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Iron Maiden am Novarock 2018

Franz Reiterer

festivalradio

Wo die Nostalgie zuhause ist

Das Nova Rock Festival geizt auch heuer nicht mit Auftritten von Musiklegenden. Das kann gut sein, das kann schlecht sein. Ein paar Gedanken zur heurigen Ausgabe des größten österreichischen Rockfestivals.

Von Lisa Schneider

Eine eigene Welt ist das, die Festivalwelt, in die man im Fall des Nova Rock wahlweise auch bis zu fünf Tage eintauchen kann. Rundherum gibt’s nichts, alles, das ganze Leben, Freundschaften, Romanzen, Streit, Essen, Dixie-Klos, alles findet auf wenigen Quadratkilometern statt und das gemeinsam mit knapp 199.999 anderen FestivalbesucherInnen. Es entwickelt sich eine eigene Sprache, und man versteht das Festival eigentlich erst am letzten Tag oder am vorletzten so richtig, als Fred Durst auf der Bühne gestanden ist, aber dazu später mehr.

Novarock Crowd

Patrick Wally

Das Nova Rock ist in den letzten 14 Jahren zur größten Festivalinstitution Österreichs geworden. Man will sich da gern schon mal Gedanken darüber machen, was das Festival ausmacht, wieso die Menschen jedes Jahr wieder, auf die Pannonia Fields strömen.

So war’s am ersten, zweiten und dritten Abend des heurigen Novarock Festivals.

Tatsächlich gibt es da ganz verschiedene Meinungen. Welcher ich mich anschließen werde, ist noch nicht ganz klar. „Wegen der Musik kommen sie, ganz klar“, sagen die, die sich hier auf und über Billy Idol, Iron Maiden, Marilyn Manson gefreut haben. Das erzählen mir auch zwei BesucherInnen, die das achte Jahr in Folge hier her fahren, ohne Alkohol, mit dem Auto. Sie wollen sich Bands wie Eisbrecher ansehen. Ich glaube es ihnen. Ein kurzer Schwenk auf den Zeltplatz verspricht andere Aussichten, man kennt das. Bier, Bierhelme, mit Gaffa-Band an Campingsessel angeklebte Besucher; oder sogar solche, die sich gleich zusammenkleben. Man weiß ja nie, wer in der Menge vor der Bühne so untergehen könnte.

Das Nova Rock Festival ist seit der Gründung so ziemlich DAS Festival, wenn’s um den ersten Festivalbesuch geht, ich war das erste Mal im Alter von 17 Jahren hier, gleich nach der Matura. Ein prägendes Erlebnis, weil full in: Am besagten Campingplatz, wo dir nachts jemand ans Zelt pinkelt, du wenig schläfst, du im Bikini duschen gehst, in klebrigen Kabinen. Und du hineinwächst in die große, nur teils anonyme Festivalfamilie. Von außen ist es schwer zu beschreiben, die oben erwähnte Festivalbubble, und es taucht eher oftmals die Frage auf: Wieso sich das antun?

Novarock Schlammspringen 2018

Patrick Wally

Immer wieder Besuchermagnet

Das Nova Rock ist ein Festival des Immer-Wieder-Kommens; man wird es nur ganz verstehen, wenn man einmal hier war. Es geht nicht nur den BesucherInnen so, es geht auch den Bands so. Jedes Jahr trumpft das mittlerweile viertägige Festivalprogramm mit Legenden aller Sparten auf, Acts, die man sehr oft in den letzten 14 Jahren am Line-Up-Plakat gelesen hat, Volbeat ist eine dieser Bands, über die Jahre immer größer geworden, jetzt gerade, wenn nicht am Nova Rock, auf Tour mit etwa Metallica. Es ist auch Marilyn Manson, der gern wiederkommt, oder Limp Bizkit. Diese beiden treffen sich auf den Pannonia Fields wie Yin und Yang.

