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Bundeskanzler Sebastian Kurz und der irische Landwirtschaftsminister Michael Creed am Montag, 9. Juli 2018, bei einem Besuch der Grenzgebiets zu Nordirland bei Ravensdale.

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Sprengmeister oder Brückenbauer?

Jetzt sitzen wir also wieder am Steuer der EU. Genauer gesagt, die türkis-schwarz-blaue Bundesregierung. Doch viele in Brüssel fragen sich ernsthaft, wohin die Reise während Österreichs Ratsvorsitz gehen wird.

Von Claudia Unterweger

Titelbild: Bundeskanzler Sebastian Kurz und der irische Landwirtschaftsminister Michael Creed am Montag, 9. Juli 2018, bei einem Besuch der Grenzgebiets zu Nordirland bei Ravensdale.

Brüssel, Europa-Viertel: Gemeinsam mit anderen JournalistInnen treffe ich österreichische Abgeordnete im EU-Parlament zum Gespräch. Aber zuerst: Uhr runter, Gürtel runter, Röntgenkontrolle fürs Handtascherl und einer nach dem anderen bitte durch die Metalldetektorschleuse. Erst einmal die „Festung Europa“ im Kleinen überwinden.

Monika Vana

APA/FRANZ NEUMAYR

Monika Vana, Europa-Parlamentarierin der Grünen

In einem versteckten Konferenzzimmer dürfen wir dann Fragen stellen. Schon zum dritten Mal nach 1998 und 2006 hält Österreich den Ratsvorsitz inne. Doch angesichts von Krisenstimmung und Asyl-Außengrenzen-Dauer-Gerangel: Eignet sich Österreich als guter Vermittler für die EU? Wie europäisch verhält sich Österreich derzeit? Die EU-Abgeordneten sind da unterschiedlicher Ansicht.

„Servus Europa!“ seit 1. Juli

Sorgenfalten zeigen sich auf der Stirn von Monika Vana, Europa-Parlamentarierin der Grünen. Österreich stehe vor einer besonderen Herausforderung, die EU-Skepsis sei hierzulande höher als in anderen EU-Ländern. „Die Ratspräsidentschaft ließe sich nutzen, um für ein gemeinsames Europa zu werben. Doch ich befürchte, dass Österreich als Sprengmeister des gemeinsamen Europas auftritt und sich in ein Eck mit den Visegrad-Staaten stellt.“

Angelika Mlinar

APA/HERBERT NEUBAUER

EU-Abgeordnete Angelika Mlinar von den NEOS

Dass politische Gräben in der EU noch weiter aufbrechen könnten, sieht auch EU-Abgeordnete Angelika Mlinar von den NEOS. „Unsere Regierung steht für einen neuen politischen Konservativismus, der die Berührung mit rechtsnationaler Politik nicht scheut.“ Es gehe nicht um den Ausgleich und die Kompromissfindung zum Wohle aller in Europa, sondern um das Vorantreiben eigener Themen, vermutet die Abgeordnete der Liberalen EU-Fraktion.

Küsschen für Kurz

Dabei hatte doch Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Wien-Besuch der kompletten EU-Kommissionsriege am Freitag erneut versichert: Die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung sei ein ehrlicher Brückenbauer. Von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab es daraufhin sogar – wieder einmal – die von Kurz so gefürchteten Küsschen: und eine Portion Vertrauensvorschuss: „Wird schon nicht schiefgehen.“

Harald Vilimsky

APA/dpa/Thomas Frey

FPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament

Hinein in die Köpfe

Österreich sei ein hervorragender Impulsgeber, freut sich Harald Vilimsky, FPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament. Widerspruch zwischen EU-Themen und innerösterreichischen Interessen ortet Vilimsky keinen. Ein Erfolg wäre die Ratspräsidentschaft aus der Sicht des Freiheitlichen: „wenn wir unser Motto in die Köpfe der politischen Entscheidungsträger hineinbekommen: Ein Europa, das schützt. Dazu müssen wir eine Lösung der Migrationskrise und der Asylthematik herbeiführen sowie Terrorismus und Kriminalität bekämpfen.“

„Anlandeplattformen“, „Außengrenzschutz“: es scheint, als ob es in der EU in Zeiten des österreichischen Ratsvorsitzes kaum Dringlicheres gäbe als die Frage der Migration, obwohl die Zahl der Flüchtenden und MigrantInnen nach Europa stark gesunken ist. 2017 gab es laut Grenzschutz-Agentur Frontex 60 Prozent weniger Versuche, die EU-Außengrenzen zu übertreten, als noch im Jahr zuvor.

