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Listen To Leena

Apollonia Bitzan

soundpark act des monats

Immer weiter in Leben und Musik

Synthpop, Montaigne und die Unbeständigkeit des Seins: Listen To Leena schreiben mit „Pendulum“ ein facettenreiches zweites Album. Es erscheint im Oktober - wir haben exklusive Hörproben und das neue Video zur Single „Slow Motion“ für euch. Unser FM4 Soundpark Act im Juli.

Von Lisa Schneider

Der französische Denker und Schriftsteller Michel de Montaigne (*1533) hat sich als einer der ersten die Frei- und Feinheit herausgenommen, die Welt in seinen Schriften so darzustellen, wie er sie gesehen hat - und nicht so, wie sie ihm durch Bücher nahegebracht worden ist. Damit hat er eine neue Gattung in der Literatur mitbegründet; viele BloggerInnen von heute verwalten quasi sein Erbe.

Listen To Leena, vor allem die Sängerin und Songschreiberin der Band, ist fasziniert von Montaigne und seiner Egozentrik, aber auch von seinem Mut, es ist besonders ein Zitat, das das neue, zweite Album der Band namens „Pendulum“ vorrangig inspiriert hat:

„Die Welt ist nichts als ein ewiges Auf und Ab. Alles darin wankt und schwankt ohne Unterlass. Selbst die Beständigkeit ist bloß ein verlangsamtes Schaukeln. Ich schildere nicht das Sein, sondern vielmehr das Unterwegssein.“

Das Pendel, das immer ausschlägt, und nie stillhält; die Welt, die sich weiterdreht, ob Tränen vergossen werden, aus Freude, Liebe oder Leid. Es ist das ewige Fortbewegen, das schöne Chaos, das sich Listen To Leena nicht nur inhaltlich, sondern auch soundtechnisch zum Vorsatz genommen haben. Um die ganze Schaffenskraft ihres Zweitlings bewerten zu können, muss man aber kurz an den Anfang des Quintetts zurückblicken.

Linz, Jazz, Debut

Die fünf MusikerInnen, die hinter Listen To Leena stehen, Lucia Leena, Jakob Mayr, Simon Raab, Felipe Ramos und Andreas Senn, haben gemeinsam am Jazzinstitut der Bruckner Universität in Linz studiert, dort lernen sie sich kennen, dort formt sich langsam die Band. Anfangs noch im kleineren Kreis, seit noch nicht allzu langer Zeit in der jetzigen, fünfköpfigen Version. Die Frage liegt nahe, inwiefern sich das klassische Jazzstudium auf die Popmusik, die Listen To Leena mittlerweile schreiben, auswirkt; die Antwort kommt, mit fast schallendem Gelächter untermalt und befreit aus der Brust der Sängerin: „Je länger ich studiert habe, mir Musik akademisch angeeignet habe, desto mehr hab’ ich gemerkt - das interessiert mich so nicht.“ Lucia Leena will Zustände des Lebens, ihres Lebens, in Worte und dann in Musik fassen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

2014 erscheint das sehr klar gezeichnete und ebenso aufgenommene Debutalbum, es heißt „White Elephants“. Die Instrumente dringen hier klar in den Vordergrund, es sind oft minimalistische Arrangements, sehr unaufdringlich, umso feiner. Die Herangehensweise an das zweite Album ist eine komplett andere.

Veränderungen im Leben und im Schreiben

Das Konzept hinter „Pendulum“, die Idee von der steten Bewegung, die uns umgibt, ist nicht nur ein philosophisch schöner Ansatz; Lucia Leena bindet vor allem im Aufnahmeprozess des zweiten Albums ihre persönlichen Vorlieben noch viel stärker als vorher mit ein. Vorlieben, die sich wie ihr Leben und ihre Musik verändert haben. „Eine Intention, bevor ich begonnen habe, die neuen Songs zu schreiben, war: Es muss tanzbar sein. Ich will mich zu diesen Stücken bewegen können, weil ich selbst das Tanzen erst relativ spät für mich entdeckt habe, und privat jetzt auch viel mehr Musik höre, die in diese Richtung geht.“

Wie soll Musik funktionieren, wenn sie nicht aus dem Inneren der Person kommt, die sie schreibt; gern folgt man Lucia Leena hinein in das Tanzstudio um die Ecke ihrer gemieteten Wohnung in New Orleans, wo sie mehr oder weniger durch Zufall für einige Wochen strandet, ohne Aufgabe, ohne Ziel, im puren Luxus, einfach nur ausgestattet mit Zeit, zum Streunen, Staunen und Schreiben.

Albumcover "Pendulum" von Listen To Leena

Kleio Records

„Pendulum“, das zweite Album von Listen To Leena, erscheint am 5.10. via Kleio Records.

Lucia Leena kehrt dann zurück nach Österreich, mit „qualitativ eher miesen Demos, eingespielt auf einer verstimmten Gitarre“, ihre fünf Bandmitglieder spielen drauf los, es kommt ihr im Nachhinein so vor, als hätten sie die Songs gemeinsam geschrieben, auch, wenn das nicht ganz der Wahrheit entspricht. Im Proberaum, auch im Studio diesmal entsteht eine neue Art von Kollektiv, Produzent Herbert Pirker wird zu einer Art sechstem Bandmitglied, und gemeinsam entwerfen Listen To Leena eine neue Idee von dem Ort, der ihre Musik sein soll.

