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Voodoo Jürgens am Donauinselfest 2018

Patrick Wally

„I und olle meine Haberer“

Voodoo Jürgens ist einer der begabtesten „Gschichtldrucker“ seiner Generation, das stellt er mit seinem Headliner-Auftritt am Wiener Donauinselfest 2018 unter Beweis. Ein Rückblick auf den zweiten Festivalabend.

Von Lisa Schneider

Sich über das Wetter zu unterhalten, ist eine müßige Angelegenheit; und doch gehört sie, gerade wenn es um die Festivalsaison geht zu den zentralen Themen. Wo ist das Dixie-Klo? Wo ist die Bar? Wie ist das Wetter?

Das Donauinselfest wartet in seiner 35. Version in einer der vielleicht kältesten seiner Ausgaben überhaupt für uns auf, am Eröffnungstag, Freitag schon, und auch gestern, am Samstag Abend. Die deutsche Band Milliarden erspielt sich als eine der Bands, die die FM4/Planet.tt-Bühne eröffnet, trotzdem ein paar Sonnenstrahlen. Wind, Staub, naja, immerhin kein Regen, auch wenn die Temperaturen beißen.

Die Donau ist das neue Meer

Das komische Gefühl, sich Ende Juni eine Winterhaube aufzusetzen, überspielt die Wiener Band Flut gekonnt und elegant, ja extravagant: mit jetzt schon legendären Outfits betreten sie die Bühne, blitzend rotes Haar ist dabei, freie Oberkörper, geschmückt nur mit Ledergilet, dazu passend der wild geöffnete Man-Bun, sprich wallendes Haar und schwarzer Lippenstift. Geblendet ist das locker versammelte Publikum aber nicht nur von den Looks, der Coolness und den schwarzen Lackleggins dieser sehr jungen, hochbegabten Truppe; das haben sie unter anderem schon letztes Jahr, zum Release ihrer Debut-EP, unter anderem live am Popfest am Wiener Karlsplatz unter Beweis gestellt.

Es gibt Sehnsuchtssongs zu hören, sie künden vom Weltzschmerz, ich kann nicht mehr lieben, heißt es da; ich kann nicht mehr leben. Dabei sind sie so blutjung, alle Mitglieder von Flut, es ist ein schönes Geheimnis, wie sie trotzdem imstande sind, die Nostalgie ihrer Großväter zu vermitteln. Das ist auch das, was über sie geschrieben wurde, die zarte Verklärung, Videos, wie sie der „Tatort“ nicht besser drehen könnte, Trenchcoats, Synthesizer, nasale, falcoeske Stimme. Aber Flut sind mehr als das, es ist nicht nur schlichtes Abkupfern, das hat sich vor allem gestern gezeigt, nämlich in dem Moment, als sie einen neuen Song, er heißt „Schlechte Manieren“ gespielt haben. Demnächst wird er veröffentlicht, als ein weiterer Vorbote zum Debutalbum „Global“, das wiederum im September erscheinen wird.

„Schlechte Manieren“ manövriert sich seinen Weg durch den Referenzendschungel hin zum bandeigenen Sound; so hat man das von Flut wohl noch nicht gehört. Surfrock perlt durch die Boxen, es ist noch der Slang-Schmäh, der wirkt, das rotzige Etwas; aber es klingt leichter, Rock’n’Roll, die Donau ist das neue Meer, wir zelebrieren hier eine ganz neue Art vom besten Baywatch-Soundtrack, auch ohne Strand.

Noch mehr Flut LIVE

  • 16. November Lange Nacht der Musik @ Lustenau
  • 17. November Kapu Linz
  • 28. November Wuk Wien
  • 30. November PPC Graz
  • 21. Dezember Rockhouse Salzburg

„Schiess ma uns rauf übers Firmament“ bezirzt Johannes Paulusberger seine Bandmitglieder und natürlich das Publikum, „oder jedenfalls bis hinauf da zum Pommes Frites Standl“. Erdige Ehrlichkeit, Zwinkern, Glitzern, Gitarrensoli. Auf diesen Charme sind auch Kraftklub aufmerksam geworden, Flut werden sie in Kürze live auf Tour begleiten, am 23. August Kasematten Open Air in Graz, am 24. August Open Air Arena Wien.

Von der schrägen Art, zu feiern

Richtig knackig voll ist es vor der Bühne erstmals mit Rakede, der deutschen Band, die vor allem viel auf sich selber hält; und deshalb gleich mit einem Propellerflugzeug angeflogen kommt. Gepfeffert also die bevorzugte Reiseform, genauso wie Attitüde und Liveset: Es ist, wie erwartet, eine wilde Trash-Technoparty mit Reggae-Schnipseln, Rap, Mashups, harter Clubmusik, einem Die Ärzte-Cover.

Hier passt nichts und in der totalen Übertreibung wieder alles zusammen, es gibt eine Wall Of Death, eine junge Frau aus dem Publikum darf hinauf auf die Bühne und, mit aufgemotzter Stimme dank Mikrophonreglern mitsingen, Entertainment ohne Ende. Rakede, die Band, bei der das Wort „Genrezuordnung“ den höchsten Schwierigkeitsgrad überschritten hat, ist das Musik? Ist das Zirkus? Der Festivalspirit vom puren Spaß an der Sache jedenfalls blüht hier auf, zwischen soft und hart, zwischen Liebeskummer und Songs darüber, wie man dem anderen die Fresse einschlägt.

