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APA/AFP/Yuri CORTEZ

Blumenaus WM-Journal

Die Lust auf einen neuen Weltmeister

Viele Menschen wünschen sich einen neuen Titelträger, einen Sieger jenseits der alteingesessenen Nationen. Das ist romantisch, aber auch problematisch.

Von Martin Blumenau

Der WM-Titel der Nationalmannschaften gehört einer kleinen Handvoll von südamerikanischen und europäischen Teams, acht an der Zahl. Mehr müssen es auch nicht sein.

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Der Wunsch vieler Fans und Beobachterinnen nach einem „neuen, frischen“ Titelträger abseits der Nomenklatura, jenseits einer einzementierter World-Order ist schon nachvollziehbar: Underdogism, Freude an der Überraschung etc.

Andererseits ist so ein WM-Titel eine Bürde, die nicht jede Fußball-Nation, geschweige denn jede Nation vertragen würde.

Im Gegensatz zu kontinentalen Meisterschaften (wie der Euro oder der Copa America, die schon deutlich mehr verschiedene Titelträger hervorgebracht haben) ändert ein WM-Titel nämlich Schicksale, bis hin zu dem des Landes.

Spurensuche in der Geschichte

Es dauerte gut bis in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts hinein, ehe im Fußball, dieser globalsten aller Sportarten ein weltumspannendes Bewusstsein einsetzte. Davor begnügte man sich damit, seine Region zu dominieren. Und es gab drei Zentren der Entwicklung: das Mutterland, England; die neue mitteleuropäische Schule (Italien, Schweiz, Ungarn, Tschechoslowakei); und Südamerika mit dem Dreieck Brasilien - Uruquay - Argentinien. Diese Zentren stellten nicht nur alle Europameister und Copa America-Sieger, sondern auch alle WM-Finalisten bis 1950.

Deutschland war bis zum Überraschungs-Titel 1954 (der eigentlich Ungarn gebührt hätte und ohne das heute bekannte Doping wohl auch nicht gelungen wäre) eine seit den Demütigungen durch das Wunderteam verbesserte europäische B-Klasse-Elf. Der Titel setzte nicht nur im Sport, sondern auch gesamtgesellschaftlich (das ökonomisch erklärbare Wirtschaftswunder der BRD bekam so ein allen verständliches Narrativ) neue Maßstäbe.

Anderes Boom-Beispiel, allerdings im Negativen: im seit den 60ern in ein regionales Tief geratene Argentinien sorgte der nicht ganz erwartete (und absurderweise von einer Mannschaft eines klar links positionierten Trainers erkämpften) Titel von 1978 dafür, dass die noch junge Militärdiktatur sich stabilisieren und deutlich länger als erwartet halten konnte. Der Zusammenbruch erfolgte ein Jahr nach dem verheerenden Turnier 1982.

Seitdem ist nichts Unvorhergesehenes mehr passiert: die Debüt-Titel von Frankreich bzw. Spanien rückten nur vergangene Fehlentwicklungen wieder gerade. In Frankreich wurde trotz einer frühen Profi-Liga im Verband erst ab den späten 70ern konzentriert gearbeitet. Und in Spanien sorgte eine selbstgewählte Isolation durch den Franco-Faschismus dafür, dass die Nationalmannschaft lange gar keine Bedeutung hatte. Bezeichnend: nicht der Verband, sondern Real Madrid war der erste spanische Vertreter in der FIFA.

Und so ist es heute...

Aktuell stellen die fünf europäischen Weltmeister auch die fünf weltweit (ökonomisch) größten Ligen. Und die Legionäre aus Brasilien und Argentinien führen die Legionärs-Charts in diesen Geldvermehrungsanstalten an. Wenn jetzt Belgien, Kroatien oder gar Schweden den Titel gewinnen würden, brächte das strukturell keinerlei Änderung: die drei genannten Ligen würden weiter als Zweitklasse-Zulieferer für die großen Märkte (zuvorderst die der jeweiligen Nachbarn) arbeiten - so wie das auch Österreichs Bundesliga tut.

