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Publikum bei Honey Dijon

Di Philipp Meikl

festivalradio

Nach wie vor sprunghaft

Im Jahr 4 nach dem Neustart gelingen Nächte am Springfestival in Graz mit viel Zutun des Publikums. Zu Marken, Mode und Momenten der letzten fünf durchgemachten Nächte.

Von Maria Motter

Der Moment, in dem plötzlich ein bekanntes Gesicht auftaucht, und dich ein Freund bei der Hand nimmt und dich weiter nach vorn zu den Tanzenden zieht, kann nur Gutes bedeuten. Am Springfestival meinen es diesmal wieder deutlich mehr Menschen ernst. Sie sind um zwei Uhr nachts auf den Beinen, sie wollen tanzen. Es gibt noch immer recht viel Platz auf den Tanzflächen. Hatte sich das Festival in den ersten zwei Tagen auf eine Hauptlocation beschränkt, konkurrieren am Wochenende Postgarage und Dom im Berg ums Festivalpublikum.

Kruder und Dorfmeister

Daniel Kindler

Kruder & Dorfmeister

„Ein bisschen shaken!“, rief Jugo Uerdens mit Nachdruck in der Stimme zur Konzert-Primetime. Jawohl! Für die Live-Gigs, die an den Festivalabenden angesetzt waren, gab es eigene Tickets zu erwerben. Im Line-up sind die AnwärterInnen auf mögliche Highlights der Clubnächte schnell ausgemacht. Âme, Hidden Empire live, Groove-Armada-Hälfte Tom Findlay und Honey Dijon. Und wer kennt noch Kruder & Dorfmeister?

Bzw. wer hat das Duo jetzt gerade für sich entdeckt, deren Remixe und Sessions in den späten 1990er Jahren weltweit Anklang fanden? Peter Kruder und Richard Dorfmeister fliegen inzwischen meist getrennt zu ihren jeweiligen, eher raren DJ-Terminen. Sie sind mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien ausgezeichnet worden und spielen anlässlich ihres 25-Jahr-Jubiläums gemeinsamen Musikschaffens dieses Jahr einige wenige Sets an ausgewählten Orten. Zum Beispiel im Mai in der Wiener Pratersauna und am Samstag in Graz am Springfestival. Für viele BesucherInnen war das Set der Fixpunkt, der entsprechend gefeiert wurde. Und Kruder & Dorfmeister haben richtig Party gemacht, schwärmen BesucherInnen.

D&K #bornwithsunglasses #kruderanddorfmeister

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Das Set von Kruder & Dorfmeister überschneidet sich mit jenem von Kollektiv Turmstraße. Die Beats purzeln so fröhlich bei den Berlinern, das kann stundenlang so weitergehen. Zuvor spielte Hidden Empire. Spaß macht auch Jan Blomqvist seine Arbeit. Dass er ja eigentlich Deutsch sprechen kann, fällt ihm mitten im Konzert ein. Dass er mal Raumfahrtstechnik studiert hat und dann doch im Techno-Universum gelandet ist, ist Berlins Clubs geschuldet. 2004 machen die Bar25, Berghain, Weekend auf. Da war das Springfestival in Graz 2001 auch gut am Start.

Ein geschmeidiges König*innenreich

Das versteckte König*innenreich der Geschmeidigkeit fand man Freitagnacht im Second Floor der Postgarage bei Honey Dijon, währenddessen nebenan, einmal durch die Schwingtüren, Grime Time. Chicago House, Soul und ein Nirvana Sample, alles fügt sich zusammen. Wie Honey Dijon den Grazer DJ Puschmann begrüßt und der den Spirit ihres Sets dann auf seine ganz persönliche Weise weiterspinnt, ist ein klasser Springfestival-Moment.

Honey Dijon ist in den Siebziger Jahren im Süden Chicagos aufgewachsen, die Eltern feierten freitags gern im Keller Partys und Honey Dijon durfte den Plattenspieler bedienen und die Alben von Isley Brothers und Minnie Riperton wechseln. Mit 12 durfte das Kind ausgehen, solange die schulischen Leistungen nicht darunter litten. Dass der Bub lieber ein Mädchen sein wollte, war so und wurde so angenommen. Honey Dijon lächelt beim Auflegen immer wieder, sie drückt die Hände Tanzender und alles ist gut. Es ist der fünfte von sechs Gigs in einer Reihe für Honey Dijon in dieser Woche. Sonntags strahlt sie auf ihrem Fahrrad in der Instagram-Story: „I need more days like this“.

