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Die "Königin der Nacht" aus Mozarts "Zauberflöte" bei den Bregenze Festspielen 2014

DIETMAR STIPLOVSEK / APA / picturedesk.com

FM4 Excursions

HipHop & Klassik: Alte Meister

Die FM4 Excursions widmen Episode 2 den Einflüssen klassischer Komponisten auf die Sample-Wahl von HipHop-Produzenten: Beethoven, Bartók, Mozart treffen auf Nas, Drake und Kool Keith.

Von Florian Wörgötter

In Episode 1 von Staffel zwei der FM4 Excursions hat uns Trishes gezeigt, wie Brasilianische Musik mit feurigem Temperament und entspannten Rhythmen HipHop und Dance-Music bereichert. Heute überbrücken wir den schmalen Grat zwischen populärer Unterhaltungsmusik (U-Musik) und hochkultureller Klassik (E-Musik). Trishes zeigt in seinem Mix zu Episode 2, wie HipHop-Produzenten diese ohnehin nicht mehr zeitgemäße Grenze mit stilvollen Samples auflösen.

Wiener Klassik: Leck mir den Arsch recht schön

Die Habsburger begriffen Wien als kulturelles Zentrum Europas. Im kulturellen Wettrüsten mit Paris und London holten sie daher diverse Musiker nach Wien. So begründeten Komponisten wie Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven die Wiener Klassik (1770–1830). Die Ausnahmetalente ließen sich von diversen deutschen, französischen und italienischen Stilarten inspirieren und führten sie gekonnt in vielerlei Kompositionsweisen zusammen. Konserviert wurde ihre Musik damals nur auf Papier. Die Alten Meister der Wiener Klassik hätten sich wohl niemals träumen lassen, dass Jahrhunderte später ihr Geist im Körper fetter HipHop-Beats auf New Yorker-Block Partys abtanzen wird.

FM4 Excursions

Bunt gemixte Assoziationsketten zeigen die Wurzeln aktueller Sounds und ihre Einflüsse auf die musikalische Jetztzeit. Die Excursions-Themen-Mixtapes von Trishes laufen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ab 0 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player. Ein Klick auf die Links der beschriebenen Songs führt zu ihrer Position im Mix.

Trishes widmet Ludwig van Beethoven gleich zwei Songs: Seine legendäre „Mondscheinsonate“ (1801) findet ihren Beat in Atmosphere’s Hommage an seinen verstorbenen Freund „The River“ (2000). Ein ständiger Piano-Loop mit Streichern am Ende beschwört seinen Geist in einer rhythmischen „Wiederkehr des Immergleichen“, die den linken Kulturkritiker Theodor W. Adorno in einem Endlos-Loop im Grab rotieren hätte lassen. Hätte er Atmospheres bewegende Zeilen verstanden, wäre er wieder zur Ruhe gekommen.

Weiters wird Beethovens Weltmelodie „Für Elise“ (1810) in einen statischen Beat von Nas gebannt. Es ranken sich Mythen um die Existenz der geheimnisvollen Elise. War sie Beethovens Klavierschülerin? Eine verehrte Kammersängerin? Oder doch nur ein Lesefehler? Nas jedenfalls widmet seine Emanzipationshymne „I Can“ (2002) allen schwarzen Mädchen, die ihmzufolge alles erreichen könnten, wenn sie nur hart dafür arbeiten würden.

Ludwig van Beethoven - Gemälde

gemeinfrei

Ludwig van Beethoven

Ein paart Takte später hören wir das Musikgenie Wolfgang Amadeus Mozart und seine Arie der „Königin der Nacht“ („Der Hölle Rache“) aus der Oper „Die Zauberflöte“ (1791). Der Plot: Um sich an ihrem Rivalen Sarastro zu rächen, stellt Queen Mum ihre Tochter Pamina mit einem Messer vor die Wahl: Entweder er geht oder sie („Fühlt nicht durch dich Sarastro Todesschmerzen, so bist du meine Tochter nimmermehr“). Im Titelbild sieht man übrigens die „Königin der Nacht“ in einer Inszenierung der Bregenzer Festspiele 2014.

Der Beat von Kelis’ „Like you“ (2006) choppt den darauffolgenden Flatter-Gesang der Arie, die auch als Weltkulturerbe auf der Golden-Voyager-Schallplatte im All schwebt, und unterlegt ihm ein Schlagzeug. Sängerin Kelis mischt ihren zurückgelehnten Soulgesang mit Mozarts getragenem Gesangsmotiv (Tara-da-da Da-da“) und interpretiert die Königin der Nacht auf ihre Weise: „I don’t just like you, I like you like you, So whatever if we started tonight/Can we come together? Can we come together?/You can fluff my feathers, fluff my feathers.“

Kelis-Konzert in Wien 2001

APA/ARTINGER Guenter

Kelis-Konzert in Wien 2001

Mozart, der frivole Filou, hätte wohl seine Freude gehabt an der Einladung zum freudigen Federspiel („Leck mire den A… recht schon, fein sauber lecke ihn“).

Klassische Musik der Moderne: „Niggermusik“

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wächst die Plattenindustrie allmählich, indem sie Musik auf Tonträgern speichert und deren massenhafte Verbreitung einleitet. Währenddessen entwickeln die populäre Unterhaltungsmusik und der Jazz ihre eigenen Geschichten, die sich immer wieder auf die Klassik beziehen. Die Beispiele von Trishes aber stammen aus der Zeit, als die Welt vor dem Zweiten Weltkrieg zitterte. 

