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FM4 Schnitzelbeats- Drahdiwaberl

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FM4 Schnitzelbeats

FM4 Schnitzelbeats - In memoriam Stefan Weber

Stefan Weber, Österreichs wohl exzentrischster Rock-Sänger und Frontmann der Wiener Kultband Drahdiwaberl ist nach schwerer Parkinson-Erkrankung 71-jährig verstorben. Eine Spezialausgabe der FM4 Schnitzelbeats zeichnet Frühphase und Höhepunkte einer bewegten Musiker-Laufbahn nach.

Von Al Bird Sputnik

Geboren 1946 in Wien, studierte Stefan Weber ab 1964 Kunst auf Lehramt. Zunächst an der Akademie der bildenden Künste, dann an der Universität für angewandte Kunst. Schon ab den späten 1960ern arbeitete er an dem Wiener Bundesrealgymnasium Waltergasse als Zeichenlehrer (in Weber’schem Sprech: „Zeichenlehrer/Leichenzehrer“) – übrigens bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1999.

FM4 Schnitzelbeats- Drahdiwaberl

Wienbiblithek

Im Jahr 1966 gründete er die Beat-Combo Wabbbs Crew, geschrieben mit 3 B (und kurzzeitig auch als Wabbbs Gun aktiv), mit der er seine ersten Erfahrungen als Musiker und Bandleader sammeln konnte. Weber, der ursprünglich ein großer Elvis-Fan gewesen war, hatte mit 19 Jahren die harte Wiener Rhythm-&-Blues-Formation The Slaves (mit dem Ausnahmegitarristen Karl Ratzer) im Keller des San Remo Clubs gesehen und war beeindruckt. Folglich bestand auch das früheste Repertoire der Wabbbs Crew aus englischen Beat- und Rhythm-&-Blues-Nummern damaliger Tage: „Gloria“, „You really got me“, „Satisfaction“, eingängige Songs mit ordentlich Druck und schlichter Rhetorik im Zeichen jugendlichen Aufbegehrens.

Nachdem Wabbbs Crew ihre ersten anberaumten Konzerte allesamt in den Sand gesetzt hatte, fand der erste Gig der chaotischen Band in einem Veranstaltungslokal der KPÖ Wieden am Tag der Arbeit 1968 statt, der auch als Tag des sog. „Blasmusikrummels“ in die Annalen österreichischer Innenpolitik einging: Ein Aktionskomitee sozialistischer Studenten hatte damals aus innerparteilichem Protest die Live-Performance einer Trachtenkapelle beim 1.-Mai-Aufmarsch am Wiener Rathausplatz gestört, bis die Polizei einschritt. Der SPÖ-Parteivorsitzende Bruno Kreisky forderte daraufhin die jungen Saboteure auf, sich beim Wiener Bürgermeister Bruno Marek zu entschuldigen. Der Vorfall am 1. Mai zeichnet eine aufschlussreiche Milieustudie über das Revolutionsjahr 1968 in der österreichischen Provinz: Anderswo brannten ganze Stadtteile, in Wien geriet bereits der versuchte (!) Boykott einer Blasmusikkapelle zum medialen Ereignis (vulgo: „Rummel“). Und dennoch: Ein schöneres Datum für das Bühnen-Debüt des aktionistisch veranlagten und politisch höchst motivierten Stefan Weber ist eigentlich kaum denkbar.

FM4 Schnitzelbeats- Drahdiwaberl

Wienbiblithek

Im April 1969 erfolgte die Umbenennung zu Drahdiwaberl, wobei insgesamt 2 Namen zur Auswahl gestanden waren. Der andere war Fitschigogerl. Laut Weber musste der Name Wienerisch sein, um sich von den Protagonisten der damals populären „Dialektwelle“ abzuheben, die anno 1970/71 allesamt mit englischen Bandnamen firmierten, aber gleichzeitig in Mundart sangen: The Worried Man Skiffle Group („Glaubst, I bin bled“), The Madcaps („Und wem’s net gfoid, der soll sich haun über d’Häusa“), The Malformation („Weanerisch is klass“) oder The Lost Generation („Hau di am Dampfer, Zwutschkerl“).

