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Rapper Kendrick Lamar performs during the 2016 Austin City Limits Music Festival

SUZANNE CORDEIRO / AFP

FM4 EXCURSIONS

Samples des 21. Jahrhunderts

FM4 Excursions, Episode 3, Liner Notes: HipHop- und Dance-Produzenten finden ihre Samples nicht nur in frühen Dekaden, sondern auch in der kaum vergangenen Gegenwart. Wie Samples aus den letzten 18 Jahren die Musik von Kendrick Lamar, Jay-Z & Beyoncé und The Weeknd prägen.

Von Florian Wörgötter

Die Musikproduktion mit Samples war lange Zeit eine Geheimwissenschaft. Sample-Spürnasen, sogenannte „Crate-Digger“, vergruben sich in Plattenläden auf der Suche nach dem perfekten Break. Entweder um bereits gesampelte Musikpassagen aufzuspüren oder um freistehende Drums oder einen Kontrabass-Groove für die eigenen Beats zu finden. Heute machen YouTube, Spotify & Co die gesamte Musikhistorie mit ein paar Mausklicks verfügbar. Webseiten wie WhoSampled.com liefern die zugehörige Transparenzdatenbank. Der Plattenladen ist überall, nur kostet seine Musik nichts mehr.

FM4 Excursions

Bunt gemixte Assoziationsketten zeigen die Wurzeln aktueller Sounds und ihre Einflüsse auf die musikalische Jetztzeit. Die Excursions-Themen-Mixtapes von Trishes laufen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ab 0 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player. Ein Klick auf die Links der beschriebenen Songs führt zu ihrer Position im Mix.

Diese Gleichzeitigkeit aller Musik führt dazu, dass Genres verschwimmen und das Heute der Popkultur mit dem Gestern verschmilzt. Junge HipHop- und Dance-Music-Produzenten scheuen nicht mehr zurück vor noch dampfenden Eisen, sondern lassen sich auch von der Gegenwart inspirieren und schneiden Sound-Schnipsel aus aktuellen YouTube-Videos oder rippen Streams von Spotify. Jedes Genre, jede Band, nahezu jeder Song landet bequem vom Netz im Hardware-Sampler oder der Sequenzer-Software und wird so zum Fundament eines neuen Songs.

Die FM4 Excursions widmen sich in Episode 3 der zweiten Staffel der Popmusik des 21. Jahrhunderts und wie Samples aus der nahen Vergangenheit die Gegenwart formen.

Generation Internet: „Bitch, Don’t Kill My Vibe!“

Trishes beginnt seinen Themen-Mix mit den dänischen Boom Clap Bachelors und ihrem Song „Tiden Flyver“ (2008). Das Indie-Soul-Electronica-Kollektiv aus Kopenhagen hat das zugehörige Album „Kort Før Dine Læber“ demokratisch produziert: Die Gruppe von Instrumentalisten, Producern und DJs schickte ein Demo in die Runde, das jeder nach Belieben weiterentwickelte. Vielleicht fühlte sich Kendrick Lamars Producer Sounwave von diesem Creative-Commons-Gedanken aufgefordert – oder einfach nur vom entspannten Vibe dieser „crazy record from this foreign group“. Er krallte sich den Loop samt Gitarren, Streicher und sanftem Piano-Bass für Lamars vierte Single „Bitch, Don’t Kill My Vibe“ (2013) und ergänzte Drums und Streicher. Ob eine Verjährungsfrist beim Gebrauch von Samples angebracht wäre? Kendricks Pulitzerpreis-verdächtige Antwort darauf entnehmen wir dem Songtitel.

Rapper Kendrick Lamar performs during the 2016 Austin City Limits Music Festival

SUZANNE CORDEIRO / AFP

Kendrick Lamar

Trishes ergänzt einen weiteren Track von Lamars Majorlabel-Debüt „Good Kid, M.A.A.D City“ (2012): „Money Trees" vereint alle Eckpfeiler eines lesenswerten Street-Rap-Tagebuchs mit einem singenden Kendrick („Halle Berry or Halleluja“) und einem überzeugenden Jay Rock („Broken promises, steal your watch, and tell you what time it is“). Produzent DJ Dahi hat diesmal nur zwei Jahre zurückgeblickt und den Dream-Pop-Song „Silver Soul" (2010) des US-Duos Beach House stibitzt, die Gitarrenklänge im Intro rückwärts laufen lassen und Schlagzeug und Bass unterlegt. So ähnlich hat DJ Dahi schon in Lamars „Loyalty“ (2017) den von Autotune verfälschten Gesang von Bruno Mars’ „24K Magic“ (2016) umgedreht und die Tonhöhe bis zur Unkenntlichkeit hoch gepitcht.