Nun würde bei einem Titel von Schweden oder Belgien keine Identitäts- oder Staatskrise ausbrechen: die einen sind zu gefestigt in ihrem Egalitarismus, die anderen deutlich zu offensiv Multikulti um Nationalismen zu befördern. Etwa einen instrumentalisierenden Nationalismus, wie er dieser Tage in Deutschland oder der Schweiz sein Unwesen treibt und das Ausscheiden der Teams benützt um politisches Wahlkampfgeld zu wechseln. Absurderweise, wenn man sich die im Wettbewerb verbliebenen Mannschaften von eben Belgien oder auch Frankreich, Brasilien, England, aber auch Schweden (also der Mehrheit der letzten 8) ansieht.

Streng autochton aufgestellt sind eigentlich nur Russland und Kroatien.
Die Folgen eines russischen Titels sind insofern egal, weil sowohl Sieg als auch Niederlage nichts an der „Wir sind die Besten. Auch wenn uns alle anderen nicht wollen“-Haltung ändern würde.

Schwieriger ist die andere Option. Die aufgezwungene Offenheit des einstigen Vielvölkerstaats Jugoslawien (der ab den 30ern als 5. Rad am innovativen Mitteleuropa-Wagen mitgefahren ist) ist bei den zerfallenen Teilstaaten ja einem aggressiven Nationalismus gewichen. Der sich im Fall von Kroatien auch noch mit korrupten Verbands- und Vereinsstrukturen zu einer unguten Melange zusammenbraut. Dazu kommt eine wenig bemerkte Radikalisierung der Gesellschaft samt Aufleben der faschistischen Tradition. Ein Titel für die fußballerisch durchaus finalreife Mannschaft würde in jedem Fall missbraucht werden, und womöglich als Funke für einen neu zu entzündenden regionalen Konflikt dienen.

Das soll nicht heißen, dass die Titel jener acht „unsual suspects“ nicht auch schon mehr als einmal dazu gedient haben, politische Grauslichkeiten zu kaschieren oder ungerechte Systeme zu übertünchen. Der wunderbarste aller WM-Titel, der von 1970, half der brasilianischen Militärdiktatur ein gutes Stück, von dem 1934 Mussolini geschenkten Titel erst gar nicht zu reden. Die Auswirkungen der 2006er-Heim-WM und des Titels von 2014 auf den Aufstieg der neuen deutschen Rechtsextremen sind zwar aus losen Enden geknüpft, aber diskutierbar.

Klar ist aber, dass jeder der vier im Bewerb verbliebenen Ex-Weltmeister dem möglichen Titel mit einer gewissen gesellschaftspolitischen Gelassenheit begegnen würde; und sich da nichts aus den Angeln heben täte. Und allein das stellt dieser Tage schon einen Wert dar, einen großen sogar.

Achtelfinale
AF1: Frankreich - Argentinien 4:3 Review
AF2: Uruguay - Portugal 2:1 Review
AF3: Spanien - Russland 1:1 - 3:4 i.E. Review
AF4: Kroatien - Dänemark 1:1 - 3:2 i.E. Review
AF5: Brasilien - Mexiko 2:0 Review
AF6: Belgien - Japan 3:2 Review
AF7: Schweden - Schweiz 1:0 Review
AF8: Kolumbien - England 1:1 - 3:4 i.E. Review
Viertelfinale
VF1: Frankreich - Uruguay 2:0 Review
VF2: Brasilien - Belgien 1:2 Review
VF3: Schweden - England 0:2 Review
VF4: Russland - Kroatien 2:2 - 3:4 i.E. Review
Semifinale
SF1: Frankreich - Belgien 1:0 Review
SF2: England - Kroatien 1:2 Review
Spiel um Platz 3
Belgien - England 2:0 Review
Finale
Frankreich - Kroatien 4:2 Review

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