Im Auftaktsong von Trishes’ Mix hören wir die Streicher vom „Violin Concerto No. 2“ (Uraufführung: 1939) des ungarischen Komponisten Béla Bartók (1881–1945). Nach diesem Instrumentalkonzert migrierte er 1940 in die USA. Bartók gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Moderne und war als Musikethnologe ein leidenschaftlicher Sammler von Volksliedern, die er auf seinen Reisen durch den Osten Europas phonografisch dokumentierte. Einer seiner Streicher wird auch von einem Gelehrten aus einer fernen Zeit entdeckt werden: Dr. Octagon aka Kool Keith.

Kool Keith

CC BY-SA 2.0 by Jason Persse (Ultramagnetic MCs) , via Wikimedia Commons

Kool Keith CC BY-SA 2.0

Als soziopathischer Gynäkologe vom Planeten Jupiter geht Psych-Rapper Kool Keith in „Blue Flowers“ (1996) auf Zeitreisen und malt irrlichternd blaue Blumen wie Bob Ross auf LSD. Das Schlagzeug kommt von Dan The Automator, die Scratches von DJ Q-Bert und das alles aufsaugende Synth-Bass-Monster von Kool Keith himself. Doch der Song steht und fällt mit Bartóks hypnotisch-schwebenden Streichern.

Weiters folgen die stürmischen Schwanengesänge der „Carmina Burana“ (1937) von Carl Orff – für viele Dirigenten Teil ihres Standard-Repertoires. Trishes wählt den dramatischen Chor „Fortuna“ und seine brachiale Anklage gegen die unerbittliche Göttin des Glücks und Herrin des Schicksals. Die textliche Basis der Carmina Burana bilden Aufzeichnungen aus dem 13. Jahrhundert, die Orff recht frei interpretierte („sampelte“). Nach der erfolgreichen Ur-Aufführung in Nazi-Deutschland 1937 verschmähten Reichsmusik-Kammer und Medien das Stück aber als „bayerische Niggermusik“. Der Grund: Seine tänzerische Rhythmik und die Erotik der hedonistischen Texte. Doch Hitler soll seinen Gefallen daran gefunden haben.

Nas

Nas

Nas

Auch Nas und Puff Daddy machten auf dem Song „Hate me Now“ (1999) daraus ein Rap-Drama, das seine ganz eigenen Blüten trieb: Im Video ließen sich Nas und Puffy an ein Kreuz nageln, um ihre Version des Black Jesus zu inszenieren. Nach einem Gespräch mit seinem Pfarrer wollte der katholische Puffy aber wieder runter vom Kreuz, auf seinen Wunsch wurde er rausgeschnitten. Auf unerklärliche Weise schickte Nas’ Manager aber das Original-Video zu MTV. Puffy not amused erschien darauf samt Bodyguards und einer Flasche Champagner im Büro von Nas’ Manager. Angestoßen wurde nur mit dessen Kopf.

Die Carmina Burana wurden auch mehrfach in der Werbung aufgegriffen. Die Interessanteste Variante hier:

Neoklassik meets New Age

Mit der Verbreitung von Synthesizern verbindet sich Klassische Musik auch mit elektronischen Instrumenten. In der Neoklassik (seit den späten 1980er-Jahren) wird aber nicht zwingend auf den bestehenden Kanon zurückgegriffen. Zum Abschluss hören wir Bruno Sanfilippo & Mathias Grassow und ihr „Ambessence piano & drones 1“ (2008). Auf den Spuren von Brian Eno erklingen verhallte Klangflächen, sparsame Klaviernoten und traumwandlerische Drones.

Drake

Drake

Drake

Fünf Jahre später seziert der kanadische Rap-Superstar Drake die Piano-Einzelteile (gechoppt) und setzt sie in „Started From The Bottom“ (2013) mit Drums und Bass zu einem minimalistischen, aber catchy Groove zusammen. Drakes Interpretation wurde bei den BET HipHop Awards 2013 zum „Track of The Year“ gekürt. Die noch wichtigere Auszeichnung: eine Parodie der Simpsons in der Episode “Gal of Constant Sorrow”. Während Drake in seinem Video seinen Popstar-Aufstieg beim Champagner-Schlürfen im Privatjet feiert, schmeißt Bart Simpson als frisch gebackener „Slum Lord“ die Fuffis durch den 98-Cent-Shop. Zum neidisch werden.

Nächste Woche hören wir noch mehr Samples aus der nahen Vergangenheit. Wir untersuchen das Phänomen, wenn Producer zeitgenössische Pop-Songs als Sample-Quelle verwenden.

Die Tracklist von Excursions S2E2:

Béla Bartók 2. Violinkonzert
Dr. Octagon Blue Flowers
Atmosphere The River
Ludwig van Beethoven Klaviersonate Nr. 14 / Mondscheinsonate
Ludwig van Beethoven Für Elise
Nas I Can
Nas Hate Me Now (feat. Puff Daddy)
Carl Orff Carmina Burana
Wolfgang Amadeus Mozart Requiem in d-Moll: Lacrimosa Dies Illa
Meek Mill ft. Tory Lanez Lord Knows
Wolfgang Amadeus Mozart Der Hölle Rache/Arie der Königin der Nacht
Kelis Like You
Emanon Acid-9 (Remix)
Apollo 100 Hall of the Mountain King
Dmitri Schostakowitsch 7. Sinfonie/4. Satz Allegro non troppo
Peter Fox Alles Neu
Plan B Ill Manors
The Streets Same Old Thing
Antonin Dvorak 9. Sinfonie “Aus der Neuen Welt” - Allegro molto
Pjotr Iljitsch Tschaikowski Tanz der Zuckerfee
Dizzee Rascal Nutcrackerz (Featuring Giggs)
Busdriver Imaginary Places
Johann Sebastian Bach 2. Orchestersuite/Badinerie
Bruno Sanfilippo & Mathias Grassow Ambessence piano & drones 1
Drake Started From The Bottom

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