als unglaublich freizügiges Konzept, in dem außer den beiden Innenverteidiger und dem Center niemand „normal“ agierte: die Außenverteidiger waren Flügelstürmer und die fünf Mittelfeldspieler durften den riesigen restlichen Raum völlig fluid nützen. Das taten sie für 20 Minuten grandios (da sah der Iran schon aus wie das nächste Saudi-Arabien), für 25 okay. Die restlichen 45 verweigerten sie - ebenso wie der Gegner. Dass der eigene Center-Stürmer dann ein Eigentor köpft, setzt diesem absurden Match die Krone auf.

Spanien spielte wie zuletzt eigentlich immer 4-3-3, mit Koke und Iniesta auf den Halb-Positionen und Isco sowie Silva außen; auch fluid interpretiert, eh klar. 4-2-3-1, wie behauptet war es aber keines.

Portugal schwankte zwischen einem defensiven 4-4-1-1 und einem offensiven 4-4-2 bzw. einem situativen 4-3-3 (wenn sich Ronaldo nach links fallen ließ). 4-2-3-1, wie behauptet war es aber definitiv keines, dazu wurde zu viel auf einer Linie agiert; just saying.

Immerhin trafen die Match-Formationen bei Ägypten gegen Uruguay halbwegs zu. Darauf lässt sich aufbauen. Wie überhaupt auf diesen WM-Tag. Weil der alles hatte: Erwachsenes und Kindliches, Handwerkliches und Künstlerisches, Magisches und Emotionales. So ist das mit dem Herzen eben.

Alle Gruppen in der Übersicht

Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D
Russland Portugal Frankreich Argentinien
Saudi-Arabien Spanien Australien Island
Ägypten Marokko Peru Kroatien
Uruguay Iran Dänemark Nigeria
Gruppe E Gruppe F Gruppe G Gruppe H
Brasilien Deutschland Belgien Polen
Schweiz Mexiko Panama Senegal
Costa Rica Schweden Tunesien Kolumbien
Serbien Südkorea England Japan

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