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Nine Inch Nails

Nine Inch Nails

„Bad Witch“ ist da: die neue Platte der Nine Inch Nails

Nine Inch Nails veröffentlichen mit „Bad Witch“ den letzten Teil einer Trilogie und sechs Lieder über die Sinnlosigkeit.

Von Christoph Sepin

Es ist also vollbracht: Mit „Bad Witch“ endet die von Nine-Inch-Nails-Mastermind Trent Reznor vor zwei Jahren angekündigte Trilogie von neuen Veröffentlichungen seines Bandprojekts. 2016 kehrte die Gruppe mit der EP „Not The Actual Events“ zurück. 2017 folgte mit dem hervorragenden Release „Add Violence“ eine Sammlung der besten Nine-Inch-Nails-Lieder des letzten Jahrzehnts. Und jetzt mit „Bad Witch“ der Abschluss der Trilogie.

Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Veröffentlichungen wird „Bad Witch“ als volles Album vermarktet. Sechs Lieder befinden sich darauf, was für einige Kommentatoren nicht wirklich die Bezeichnung „Album“ rechtfertigt. Aber Reznor, eigensinnig wie immer, startet damit schon die erste Diskussion, noch bevor man sich den Release überhaupt angehört hat. Absichtlich oder nicht, auch das ist ein Statement eines Musikers, der dafür bekannt ist, sich in Sachen Musikindustrie und Musikvermarktung kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

In der Vergangenheit hielt sich Reznor mal vage, mal offensichtlich und klar bezüglich der Themen und Messages auf seinen Veröffentlichungen. Er selbst denkt positiv an die Zeit zurück, als er selbst als junger Musikkonsument kaum etwas über seine Helden wusste und sie somit eher als Projektionsflächen für eigene Ideen und Vorstellungen dienen konnten. Mit dem Erscheinen von „Bad Witch“ ist Reznor aber überraschend präzise, was die Hintergründe seiner Trilogie angeht.

Nine Inch Nails Bad Witch Albumcover

Nine Inch Nails

I am trying to believe

Selbstfindung inmitten einer immer chaotischer werdenden Welt und die Suche nach dem Sinn des Lebens sind die großen Themen der drei Veröffentlichungen. Wobei jede Platte eine andere Grundaussage mit sich bringt: „Not The Actual Events“ soll laut Reznor eine Selbstbeobachtung sein: Wer bin ich in der Welt? Wie finde ich mein Glück? Und der Versuch, dadurch den Sinn hinter all der Verwirrung da draußen zu finden. Oder wie Reznor sagt: „An internal fantasy of what if I lit a match to my life and just embraced burning the whole fucking thing down.“

Auf dem zweiten Teil der Trilogie, „Add Violence“ beschäftigt sich Reznor mit Einflüssen von außen und driftet in Sci-Fi-Konzepte ab: Inspiriert von seinem großen Werk „Year Zero“ aus dem Jahr 2007 stellt der Musiker die Frage: Was, wenn das alles hier nur eine Simulation ist und wir mittendrin? Und nichts ist echt?

Und jetzt zu „Bad Witch“: Soviel vorweg, die Geschichte hat kein Happy End. Als aggressivste, kompromissloseste und eigensinnigste Veröffentlichung der Trilogie wird keine Conclusio gefunden. Viel schlimmer noch, die Platte stellt die These auf, dass es gar keinen Sinn zu finden gibt. Dass die Menschheit nichts anderes ist, als ein Unfall und eine unglückliche Mutation. Es gibt keine wissenschaftliche Erklärung und keine höhere Macht. Reznor fasst das so zusammen: „This is dirt and a broken computer chip and everything you believe in is really just bullshit“.

Tatsächlich war es für Reznor an der Zeit, mit den Nine Inch Nails zurück zu Aggression und Frustration zu gehen. Mr. Selfdestruct, wie er sich vor Jahrzehnten selbst nannte, kann auf „Bad Witch“ wieder gefunden werden. Was für manche unerwartet kommen mag: Das letzte volle Album der Nine Inch Nails, „Hesitation Marks“ aus dem Jahr 2013, präsentierte sich noch viel optimistischer und eingängiger. „Wenn ich mir ‚Hesitation Marks‘ anhöre“, so Reznor, „dann weiß ich gar nicht, wer dieser Typ ist“. Und so ist es auch kein Zufall, dass auf der Setlist der aktuellen Nine-Inch-Nails-Tour, der „Cold and Black and Infinite Tour“, kaum Lieder von dem Album zu finden sind.

Nine Inch Nails

Nine Inch Nails

Von Mr. Selfdestruct zu Mr. Deconstruct

Die Freiheit, einfach Musik zu machen, die Reznor gemeinsam mit Oscar-Mitgewinner Atticus Ross und diversen Gastmusikern im Moment machen will, die spürt man auch auf „Bad Witch“. Hier wird nicht mehr über Plattenverkäufe nachgedacht oder über Marketing, um ein größtmögliches Publikum oder neue Fangruppen zu erreichen. Hier wird einfach das gespielt, was der Moment von den Musikern verlangt.