Wer sampelt, bedient sich nicht nur einem Klang, einem Instrument, einer Melodie oder einem Groove, sondern auch des Eigenklanges des Aufnahme-Mikrofons, der Raumakustik des Studios, der Sound-Effekte vor oder nach der Aufnahme, der Equalizer und Kompressoren im Mix und schlussendlich am Mastering, also dem akustischen Feinschliff am Ende einer jeden industrietauglichen Produktion. Wie hier sämtliche Parameter einfach eingestampft werden, indem sie zur Unkenntlichkeit beschleunigt werden, ist souverän und respektlos zugleich.

Allerdings gibt es im HipHop unzählige Beispiele, wo ein Sample werktreu weiterverarbeitet wird, der kreative Mehrwert aber auch auf den zweiten Blick nicht ersichtlich ist. Trishes zeigt ScHoolboy Q in „Man Of The Year“ (2013). Dessen tragendes Synth-Sample entstammt dem Anfang von „Cherry“ (2013) der US-Electronic Band Chromatics. Ihr Stück erschien überhaupt erst wenige Monate zuvor.

SchoolboyQ

Dj Teck 16 / flickr / CC BY 2.0

SchoolboyQ CC BY 2.0

Sample-Souveniers aus Down Under

Ein gern gesehener Gast auf den Sampler-Spuren großer HipHop-Produzenten ist die australische Future-Soul-Band Hiatus Kaiyote. Die Combo um Sängerin Naomi „Nai Palm“ Saalfield machte mit einem Feature mit A Tribe Called Quest-Frontmann Q-Tip international auf sich aufmerksam. Seit dem dient sie als Am-Puls-der-Zeit-Sample-Quelle für US-Rapstars wie Drake, Kendrick Lamar und Chance The Rapper. Die Großzügigkeit der Australier in Sachen Urheberrechtsanspruch wird wiederum mit viraler Öffentlichkeit belohnt, die dem Geheimtipp-Status der Band keinesfalls geschadet hat. Trishes huldigt der Jazz-Funk-Elektronik-Combo gleich mit zwei Songs.

Hiatus Kaiyote

villunderlondon / Wikimedia Commons / CC BY 2.0

Hiatus Kaiyote CC BY 2.0

Erstens: Ihre Live-Version von „The World It Softly Lulls“ (2012) wurde aktuell vom Pop-Traumpaar Beyoncé & Jay-Z aka The Carters gesampelt. Die auffallend Rap-verliebte Beyoncè zitiert im Chorus von „713“ (2018) Dr. Dre und Snoop Dogg’s G-Funk-Hymne „Still D.R.E.“ (2001). Diese Referenz bleibt aber in der Familie, schließlich stammt der gesamte Text von Dre’s damaliger Comeback-Erklärung zur Gänze aus Jay-Z’s Feder (ja, ebenso der Part von Snoop Dogg). Auch der ostentative Einsatz der gesampelten Piano-Akkorde von Hiatus Kaiyote in „713“ erinnert an Dre’s zwei Akkorde, mit denen er um die Jarhtausendwende Musikgeschichte geschrieben hat.

Anderson.Paak Cover "Malibu"

Anderson.Paak / Steel Wool Entertainment

Zweitens: Die Hiatus Kaiyote-Nummer „Molasses“ (2015) dient als Unterlage für Anderson .Paaks souliges „Without You“ (2016). Während das Original Break-ups thematisiert, gesteht .Paak in der Neufassung die Liebe zu seiner Frau. Wenn Produzent 9th Wonder das im Vorjahr erschienene E-Piano von „Molasses“ loopt, konterkariert dieser Kniff die liebevolle Vintage-Collage des Albumcovers von „Malibu“ (2016): Im Zentrum spielt Anderson .Paak in der Unterhose ein antikes Klavier, umringt von Retro-Insignien wie Koffer-Plattenspieler, Schreibmaschine oder Pink Cadillac. Im Kopf entsteht eine Sample-Bild-Schere.

