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FILM

Satanische Sprösslinge & sensible Seelen

The Kids are not alright: Das Gänsehautphänomen „Hereditary“ schließt an eine gruselige Tradition von Kindern in Horrorfilmen an.

Von Christian Fuchs

In der Berichterstattung zum ungewöhnlichsten Schocker seit längerer Zeit wird sie zurecht immer wieder hervorgehoben. Neben Stars wie Toni Collette und Gabriel Byrne sorgt die kleine Newcomerin Milly Shapiro in dem Horrorphänomen „Hereditary“ besonders nachhaltig für Gänsehaut. Bislang nur auf dem New Yorker Broadway zuhause, wo sie im Kindermusical „Mathilda“ auf der Bühne stand, wird die nunmehr 16-Jährige jetzt von Gruselfans gefeiert. Shapiro reiht sich mit ihrem Auftritt gespenstisch in eine Liga von Jungdarstellern ein, die einem im Kino Angst einjagen oder mit denen man doppelt mitfiebert.

Der häufige Einsatz von Kindern im Horrorfilm hat ja viele Gründe. Zum einen verkörpern sie die irrationalen Urängste, die jeder aus seiner Vergangenheit kennt, wo ein Knarren der Kellerstiege bereits für Beklemmung sorgt. Kindliche Hauptdarsteller verweisen aber auch auf die Ursprünge des Fantastischen Films. Ohne die klassischen Märchen und Sagen wären viele schaurige Genreproduktionen undenkbar. Auch der Hardcore-Horror eines Dario Argento beispielsweise lässt sich auf Hänsel & Gretel, Schneewittchen & Co. zurückführen, gestand der Regisseur in Interviews.

Szene aus Hereditary

Einhorn Film

Milly Shapiro in „Hereditary“

Der Antichrist mit spitzbübischem Grinsen

Ein besonders gängiger Film-Kindertypus im eher harmlosen Mysterykino ist der Forscher. Er oder sie treibt sich bevorzugt in alten Gemäuern herum, auf der Suche nach geheimnisvollen Entdeckungen. Der unfolgsame Jared im familienfreundlichen Fantasyepos "The Spiderwick Chronicles" ist etwa so ein Junge, der gegen den Willen der Mama in einem verwitterten Haus herumstöbert und dort das Tor zu einer anderen Welt öffnet. Kinder wie Jared oder auch der Bub in „Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children“ gehören bekanntlich auch zum Grundinventar vieler Erfolgsfilme von Steven Spielberg oder seiner Epigonen.

Der Punkt, an dem putzige Forscher aber zu lästigen Nervensägen werden, ist allerdings schnell erreicht. Das Fantasy-, Science-Fiction- und Horror-Kino ist voll von neunmalklugen Dreikäsehochs, die mit hochgezogener Nase an verbotenen Dingen schnüffeln und dabei besserwisserische Kommentare absondern. Die meisten „Jurassic Park“-Teile fallen einem sofort als abschreckendes Beispiel ein. Man wünscht den kleinen Nervtötern des Genres dann öfter einmal eine abschreckende Begegnung mit dem bösen schwarzen Mann oder einem hungrigen Dinosaurier, damit ihnen die infantile Überheblichkeit nicht zu Kopf steigt.

Szene aus The Exorcist

Warner

Linda Blair in „The Exorcist“

Viel ikonischer sind da schon die liebenswürdigen Satansbraten, die bereits im Gitterbett gerne mit Pech, Schwefel und Kruzifixen herumspielen. Die besessene Regan aus „The Exorcist“ (1973) beispielsweise, deren Körper von einem mesopotamischen Dämon vereinnahmt wird, eindringlich gespielt von der damals 13-jährigen Linda Blair. Und natürlich der stets grinsende Damien (Harvey Stephens) aus „The Omen“ (1976), hinter dessen spitzbübischem Lächeln und dem netten Grübchen der zukünftige Antichrist lauert. Beide Gruselkinder brannten sich so stark ins kollektive Kino-Gedächtnis ein, dass die dazugehörigen Filme ganze Reihen von Sequels, Prequels, Reboots und sogar Fernsehserien auslösten.

Einige der definitiven Klassiker der Horrorgeschichte leben ganz von minderjährigen Darstellern, die auf der dunklen Seite der Macht stehen. „The Innocents“ (Schloss des Schreckens, 1961) ist so ein subtiles, schwarzweißes Meisterwerk, in dem die Kids definitely not alright sind, aber auch heute noch für Spannung garantieren. In den britischen Sci-Fi-Horror-Mixturen „Village of The Damned“ (1960) und „Children of The Damned“ (1964) sorgt ein Geheimangriff von Außerirdischen auf ein britisches Dorf für jede Menge unerwünschten Nachwuchs, der bald übernatürliche Kräfte entwickelt. Die eine oder andere dramaturgische Schwäche wird in beiden Streifen locker durch den eiskalten Blick der „Kinder der Verdammten“ kompensiert, den man nicht so schnell vergisst.

