Im Land der vergessenen Dinge

Das Videospiel „Forgotton Anne“ könnte ein vergessener Anime der Kult-Animateure Studio Ghibli sein - optisch und inhaltlich. Ein großes Lob, gelassen ausgesprochen - und gerechtfertigt.

Von Rainer Sigl

Kleidungsstücke, Krimskrams, kleine und große Gegenstände - es gibt eigentlich kaum etwas, das nicht verloren gehen kann. Im Videospiel „Forgotton Anne“ spielen verlorene Dinge die Hauptrolle, oder besser gesagt: der Ort, an dem sie irgendwann einmal landen. Denn all die verlegten, verschlampten oder einfach vergessenen Dinge führen ein Eigenleben, sobald sie aus der normalen Welt verschwunden sind.

Sie werden zu lebendigen Wesen - den Forgotlings. Die leben in einer Dimension, die von unserer Realität abgetrennt ist. Dort spielt das Action-Adventure „Forgotton Anne“. In der Gestalt von Anne haben wir in dieser Welt die Aufgabe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen - warum wir abgesehen von unserem greisen Meister Bonku hier die einzigen Menschen sind und wie wir diese Welt je wieder verlassen können, offenbart sich in den sechs bis acht Stunden Spieldauer in spannenden Wendungen einer Handlung, die ebenso bizarr wie anrührend ist.

Ein Anime zum Selberspielen

Wenn man „Forgotton Anne“ das erste Mal sieht, hat man das Gefühl, einen Zeichentrickfilm der japanischen Kult-Animateure von Studio Ghibli zu spielen - deren Klassiker „Prinzessin Mononoke“ und „Chihiros Reise ins Zauberland“ zählen zu den glühend verehrten Kultfilmen japanischer Zeichentrickfilmkunst. Die Welt, die Figuren und vor allem die Animationen erinnern an die gelungensten japanischen Trickfilme, und auch die Handlung des Spiels kann es in Sachen Einfallsreichtum und Bizarrheit annähernd mit den stets überraschenden Ghibli-Kunstwerken aufnehmen.

Der aufwendig vom Kopenhagener Philharmonie-Orchester eingespielte Soundtrack passt zur filmreifen Präsentation. Schade, dass nicht alle (englischen) Sprecher dieses hohe Niveau halten können - eine klitzekleine Schwäche eines ansonsten fast makellos präsentierten Spiels im außergewöhnlichen Stil.

Rätseln und Entscheiden

„Forgotton Anne“, das von einem dänischen Indiestudio stammt, lebt von seiner Optik und seiner bizarren, aber deshalb auch originellen und gelungenen Geschichte. Spielerisch ist es ein solides Puzzle-Adventure, in dem wir Anne aus der Seitenansicht durch diese schräge Welt lenken. Im Gegensatz zur Präsentation findet man hier durchaus Grund zur Kritik: Die Steuerung ist in einzelnen Details grundlos kompliziert und eine Spur zu träge, und bei manchen Rätseln ist es nicht ganz klar, wie es weitergeht.

Abgesehen von solchen kleineren Hindernissen stellen aber sowohl die Rätsel als auch die seltenen Geschicklichkeitseinlagen meistens besonderen Herausforderungen dar, dafür sorgen teils drastische Entscheidungen aber dafür, dass wir auch nach den etwa sechs Spielstunden zurückkehren und andere Wege ausprobieren können. „Forgotton Anne“ ist ein beeindruckend fantasievoller Zeichentrickfilm zum Selberspielen; nicht nur Fans japanischer Animation werden ihre Freude damit haben.