Indiepop mit Erinnerungsmehrwert

Liebeskummer, aber vielleicht noch eher das Rezept, ihn zu heilen, holen Shout Out Louds aus Schweden schließlich auf die Bühne; ihr letztes Album „Easy My Mind“ bringt, nach vier Jahren ohne Veröffentlichungen, eine selten optimistischen Ansatz hervor. Das Leben ist schön, die Songs heißen „Jumbo Jet“ oder „Oh Oh“, es sind nicht die Hits in der Setlist, aber das weiß die Band. Ihre Liebe zu Wien pflegen sie lange und gut, eigentlich die zu ganz Österreich. Erst vor kurzem haben Shout Out Louds erst wieder in Österreich gespielt, in Linz, und auch da an der Donau. „We missed you, Vienna. It’s good to be back“ heißt es von den fast schon Wahlösterreichern, die das dritte mal auch schon das Wiener Donauinselfest bespielen.

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Shout Out Louds LIVE

Heuer noch zweimal live in Österreich:

19. Juli Poolbar Festival Feldkirch
19.-21. Juli Acoustic Lakeside Festival Sittersdorf

Man will sich vorstellen, wie sehr viele BesucherInnen während der Show, während Songs wie „Normandie“, „Please Please Please“, vor allem aber einem der schönsten Popsongs und Rausschmeißerhits des letzten Jahrzehnts „Tonight I Have To Leave It“ sich in Gedanken an verlorene Träume, Liebschaften, betrunkene Abende an der Bar erinnern. Es sind kleine Hymnen, federleichte Melodien, traurige Texte; die, die einem die Tränen auch ohne den aufgewirbelten Staub vor der Nase in die Augen treiben. Tiefe, klare Weisheiten, verpackt in zuckrige Popmelodien, auch in zehn Jahren werden die noch hier gehört werden, und die Donau plätschert weiter.

„Grias di, Wien“

Den Abend schließt Voodoo Jürgens ab, und das macht er natürlich nicht allein. Seine „Haberer“, die „Ansa Panier“, sind mit dabei, das erzählt er auch vorab, es ist keine One-Man-Show, die er da abzieht. Und das obwohl, und darin liegt die Kraft seiner Kunst, seine Songs auch ohne die ganz große musikalische Begleitung funktionieren würden; dass er sie trotzdem so fein arrangiert live umsetzt, ist umso schöner. Es sind für so eine Sommernacht passende Reflexionen über das Leben, Gedankenfetzen, oft ganz banal, aber immer mit faszinierend scharfem Blick für das Tragisch-Komische; er erzählt uns auch gestern wieder Geschichten aus seinem Leben, erzählt davon, welchen Jobs er nicht nachgehen könnte (niemals „Wiaschtlstandverkäufer“, niemals "Kiwara), und dass ja auch die Musik eigentlich nur „a Hobby is - suach da liaba was Gscheits“.

Voodoo Jürgens LIVE

13. Juli Rock im Dorf Schlierbach
28. Juli Sunnseitn 2018 Freistadt
10. August Picture On Bildein
16. August Rostfest Eisenerz

Alle weiteren Termine findet ihr hier.

Sein Debutalbum „Ansa Woar“ ist schon 2016 erschienen, während das zweite auf sich warten lässt, widmet sich Voodoo Jürgens aktuell noch anderen Projekten. Er wird im Herbst Ludwig Hirschs Lieder neu interpretieren, die ganze Show wird unter anderem im Grazer Orpheum zu sehen sein. Auch Theatererfahrungen hat er etwa gemeinsam mit Stefanie Sargnagel gemacht, das passt alles perfekt zur erzählenden Art, seine Lieder aufzubauen. Und auch mit seinen gestrigen Special Guests während der Show, darunter Ernst Molden und Der Nino aus Wien, wirkt das alles wie sein eigens kreiertes, kleines Drama- mit wechselnden Nebenfiguren und ihm in der ewig aufrichtig-liebenswerten, schelmischen Hauptrolle.

Der gemeinsame Auftritt gestern etwa mit Katie Trenk, auch Sängerin der Sex Jams, hebt noch einmal mehr Voodoo Jürgens Erzählkunst hervor, in einer Art Weiterführung seiner „Gitti“: Es ist kein klassisches Duett, das die beiden wiedergeben, auch, wenn die Band im Hintergrund leise weiterspielt. Vielmehr durchleben die beiden in gereimter Dialogform eine Beziehungskrise: das Kind ist da, der Vater abgehauen, „mia hom an Wickl, wenn des Göd am 1. ned do is“. Das Schmunzeln in Situationen, in denen es nichts zu schmunzeln gibt; Frust und Hass, das ewige „Owezahn“ und Anbiedern, die Hacklerei und Plackerei, die Romanzen, vielleicht ab und zu ein, zwei, drei über den Durst trinken. Geschichten eben, wie sie der Alltag für alle schreibt, es ist Musik für alle.

Voodoo Jürgens, einer der wohl begabtesten „Gschichtldrucker“ der aktuellen Wiener Musikszene, genießt sein Publikum, und es hat Freude an und mit ihm. Kalt wars gestern, aber vor der Bühne, da wars warm.

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