Szene aus "Village of the Damned"

MGM

„Village of the Damned“

Gefährliche Unschuldsengel

Fast wie ein Arthouse-Version von „Village of the Damned“ wirkt Michael Hanekes „Das weiße Band“, auch wenn das der Regisseur sicher nicht gerne hört. Natürlich liegt es bei der Vorkriegs-Saga nahe, das verrohende Erziehungsregime der Erwachsenen für die grausamen Spiele der gezeigten Mädchen und Buben verantwortlich machen. Aber im Grunde haftet den kindlichen Protagonisten und ihren sinistren Taten ein unauflösbares Mysterium an. Da funkelt etwas in den Augen der kleinen Protagonisten, das an Abgründe denken lässt, vor denen auch Soziologen und Psychologen zurückweichen.

Das Horrorkino liebt es dagegen ohnehin, das allgemeine Bild von der kindlichen Unschuld auf den Kopf zu stellen. Einer der erschreckendsten Filme diesbezüglich, der gänzlich auf Blut und Schockeffekte verzichtet, ist „The Bad Seed“ (Die böse Saat) aus dem Jahr 1956. Das schwarzweiße Schundprunkstück erzählt von der achtjährigen Rhoda, einem blonden Vorzeigemädchen mit Zöpfchen, das eine Vorliebe für ungewöhnliche Spiele hat. Da ertrinken dann schon mal andere Kinder, wenn sie zufällig in der Nähe sind, und Gärtner werden schulterzuckend abgefackelt.

Szene aus "Das weiße Band"

Filmladen

„Das weiße Band“

Natürlich ist „The Bad Seed“, nach dem Nick Cave seine Band benannt hat, ein völlig unverantwortlicher Streifen, in dem krude von einem angeborenen Bösen fabuliert wird. Aber das Entsetzen bleibt, wenn man an das selige Grinsen der süßen Rhoda denkt. In einem gegenwärtigen Remake würde sie ihre Taten wahrscheinlich mit dem Handy filmen und ins Netz stellen.

Auch im neueren spanischen Film „Orphan“ von Jaume Collet-Serra ist der Hauptfigur nicht zu trauen. Eigentlich ist die neunjährige Esther ja ein ausnehmend begabtes Kind. Ihre Zeichnungen haben etwas Hochkünstlerisches, ihr Klavierspiel mutet perfektionistisch an. Höflich, zurückhaltend und gebildet wirkt die kleine Exilrussin, die von einer amerikanischen Familie adoptiert wird. Aber weil „The Orphan“ ein handfestes Horrormovie ist, entpuppt sich die Traumtochter als gefährliche Psychopathin.

Szene aus "The Orphan"

Luna Film

„The Orphan“

Verstörende Killerkinder

Gänzlich irrational verhalten sich die Kinder, die in einem anderen berüchtigten spanischen Schocker kollektiv auf die Erwachsenen losgehen. In „¿Quién puede matar a un niño?“ (Ein Kind zu töten, 1976), von dem es auch ein eindringliches modernes Remake gibt, landet ein junges Touristenpaar auf einer scheinbar verlassenen Insel. Dort werden sie mit verwilderten Kindern konfrontiert, gegen die ein Kampf auf Leben und Tod beginnt. Im Gegensatz zur nicht ungruseligen Stephen-King-Adaption „Children of the Corn“ und den dazugehörigen Sequels steckt in dem spanischen Werk kein Dämon oder eine pseudologische Erklärung. Was die Verstörung natürlich noch verstärkt.

Die satanischen, geisteskranken und gespenstischen Sprösslinge, die auch in Rudeln das asiatische Gruselkino bevölkern („The Ring“), sie brechen auf erfrischende Weise mit dem Mainstream-Kinoklischee vom unschuldigen Kindchen. Trotzdem möchte man als Erwachsener dann doch lieber Distanz halten zu Damien, Regan, Sadaku & Konsorten. So richtig charmant ist dagegen ein anderer Kindertypus im Mysterykino: die sensiblen Seelen, die eher in europäischen Filmen zu finden sind. Sie forschen zwar auch gerne im Finstern, aber mit den lautstarken Nervensägen aus Hollywood haben sie nichts zu tun.

Szene aus "The Shining"

Warner

„The Shining“

Sensible Seelen sind fragile, blasse Geschöpfe, die man am liebsten sofort adoptieren würde. Die kleine Ofelia aus dem blutigen Fantasymärchen „Pan’s Labyrinth“ etwa. Oder das wunderhübsche Gruftie-Geschwisterpaar, das an der Seite von Nicole Kidman durch „The Others“ geistert, ebenfalls ein spanisches Werk. Mein persönlicher All-Time-Horror-Hosenmatz entstammt dann doch wieder einem US-Streifen, es handelt sich um den sensiblen Danny aus Stanley Kubricks „The Shining“.

„Ich bin einfach ein ewiges Kind“, antworten manche Horrorfilmer in Interviews auf die Frage nach ihrer primären künsterlischen Motivation. Alleine deshalb werden sie sicher weiterhin draußen im Dunkeln zu finden sein, die kleinen Forscher und Nervensägen, die Satansbraten und sensiblen Seelen des Genrekinos.

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