Aufgrund der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten des Wortes, setzte sich letztlich Drahdiwaberl durch, da es einerseits auf die Zugehörigkeit zu einer fiktiven Wiener Unterwelt verwies (im Sinne einer ursprünglichen, mittlerweile in Vergessenheit geratenen Bedeutung, die Weber in Interviews gerne betonte: „eine krumme Tour“, „eine Linke drehen“, usw.), aber auch als Tanzaufforderung an Konzertbesucher („Dreh-dich-Weiberl“) interpretiert werden konnte. Konsequenterweise trat die Band eine zeitlang auch mit mehreren Go-Go-Tänzerinnen aus der lokalen Hippie-Szene in Erscheinung. Der Sound war inzwischen etwas bluesiger und härter, irgendwo inzwischen Captain Beefheart und der Edgar Broughton Band. Progressiv, wie man damals gerne sagte.

FM4 Schnitzelbeats- Drahdiwaberl

Wienbiblithek

Es war dies auch die Zeit, als sich der notorische Hang zum Exzess allmählich bemerkbar machte, mit dem die Band letztlich landesweite Berühmtheit erlangen würde. Häufig betrank sich Weber vor den Gigs, zerstörte dann während der Show Teile des Bühneninventars und wälzte sich ekstatisch am Boden. Der Name Drahdiwaberl stand bald schon für heiße Live-Shows, die für prüde Wiener Verhältnisse eigentlich einen Tick zu wild waren und sich daher auch außerhalb des eigenen Freundeskreises herumsprachen.

Wir waren so etwas wie Wiens erste Punkgruppe“, vertraute Weber einmal der Tageszeitung Kurier an. „Wir hatten lange Haare und die Musik war mehr als heavy. Und unsere Texte blieben Englisch.“ Nach einigen gutbesuchten Gigs mit Wiener Szene-Größen wie Yashmak Guru (mit späteren Mitgliedern der Jazz-Rock-Band Acid in ihren Reihen) und Lucifer Sam (u.a. mit Ernst Brüll, dem ehemaligen Leadsänger der Charles Ryders Corporation) lösten sich Drahdiwaberl im Jahr 1974 auf.

Es folgten 4 Jahre „Kreativpause“, in denen sich Stefan Weber dem Musikbetrieb konsequent verweigerte und stattdessen auf grafische Arbeiten und seine Lehrertätigkeit fokussierte. Doch mit der Ankunft des Punk meldeten sich Drahdiwaberl plötzlich wieder zurück – mit neuer Besetzung und neuer Konzeption.

FM4 Schnitzelbeats- Drahdiwaberl

Schnazz-o-phone Records

Während sich die Band in der ursprünglichen Variante aus 5 oder 6 Mitgliedern rekrutiert hatte, war es Weber irgendwie gelungen, für den neuen Drahdiwaberl-Aufguss einen Flohzirkus an erstklassigen MusikerInnen, BühnendarstellerInnen und sonstigen Freaks um sich zu scharen: u.a. die Brüder Thomas und Bernhard Rabitsch, den Mundart-Dichter Franzi Bilik, die Prater-Dirne Lotte Pawek, den exzessiven Punk-Aktionisten General Guglhupf, die Lokalbesitzerin (und spätere Austro-Chart-Stürmerin) Jazz-Gitti und nicht zuletzt den Bassisten Hansi Hölzel, der unter seinem Synonym Falco schon bald die Diskotheken der Welt erobern würde.

Die neuen Drahdiwaberl waren performative Theater-Rocker und wirkten in ihrem Auftreten ein bisschen wie die österreichische Entsprechung zu den Mothers of Invention. Doch auch der Sound hatte sich einem Wandel unterzogen. Aus dem bluesigen Heavy Rock der späten 60er-Jahre war nach dem Comeback ein fetziges Amalgam aus Hard Rock und New Wave geworden, mit pointierten politischen Songtexten, die Weber nun auch auf Deutsch vortrug.

FM4 Schnitzelbeats- "Chuzpe"

Schnazz-o-phone Records

Der sog. „Wiener Blutrausch“-Sampler, der im April 1979 erschien, wurde zum ersten Tonträger, auf dem sich die Band akustisch verewigte. Drahdiwaberl waren hier mit dem Intro der Platte („Kaiserhymne“) und 2 weiteren Nummern („Pink Punk Shirt“ und „Low and Order Man“) vertreten. Durch die Beteiligung der Wiener Punk- und New-Wave-Formationen Chuzpe, Mordbuben AG und Minisex, die hier allesamt als Record Artists debütierten, kommt der „Blutrausch“-Compilation in der Retrospektive ein besonderer Stellenwert zu. Es gibt Leute, die von der Geburtsstunde des Punk in Österreich sprechen...