Music on Demand? „Belong to the World“

Das britische Trip-Hop-Trio Portishead wäre in den Neunzigerjahren ohne Samples nicht mehr gewesen als eine A-Capella-Band. Nach zehnjähriger Album-Pause wandte sich die Band aus Bristol auf ihrem Comeback-Album „Third“ (2008) der Live-Instrumentierung zu. Trishes spielt daraus den Song „Machine Gun“, der sie Jahre später auf die Seite der Beklauten rückte. Denn: Der kanadische R&B-Sänger The Weeknd hat sich vom tragenden Machinengewehr-Rhythmus für seinen Song „Belong to the World“ (2013) inspirieren lassen. Der Streitpunkt: The Weeknd bestritt zuerst einen Zusammenhang zu Portishead, hat Producer Geoff Barrow dann doch um dessen Genehmigung für das Sample gebeten, die dieser aber auf Twitter aus mehreren Gründen abgelehnt hat:

Vor diesem Hintergrund lässt sich The Weeknds Songtitel „Belong to the World“ auch als Statement lesen: Dass alle Musik der (virtuellen) Welt allen in der (virtuellen) Welt gehöre. Überraschend aber bleibt: Tom Jones durfte den Portishead-Song „All Mine“ ohne Widerrede covern.

Geoff Barrow performing with Portishead at Roskilde Festival 2011

Bill Ebbesen / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Geoff Barrow CC BY-SA 3.0

Weiters setzt Trishes dem kürzlich in einem Raubüberfall erschossenen Rapper XXXTentacion, 20, ein Denkmal. Seine Musik bringt die Emotionen der Jugend auf den Punkt: den Wutausbruch lauten Metal-Geschreis, die Verunsicherung von Emo-Rock-Gitarren, das provokative Aufbegehren des Raps. Sein Debüt-Song „Look At Me!“ (2016) machte den jungen MC über SoundCloud zum Nachwuchshelden der Generation Fidget Spinner.

XXXTentacion

By State of Florida - Florida Dept. of Corrections / Public Domain / Wikimedia Commons

XXXTentacion

Der Beat mit dem grindig-übersteuerten (!) Mastering basiert auf einem verlangsamten Vocal-Sample von „Changes" (2008), einem Song des britischen Dubstep-DJ und Producer Mala, der einen Hälfte von Digital Mystikz. Im Goldenen Zeitalter der plattenindustriellen Wertschöpfungskette hätte ein Klangbild wie dieses kaum das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Heute erreicht es mit seiner krachenden Unvollkommenheit die Kids vor ihren Screens. Ein weiterer Beweis, dass Technik und Handwerk in den Hintergrund treten können, solange der Vibe stimmt. Unperfekt und spontan hingerotzt gilt als authentisch. Eigentlich ein aufmunterndes Statement in Zeiten des überinszenierten Hochglanz-Filter-Lifestyles der Influencer-Diktatur.

Nächste Woche geht’s in den FM4 Excursions um Gebrauchsmusik, Vertonungsplatten und „Library Music“.

Weitere Episoden der FM4 Excursions
Episode 1: Sounds of Brasilien
Episode 2: Klassische Musik
Episode 3: Das 21. Jahrhundert
Episode 4: Library Music
Episode 5: Drum-Breaks
Episode 6: Psychedelic Rock

Die gesamte Staffel 1 könnt ihr hier Nachhören und Nachlesen

Boom Clap Bachelors Tiden Flyver
Kendrick Lamar Bitch, Don't Kill My Vibe
Kendrick Lamar Money Trees (Feat. Jay Rock)
Beach House Silver Soul
ScHoolboy Q Man Of The Year
Chromatics Cherry
Black Milk Could It Be
Pixx A Way To Say Goodbye
Drake Pound Cake / Paris Morton Music 2
Ellie Goulding Don’t Say A Word
The Weeknd Belong to the World
Portishead Machine Gun
Puff Daddy & The Family Workin feat. Big Sean and Travis Scott
Les Sins Bother
Mala Changes
XXXTentacion Look At Me!
Hiatus Kaiyote The World It Softly Lulls (live)
Beyoncé & JAY-Z 713
Anderson .Paak Without You (Ft. Rapsody)
Hiatus Kaiyote Molasses

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