Marilyn Manson am Novarock Festival 2018

Patrick Wally

Legendenversammlung

Marilyn Manson, Häretiker, Rockstar, Kultmusiker und Kunstblutvergießer, hat als Headliner des ersten Abends hier versagt. Kraftlos und leider alt hat er gewirkt, dabei ist er bei Weitem nicht der älteste Leadsinger am Nova Rock: Billy Idol zählt stolze 62 Jahre; das schönste und vitalste Beispiel aber ist allen voran Ice-T mit knappen 60 Jahren; der sich seine Fitness daher erklärt, er lebe jetzt nur mehr „straight edge - no drugs, no liquor, nothing“. Mit seiner 1989 gegründeten Band Body Count tourt er auch jetzt wieder, neben der Karriere als TV-Star, erst letztes Jahr ist das neue Album „Bloodlust“ erschienen. „Only because I’m gettin’ older, why should I stop making music? It’s the same question as: Why should I stop having fun? Music is the fountain of youth.“

Body Count am Novarock 2018

Franz Reiterer

Fred Durst von Limp Bizkit spielt zwar keinen Headliner-Slot wie Manson, aber er hätte ihn verdient, und es ist auch einer der bestbesuchten Gigs am ganzen Festival - wohl dicht gefolgt von Volbeat. Am vorletzten Abend, Samstag, bespielt er gegen zehn Uhr die Blue Stage. Staunen, schwelgen, headbangen, was ist hier eigentlich los? „November Rain“ gibt’s zu hören, „Seven Nation Army“, eine George-Michael-Anspielung ("this song goes out to all of you Austrians who look like George Michael) mit „Faith“, das dann hineingebrettert wird in eine bandeigene Version des Hits. Und das war noch nicht alles. Zu Ice-T-Sounds werden die Hände gehoben (es ist sogar die Bassistin eben seiner Backline mit Limp Bizkit auf der Bühne, sie ist großartig).

Das ist alles gleichzeitig furchtbar schrecklich und furchtbar toll. Kopfschütteln will man, Kopfnicken wird dann draus, es ist dann doch die pure Unterhaltung, so perfekt hierher zugeschnitten, man will sich wünschen, Fred Durst hätte dieses Mash-Up-Set allein für die Pannonia Fields zusammengestellt. Und dann kommt er auch schon, der Song, der das Nova Rock in seiner legendären Stilsicherheit am meisten von allen geprägt hat, wohl für immer prägen wird: „Killing In The Name Of“ von Rage Against The Machine, wer ihn nicht kennt, ist hier falsch, alle andere brüllen mit „fuck you / I won’t do what you tell me“.

Limp Bizkit am Novarock 2018

Patrick Wally

Aufstehen gegen alles und jeden, ein kleiner Hauch Anarchie bläst hinweg über die Tausenden, die sich vom sehr charismatischen Frontmann Durst unterhalten lassen; in so einem Moment denkt man sich, das Nova Rock braucht und will nur fünf Songs hören, und das ist nicht negativ gemeint. Was, wenn es nämlich die besten fünf sind?

Fred Durst hat - vielleicht ohne es zu wissen - das Nova Rock verstanden, skurriler- oder großartigerweise versteht er offenbar auch die Booker, die auf große, ja, alte Namen setzen, vieles davon funktioniert nicht mehr so ganz, anderes wie in diesem Fall hervorragend. Ähnlich verhält es sich beim sehr guten Set von Jonathan Davis, der sich momentan weniger um seine Band Korn als um sein Soloprojekt kümmert; auch so gesehen bei Brian Fallon, Sänger und Schreiber der Band Gaslight Anthem, jetzt in neuem, gitarrentechnisch sehr gutem Gewand, als quasi Ryan Adams der Pannonia Fields.

Brian Fallon am Novarock 2018

Franz Reiterer

Vom verzweifelten Kampf gegen die eigene Vergangenheit

Was das Nova Rock darstellt, bündelt sich heuer ganz stark im Auftritt einer Band: Crazy Town. „Was? Crazy Town? Die mit Butterfly?“ Ja, die mit „Butterfly“. Dem Überhit, einem der größten und auch nach wie vor besten der 00er Jahre, erschienen vor bald 20 Jahren, der die Hiphop-Metal-Crossover-Band aus L. A. auch an die Spitze der UK-Charts katapultiert hat.