Schneller, kräftiger, Pop

War das Debutalbum reduziert, ist „Pendulum“ pompös; es ist voluminöser Synthiepop, mehrschichtig im Sinne einer glitzernden Collage unterschiedlichster, teils klassischer, teils neu erfundener Sounds. Man kann sich einen schönen Spaß daraus machen, die Band nach der Anzahl von Tonspuren der einzelnen Songs zu fragen; es ist eine unüberschaubare Menge. „Oft geht es mir selbst so: Ist das jetzt eine Posaunenarmee? Sind das jetzt effektierte Toms? Die Elemente haben wir im Studio, aber vor allem in der Postproduktion so verändert, dass wir die einzelnen Instrumentenspuren oft selbst gar nicht mehr unterscheiden können. Und im Prinzip ist das auch nicht vordergründig wichtig, es geht einzig und allein um den Sound, der am Ende da ist.“

Was am Ende da ist, ist ein Schwall, Zuckersirup und Salzsäure, das hohe Jauchzen und der tiefe Seufzer; perfekt gebündelt ist diese Welle an Geschmäckern und Gefühlen gleich im Openingsong „Slow Motion“, wohl auch der beste des ganzen Albums.

Das Intro trabt dahin, es ist so kurz, und dabei fühlt es sich so lange an, es bäumt sich aus und bricht los, so gut wie direkt hinein in den Refrain. Dass es in besagtem Stück um Leidenschaft und Sinnlichkeit geht, dient ganz der Sache; im Video verkörpert durch eine Frau, der man bei der morgendlichen Routine zusieht, sie löffelt ihr Müsli. Nach und nach verzichtet sie auf das Besteck, auf die schönen Manieren, sie fasst den Gatsch aus Milch und Hafer an, der Moment, in dem sie den Alltag verlässt und sich dem hingibt, was sie sieht, fühlt, und schmeckt. "Es ist zum einen die Sinnlichkeit gemeint, die zwischen zwei Menschen entsteht, ein leidenschaftlicher Moment. Viel relevanter aber noch für das Video ist die Sinnlichkeit als Möglichkeit, aus der Routine des Alltags auszubrechen, weil gerade in diesen Routinen ist man abgeschnitten von seinen eigenen Sinnen, man nimmt nichts mehr direkt wahr. „Slow Motion" ist unser Angebot einer Ausgangstür.“

„Invisible“ etwa ist auch ein dem Gefühl nach ganz ähnlicher Song, der auf einen zurollt, auf schweren Tasten, die Gitarre muss auch mit nach vorn, alles schneller, „I follow the beat“. Es ist die Suche nach dem Neuen, auch auf „Something New“, und gleichzeitig das traurige Wissen darum, nicht mehr zurückzukönnen. Man hört hier einen Menschen singen, der glücklich, aber gleichzeitig immer noch auf der Suche nach dem Sinn des Lebens ist, und ganz so sieht sich Lucia Leena: „Ich bin gerne positiv, ich gehe Dinge positiv an. Ich will aber genauso Fragen stellen, und ich verlange Antworten.“

Exklusive Hörproben aus „Pendulum“

Im Laufe des Juli werden wir auf FM4 neben den schon veröffentlichten Singles „Will I?“ und „Slow Motion“ auch noch zwei weitere Songs vorstellen. Der erste ist der erwähnte „Something New“, der zweite bringt sogar einen ganz besonderen Gast mit: Willi Resetarits. Kennengelernt haben ihn Listen To Leena bei einer sonntäglichen Konzertreihe, die er im Wiener Le Meridien gestaltet, um jungen KünstlerInnen eine Bühne zu bieten. Auf „Her Way“ spielt Willi Resetarits, den Listen To Leena kurzerhand gebeten haben, nicht nur live, sondern auch auf der Albumversion mitzuwirken, die Mundharmonika.

Listen To Leena LIVE

7.8.2018 Zentrum für Musikvermittlung, Wien (solo)
12.10.2018 Tam Tam, Graz 17.10.2018 B72, Wien
18.10.2018 Stadtwerkstatt, Linz
19.10.2018 Altes Spital, Viechtach
25.10.2018 Local Bühne, Freistadt
26.10.2018 OKH, Vöcklabruck
27.11.2018 Musikwerkstatt, Wels

7.8.2018, Zentrum für Musikvermittlung, Wien (Solo)

Die nächste Herausforderung für Listen To Leena wird es sein, das so dicht arrangierte Album in ein Liveset zu gießen. „Die Platte lebt von ihrem collageartigen Charakter, von der Vielschichtigkeit. Die Live-Umsetzung wird von etwas anderem Leben, von Energie, von dem, was wir als fünf Musiker geben können. Wir haben fünf Paar Hände und fünf Paar Füße, was wir damit bedienen können, machen wir, und was nicht, das wird nicht fehlen.“

Die Überzeugung, die einem bei solchen Sätzen während des Interviews entgegenstrahlt, machen Zweifel daran so gut wie unmöglich.

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