Anfangen tut das auf „Bad Witch“ mit der verzerrten Wuthymne „Shit Mirror“ (inklusive Gastvocals von The Cults Ian Astbury und Reznors Bandkollegin in How to Destroy Angels und Ehefrau Mariqueen Maandig). Akkordwechsel, wie man sie schon immer von Reznor wollte, simpel und fast schon anbiedernd angenehm, werden durch Filter und Effektgeräte gejagt, bis die Instrumente nicht mehr klar zugeordnet werden können, bis alles ineinander verschwimmt. Dass man darin nicht die Orientierung verliert, das schaffen wenige außer dem Soundtüftler Trent Reznor. Und dann die Zeile, die am Album die Stimmung vorgibt: „New world, new times. Mutation, feels all right“.

Nine Inch Nails sind zurzeit auf Tour durch Europa, die USA und Asien. Es gibt kein Konzert in Österreich.

Fast bemerkt man gar nicht, dass der nächste Track startet. „Ahead of Ourselves“ ist ein vor sich hinpolterndes, dekonstruiertes und eskalierendes Lied. Erneut das Thema Ausweglosigkeit: „Obsolete, insignificant. Antiquated, irrelevant. Celebration of ignorance. Why try change when you know you can’t?“

Nine Inch Nails Bad Witch Albumcover

Nine Inch Nails

I Can’t Give Everything Away

Pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum der Band traut sich Reznor auch endlich über ein Thema, das lange problematisch für ihn war: die Nostalgie. Schon öfter waren Einflüsse aus vergangenen Nine-Inch-Nails-Platten in seinen Veröffentlichungen zu finden, diesmal wird aber kein großes Geheimnis darum gemacht. Geschichten wie die, als er einem Journalisten beim Interview auf die Frage: „Gibt es einen roten, musikalischen Faden in deinen Arbeiten?“ die Antwort: „Willst du sagen, meine Lieder hören sich alle gleich an?“ zurück warf, sollten der Vergangenheit angehören. Und so gibt es auf „Ahead of Ourselves“ eine Referenz auf die Pigs zu finden, die Schweine, die eine prominente Rolle auf dem größten kommerziellen Erfolg der Nine Inch Nails, der Platte „The Downward Spiral“, spielen: „With illusions of enlightenment, with our snouts in the dirt“.

„Bad Witch“ im FM4 House of Pain: Mit seinem neuen Album schließt Trent Reznor eine Trilogie von Veröffentlichungen ab. Christoph Sepin analysiert das besonders radikal geratene Werk der Industrialrocker Nine Inch Nails, etliche Hörproben inklusive. Am Mittwoch, 27. Juni, ab 22 Uhr im Radio und auf fm4.orf.at im Player.

Tatsächlich traut sich Reznor noch in anderen Belangen aus seiner Komfortzone: Das Saxophon, ein Instrument, das den Musiker sein Leben lang begleitete, aber immer eine Herausforderung war, eine Erinnerung, die in der Ecke herumsteht, an das, was man nicht perfektioniert hat, das ist auf „Bad Witch“ prominent gefeatured. Einerseits als Symbol für die musikalische Freiheit auf der Platte, als Beweis, dass man einfach machen kann, was man will, ohne technische Limitierungen, die man sich nur selber gibt. Und andererseits als Hommage an einen wichtigen Wegbegleiter von Reznor, der posthum eine große Rolle auf „Bad Witch“ spielt: David Bowie.

Als Einfluss war der immer schon in der Karriere von Trent Reznor zu finden: Bowies Platte „Low“ war eine essenzielle Inspiration, als Reznor „The Downward Spiral“ schrieb, Akzente aus „Crystal Japan“ lassen sich im Nine-Inch-Nails-Lied „A Warm Place“ finden. In den 90er Jahren waren Bowie und Nine Inch Nails gemeinsam auf Tour und performten Lieder wie „Hurt“ live zusammen auf der Bühne. Und schließlich remixte Reznor auch Bowies „I’m Afraid of Americans“ und spielte im Musikvideo dazu mit.

Nicht nur das Saxophon erinnert an David Bowie, auch Reznors Stimme tastet sich in zwei Liedern auf „Bad Witch“ nahe heran: „God break down the door“, lamentiert Reznor in langgezogenem, tiefen Tonfall über das gleichnamige Lied, während hinter ihm Samples aufeinander prasseln, die an Bowies 1997er-Release „Earthling“ erinnern. Breakbeats inklusive.

„Bad Witch“ von Nine Inch Nails ist auf The Null Corporation erschienen.

Und dann noch einmal am letzten Track des Albums, dem finalen Abschluss der Trilogie: Siebeneinhalb Minuten lang, ein Lied namens „Over and Out“. „Time is running out“, singt Reznor und gibt sich fast schon versöhnlich. Die Dissonanzen lösen sich auf, die Geschwindigkeit wird rausgenommen, die Melodien werden freundlicher, einladender, friedlicher. Ein Moment der Versöhnung und des Akzeptierens der Welt da draußen: „I think this keeps happening. Over and over again“. Das Thema Wiederholung und Zeitloop, Simulation oder Realität, das kehrt für das Finale der Platte noch einmal zurück.

Und dann ein glückseliger Akkord aus dem Synthesizer. Alles wird gut, alles ist gut. Eine positive Message von Reznor am Ende, der sich selbst auch gar nicht mehr als Pessimist bezeichnen will, aber für diese Trilogie noch einmal einen Ausflug in düsteres Territorium ablegen musste. Bis zur nächsten Veröffentlichung, bis zur nächsten Neuerfindung, bis zur nächsten Überraschung. Die Zukunft der Nine Inch Nails ist ungewiss und schwer vorherzusagen. Und das soll weiterhin auch so sein.

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