Honey Dijon

Di Philipp Meikl

Honey Dijon

"Unlike today, where people just wear T-shirts and jeans to clubs, you really had to contribute and bring something to the party, be it personality, the way you put yourself together, the way you talked, or the way you carried yourself. These people took this stuff seriously”, hat Honey Dijon gegenüber der Vogue angemerkt. In der Welt der Modelabels, Luxuswaren-Unternehmen und Modefotografie ist Honey Dijon schon lange zuhause. „Fashion only lasts a little while but an open mind is always in style“, will ich Molly Nilsson zitierend hinzufügen und Honey Dijon zu ihrer Meinung zu Fanny Packs vulgo Wimmerl befragen.

Die Vorzüge des Bauchtascherls erläutert mir ein freundlicher Springfestival-Besucher aus Wien: „Es ist einfach optimal für Konzerte und Festivals, weil es passt alles rein. Geldtascherl, Schlüssel, Kopfhörer. Und man muss es nirgendwo abgeben und es kann einem nichts gestohlen werden. Optimal!“

Und wie trägt man das Bauchtascherl am chicsten? „Über die Schulter! Beim Tanzen stört es nicht. Im Notfall kann man es auch um den Bauch legen, wenn es stört“, lacht der Springfestival-Besucher. Angesprochen auf das Comeback der „Wimmerl“ dreht Mavi Phoenix ihres unter der Jacke hervor: „Ja, das habe ich auch. Aber mein Festival-Accessoire wären wahrscheinlich Halszuckerl, damit ich meine Stimme öle!“

Bitte mit scharf

Auf die Frage ans Barpersonal im Dom im Berg, was Diabetikerinnen da an Auswahl hätten, ist die Antwort: „Mineralwasser“. Indes schenkt das Barpersonal in der Postgarage mit einem Lächeln gratis Wasser in Gläser für alle Tanzenden, die keine Lust auf weiteren Alkohol oder Makava haben. Bitte, danke. Die Liebe, sie offenbart sich wie immer nicht zuletzt in den kleinen Aufmerksamkeiten. Club-Kultur kann man nicht kaufen, die lebt man oder eben nicht.

Dass im PPC zwischen den Auftritten recht uninspiriert diverse Popsongs laufen, könnte einem egal sein, ist es aber nicht. Es wirkt lieblos und haut die in den Konzerten aufgebaute Stimmung wieder zusammen. Den Dom im Berg müssen Freitagabend nach Jan Blomqvists Konzert alle verlassen - Umbaupause für eine halbe Stunde. Zudem ist ein Security-Aufgebot beim Dom im Berg positioniert, dass man sich fragt, ob Clubnächte derart gefährliche Veranstaltungen sein können. Die Securitys sind freundlich, trotzdem wirkt dieses Setting unentspannt.

Mit Auflegereien auf einer Baulücke am Lendplatz, die man kurzerhand als „Lendgarten“ bezeichnet (nein, es ist nicht der real existierende Volksgarten, wo der Schlagergarten jährlich stattfindet, aber Toni Talwärts legt auf), und im Augartenbad sowie bei einem Marktstand am Kaiser-Josef-Markt will das Springfestival auch im Freien präsent sein. Nett, aber jetzt auch nicht sonderlich innovativ ist das, legen doch DJs schon längst ständig in diversen Lokalen (u.a. im Blendend das ganze Jahr hindurch mit Bedacht gewählt und nicht nur zu Springfestival-Zeit), nach Vernissagen und zu Geschäftseröffnungen auf. Graz ist reich an DJs und Kollektiven, die Clubkultur lieben, feiern, ausgestalten: Vom Elevate Festival bis zu Taggerwerk-Nächten und zurück begleitet einen eine verwöhnende Hingabe für lange, erfüllte Nächte und späte Morgen im Taumel. Das schiebt den Regler für Ansprüche in die Höhe. Zu Recht.

Mit einem Wagen sind FH-Studierende unterwegs, um hier und da Visuals zu projizieren. Auch das Spring könnte sein Profil noch schärfen. Denn das Angebot an Festivals ist groß, und viele lassen in langen Nachtschienen elektronische Tanzmusiken hochleben. Es ist nur ein kleiner Sprung von der Beliebtheit zur Beliebigkeit. Ein Festival mitten in der Stadt ist eine fantastische Angelegenheit, aber wenn’s zu bequem wird, bleibt man vielleicht einfach zuhause.

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