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Rosemary's Baby/Rosemaries Baby

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Die Seele ist ein weites Land

Sein neues Psychodrama „Based on a True Story“ muss man wirklich nicht gesehen haben. Hier sind aber drei Meisterwerke von Roman Polanski.

Von Christian Fuchs

Der 84-jährige Regisseur Roman Polanski ist eine höchst kontroverse Figur. Einerseits berühmt für einige Filme, die zu den düsteren Klassikern der Kinogeschichte zählen. Auf der anderen Seite berüchtigt für die „Vergewaltigung unter Verwendung betäubender Mittel“ einer Minderjährigen in den späten Siebziger Jahren. Es gab Zeiten, da tauchte dieser Vorfall in der medialen Berichterstattung gar nicht mehr auf. Vor allem als Polanski anno 2002 mit der Goldenen Palme von Cannes sowie dem Oscar für sein Holocaust-Drama „The Pianist“ ausgezeichnet wurde. Im Zuge der #metoo-Debatte wurde der französisch-polnische Regisseur zuletzt aber immer mehr zur Persona Non Grata. Filme dreht er trotzdem noch in seinem europäischen Exil.

Ganz und gar nicht kontrovers ist Roman Polanskis neuestes Werk geraten. „Based on a True Story“ heißt dieser Suspense-Thriller, für den er zusammen mit seinem gefeierten Kollegen Olivier Assayas einen französischen Bestsellerroman adaptierte. Leider plätschert die Geschichte rund um eine erfolgreiche Schriftstellerin, deren Leben von einer jüngeren Stalkerin gänzlich vereinnahmt wird, dahin wie ein mittelmäßiger Fernsehfilm. Eva Green und Emanuelle Seigner alias Madame Polanski mühen sich in den Hauptrollen vergeblich ab. Nur stellenweise flackert in „Nach einer wahren Geschichte“ die bedrohliche Brillanz von Polanskis vergleichbaren früheren Werken auf, in denen er vom weiten und überaus steinigem Land der Seele erzählt.

Based on a True Story/Nach einer wahren Geschichte

Constantin Film

Based on a True Story/Nach einer wahren Geschichte

Studie über den schleichenden Irrsinn

Am Anfang steht in „Repulsion“ (Ekel, 1965) ein Blick, der sich einbrennt. Apathisch und leer wirken sie zunächst, die Augen der jungen Carole, die in dem Schwarz-Weiß-Film immer wieder die Leinwand ausfüllen, bald aber ängstlich und verstört. Die großartige Catherine Deneuve, damals noch relativ am Anfang ihrer Karriere, spielt die Französin in London, eine ätherische Schönheit, die von Männern nahezu bedrängt wird. Aber die introvertierte Frau hat zum anderen Geschlecht ein extrem gespaltenes Verhältnis. Überhaupt triggern Sex, Liebe und Emotion eher Albträume bei ihr.

Roman Polanski und sein Stammdrehbuchautor Gérard Brach verpacken eine fast schon klinische Studie über den allmählichen Irrsinn in einen dunklen Thriller. „Unsere zentrale Gestalt, Carole, die Maniküre, ging auf ein Mädchen zurück, das Gérard und ich in St.-Germain-des-Prés gekannt hatten“, schreibt der Regisseur in seiner Autobiografie. „Was außer ihrer Schönheit auf den ersten Blick den stärksten Eindruck machte, war das Bild süßer Unschuld und spröder Gelassenheit, das sie bot. Erst als sie mit einem unserer Freunde zusammenzuleben begann, trat eine andere Facette ihrer Persönlichkeit in Erscheinung. Er erzählte uns sonderbare Geschichten über sie - wie sie sich von Sex gleichzeitig angezogen und abgestoßen fühlte und zu jähen Anfällen von Gewalttätigkeit neigte.“

Repulsion/Ekel

Arthaus Filmverleih

Repulsion/Ekel

Man mag Polanski vorwerfen, dass er die langsam zerbrechende Frauenfigur in die spekulativen Dämmerzonen des Genrekinos hinunterzieht. Statt Caroles Phobien und Psychosen ernsthaft zu erforschen, stürzt der Film sie in einen Strudel aus Isolation, halluzinatorischen Wahnvorstellungen und Mord. Aber gerade dieser Zugang, der auf jede seriöse Erklärung verzichtet, macht den Film zu einem sinistren Ausnahmewerk. „Repulsion“ lässt an den Expressionismus, den Surrealismus, Alfred Hitchcock und das Noir-Kino denken. Und er findet doch zu einer eigenen filmischen Sprache.