Bei der Platten-Präsentation im Metropol taten Drahdiwaberl ihr Übriges und brachten eine Live-Show auf die Bühne, die beim Publikum in lebhafter Erinnerung bleiben würde: Zwischen 2 Songs intonierte die 60-jährige Lotte Pawek in einer ungelenken Vokal-Fassung den Cole-Porter-Klassiker „Ganz Paris träumt von der Liebe“, während sich der hemmungslose General Guglhupf mit einem Messer durch den Mund fuhr und Kunstblut ins Publikum spuckte. Eine Pose, in der er auch am Plattencover des „Wiener Blutrausch“ verewigt worden war.

FM4 Schnitzelbeats- Drahdiwaberl

GiG Records

1981 kam das erste Album „Psychoterror“ auf den Markt, das die Artrock-Rezeptur von Drahdiwaberl noch weiter verfeinerte und mit „Boring Old Fart“ und „Ausgeflippter Lodenfreak“ zwei der größten Hits der Bandgeschichte beinhaltete. Songs, die Drahdiwaberl bis zum Schluss bei beinahe jedem Gig spielen würden.

Auch eine Falco-Komposition („Ganz Wien“) hatte sich auf den Longplayer verirrt. „Ein Pausenfüller, bei dem ich mich umziehen gehen konnte“, wie sich Weber einmal erinnerte. „Die Leute sind aber immer ausgeflippt bei der Nummer“. Kurz darauf verließ Falco die Band und veröffentlichte Tonträger unter eigenem Namen, für die Stefan Weber in den ersten Jahren noch die Cover-Artworks gestaltete. Aber das ist eine andere Geschichte.

Über die Jahre wurden Drahdiwaberl zu einer Fixinstanz der heimischen Underground-Rockmusik und verbuchte etliche waschechte Hits mit brachialem Anarcho-Humor für sich: „Supersheriff“, „Berserker“, „Terrorprofi aus der BRD“, „Plöschberger“, „Sprayback“, „Mulatschag“. Kommerziell konnte die Band zwar nur selten reüssieren, ihre Bühnenshows – mit ausgeprägten Saubarteleien und viel Nacktheit – hatten aber längst Legendenstatus erreicht. Und Stefan Weber war die oberste Instanz der Drahdiwaberl-Inszenierungen – ausgestattet mit dem dicksten Schnauzer der heimischen Showbranche und gewandet in Polizeiuniform – Spielzeugpistole inklusive.

FM4 Schnitzelbeats- Drahdiwaberl

Trash Rock Archives

Neben wilden Live-Gigs und geschichtsträchtigen Releases stand auch politischer Aktionismus auf der Agenda der Gruppe Drahdiwaberl: Als Kurt Waldheim etwa im Jahr 1986 angelobt wurde, veranstaltete die Band eine satirische Pressekonferenz mit Waldheim- und Saddam-Hussein-Gummipuppen, die vor versammelten Medienvertretern Zungenküsse austauschten, bis Weber mit gespielter Entrüstung einschritt. Im Jahr 2003 liebäugelte Stefan Weber laut Medienberichten sogar selber mit dem Amt des Bundespräsidenten: Seine damals kolportierten Ziele waren u.a. die Abschaffung des Bundesheers und die sofortige Entlassung der Regierung.

Mit Dank an Suzie Wong (Wienbibliothek im Rathaus) und Walter Gröbchen.

Stefan Weber wurde im Jahr 2005 mit dem silbernen Verdienstzeichen des Landes Wien ausgezeichnet und erhielt kurz darauf auch den Musikpreis Amadeus für sein Lebenswerk. Auszeichnungen, die er mit einem Anflug der Erheiterung – um nicht zu sagen, einer gewissen Unernsthaftigkeit – entgegennahm. Stefan Weber wird fehlen: Seine Musik, seine Unangepasstheit, sein Humor. Die FM4 Schnitzelbeats verneigen sich vor einem großen Geist österreichischer Popgeschichte.

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