Im Tourbus sitzend hätte ich Shifty Shellshock gerne gefragt, für wen er diesen Song eigentlich damals geschrieben hat; bin aber froh, dass er mir in den fünf Interviewminuten mehr erzählt und ausholt. Auf seiner Kappe steht „The Curse Of The Butterfly“, das ist der Name des nächsten Albums, erzählt er. Es ist das Wiederverwerten dessen, was er mittlerweile schon mehr als hassen muss; den Namen verwendet er aber erneut, er ist viel Geld wert ist. Das ist amüsant, im ersten Moment, und traurig, im zweiten. Der Gig ist es nicht: Er ist in Ordnung, er ist stellenweise sogar sehr gut, druckvoll, ohne schiefen Ton, gut laut. „Butterfly“ sitzt am Ende des Sets, weil Shifty weiß, die Leute gehen sonst früher. Es ist eine eigene kleine Tragödie um diese Band, das Festhalten, wo man selbst spürt, der Strohhalm wird langsam zu kurz; der Fluch „One Hit Wonder“ nimmt hier Ausmaße an, die sich im promowütigen Verhalten niederschlagen, ja, „es kommt was Neues, was Anderes, wir sind nicht nur ein Song, wir sind eine Band“. Den BesucherInnen ist das leider egal.

Crazy Town am Novarock 2018

Patrick Wally

Und um dabei zu bleiben, noch eine Band, und diesmal nur die positiven Aspekte des Novarock, bündelt auch Billy Talent. Die großen Kanadier, die um die Welt touren, die im Interview erzählen, wie sehr sie Österreich lieben. Natürlich, man weiß, wie man mit dem Publikum sprechen muss, um die Euphorie herauszukitzeln. Aber es ist mehr als das. Die Band gibt es heuer seit 25 Jahren, damals noch als Schulband namens Pezz gegründet; sie haben viel gespielt und werden jedes Jahr zur besseren Liveband. Schweiß, Geschrei, die große Geste im Punkrockmantel, gegen Trump, anti alles, was der Freiheitsidee ihrer Musik entspricht. Ein gut ausgesuchter Act für den letzten Tag am Nova Rock, der das Ruder herumreißt und zeigt, wie es gehen kann, wo der Weg nach oben geht. Es ist auch besonders schön zu sehen, dass sie zumindest für einige Songs in Originalbesetzung zu sehen sind; Drummer Aaron Solowoniuk musste sich krankheitsbedingt einige Monate Pause nehmen, ist jetzt aber auf Tour wieder mit dabei.

Iron Maiden beenden, zumindest was die Blue Stage angeht, das Novarock 2018. Eine Band, für die viele Fans auch extra nur für einen Tag anreisen. Es ist eine wild-theatralische Rock-Operette, mit ständig wechselnden Outfits und Bühnenbildern, mit Schwertkämpfen auf der Bühne, vor allem aber unglaublich guten Gitarrensoli. Es passt zur Institution Novarock, diese Legenden in die letzte Stunde zu buchen, zum Farewell, bis 2019 dann, wo schon die ersten Headliner in den Startlöchern stehen (Die Ärzte).

Ein Festival, sie alle zu kennen

Das Novarock bietet eine in Österreich einzigartig nostalgische Festivalkultur. Das ist gut, das ist mal nicht so gut: Einlassen muss man sich, am besten hat man mit einer Band ein besonders enges, schon langwährendes Verhältnis, weil genau das ist es, was diese vier Konzertabende hier ausmacht. Es geht nicht ums Entdecken neuer Bands, was schade ist, aber einfach auch nicht die Idee von all dem hier. Das Festival trägt en gros eine gestaltungstechnisch alte Last mit sich herum; aus anderer Perspektive gesehen würde es heißen: Das Novarock bleibt sich treu.

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