Schleichend inszenierter Schrecken

Wie oft bei Polanski beginnt auch „Rosemary’s Baby“ (Rosemaries Baby, 1968) ganz harmlos. Ein junges Paar, dargestellt vom damaligen Shootingstar Mia Farrow und dem Kunstfilmregisseur John Cassavetes, zieht in ein protziges Mietshaus in New York ein. Zwar geistern Gerüchte herum von seltsamen Vorfällen in dem Gebäude, aber die einfühlsamen und omnipräsenten Hausbewohner sind einfach zu charmant. Als Rosemary schwanger wird, helfen die Nachbarn besonders liebevoll, um der werdenden Mutter den Alltag zu erleichtern. Vielleicht haben sie ja auch besondere Pläne mit dem ungeborenen Kind.

„Rosemary’s Baby“, gedreht nach dem gleichnamigen Roman von Ira Levin, wird zum unerwarteten Kassenschlager. Roman Polanski schwimmt mit dem unglaublich souverän und subtil inszenierten Schocker damals auf einer Erfolgswelle, schon vorher konnten sich Kritiker und Publikum auf die Gruselkomödie „The Fearless Vampire Killers“ (Tanz der Vampire, 1967) einigen.

Rosemary's Baby/Rosemaries Baby

Paramount

Rosemary’s Baby/Rosemaries Baby

Im Gegensatz zur ganzen Welle von satanischen Horrorfilmen wie „The Exorcist“ oder „The Omen“, die der Film vorweggenommen hat, ist „Rosemary’s Baby“ eine Stilübung in Sachen schleichender Schrecken, fast ganz ohne spekulative Spezialeffekte oder gar Splatterszenen. Das Grauen grinst hier einfach freundlich aus der Nachbarwohnung. Polanski, der zur Zeit der Dreharbeiten die Schauspielerin Sharon Tate vergöttert und mit ihr eine gemeinsame Familie plant, trifft perfekte Entscheidungen was das Casting, die Kamera und vor allem die spooky Musik von Christopher Komeda betrifft. Der Einfluss des Films auf andere Regisseure ist bis heute gewaltig, man muss nur aktuelle Interviews mit dem jungen „Hereditary“-Schöpfer Ari Aster lesen.

Mieter im Zinshaus der Grauens

Und noch ein Filmtipp, der das Wohnen in der Großstadt auf schauerliche Weise thematisiert. „Le locataire“ (Der Mieter, 1976) ist für eingefleischte Fans des Künstlers Roman Polanski vielleicht das Schlüsselwerk in seinem Schaffen. Die Paranoia und die Panikattacken, die den Regisseur nach der Ermordung von Sharon Tate durch die Manson-Family plagen, all seine Traumata als Holocaust-Überlebender, aber auch die Abscheu vor anderen Menschen, die sich durch „Repulsion“ und „Rosemary’s Baby“ zieht, kommt in dem Psychothriller zum Ausdruck.

Polanski selbst spielt den schüchternen Einzelgänger Trelkovsky, der in ein Pariser Mietshaus einzieht, wo ein streng-spießiges Klima herrscht. Auch hier munkelt man von vergangenen Ereignissen, die Vormieterin in der muffigen Wohnung hat sich angeblich aus dem Fenster gestürzt. Aber im Gegensatz zu Rosemary wird Trelkovsky von den anderen Bewohnern im Haus nicht verhätschelt. Im Gegenteil: ein psychischer Terror beginnt, der ihm zuerst die Lebensfreude vergällt und ihn dann allmählich in den Untergang treibt.

Le locataire/Der Mieter

Paramount

Le locataire/Der Mieter

Wer jemals in einem ähnlichen Zinshaus gewohnt hat, wird Gänsehaut bekommen bei diesem bestürzenden Film, der im letzten Drittel die sicheren Pfade des Realismus verlässt. Wenn Franz Kafka jemals bei einem Film Regie geführt hätte, dann bei „Der Mieter“. Bevor Roman Polanski in die künstlerische Belanglosigkeit abgetaucht ist, hat er noch einige tolle Filme gedreht, alleine über „Chinatown“ könnte man eine lange Lobeshymne schreiben. Aber selten ist er den Abgründen der menschlichen Seele so nahe gekommen.

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