Eugen Freund

APA/HERBERT PFARRHOFER

Eugen Freund, Europa-Parlamentarier im Auftrag der SPÖ

Wien und Europa

Nicht Ängste schüren, sondern Angst nehmen sei eine der wesentlichen Aufgaben dieser Ratspräsidentschaft, entgegnet Eugen Freund, Europa-Parlamentarier im Auftrag der SPÖ. „Das Zusammenspiel populistischer Parteien mit Medien, die mit dem Rücken zur Wand stehen, bläst vieles auf.“ Doch genau das werde der ÖVP-FPÖ-Regierung beim Ratsvorsitz helfen, mutmaßt Freund: „Sebastian Kurz stellt allen die ‚Balkanroute‘ ins Fenster. Durch das Aufschäumen des immer gleichen Themas hat er viele in Europa auf seine Seite gebracht.“

Groß sind auch die anderen dringenden Brocken in der Europapolitik: Brexit, belastete Handelsbeziehungen zu den USA, die haarige Frage, wer in den nächsten 7 Jahren wie viel ins EU-Budget einzahlt.

Othmar Karas

APA/GEORG HOCHMUTH

Othmar Karas, ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament

Gut gerüstet?

„Wir müssen einen mehrjährigen Finanzrahmen schaffen und eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion“, mahnt Othmar Karas, ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament. Auf Abschluss warten außerdem 35 Gesetzesprojekte, die der Europäische Rat vor sich herschiebt. Wenn diese Gesetzesvorlagen nicht in dieser Präsidentschaft abgearbeitet werden, ist es zu spät. Die kommende Präsidentschaft unter Rumänien steht bereits im Licht der nächsten Europawahlen im Mai 2019. Entscheidungen werden da keine mehr getroffen.

Österreich könne sich „auf seine Stärken besinnen und seine EU-Erfahrung nutzen“, meint Karas, selbst ein Veteran im Europaparlament: „Wir sind Teil der Eurozone, Teil von Schengen, wir haben keine EU-Außengrenze, wir sind ein wohlhabendes Land und können Beiträge leisten. Wir haben mit allen Staaten eine gute Verbindung, weil wir 60 Prozent unseres Wohlstandes außerhalb unserer Grenzen, aber innerhalb der EU erwirtschaften.“

„Inhaltliche Meilensteine“ fordert Grünen-Abgeordnete Vana: „ein soziales Europa, endlich Maßnahmen gegen die Steuerflucht und klare Ansagen, wie Europa das Klimaschutz-Abkommen umsetzen will“. Es genüge nicht, Routen zu schließen, „wir müssen auch Wege eröffnen“, ergänzt Mlinar von den NEOS. Sie wolle nicht nur ein „Europa, das schützt“, sondern auch ein Europa, das begeistert.

Kosten doppelt so hoch

Auch wenn die Zielvorstellungen an die Ratspräsidentschaft weit auseinander klaffen, und nicht alles gelingen wird, was sich Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache vornehmen: Die Kosten werden deutlich höher sein als veranschlagt. Die 300 Veranstaltungen während des EU-Ratsvorsitzes werden mindestens doppelt so viel kosten wie die ursprünglich verkündeten 43 Millionen Euro.

Schlussendlich kommt in unserer Brüsseler Gesprächsrunde doch noch ansatzweise Einigkeit auf. Wie gut Österreich seine Rolle als ehrlicher Vermittler meistert, hat Folgen für die Europäische Union, das sehen alle so. Das Bild, das Europa am Ende der Ratspräsidentschaft abgibt, wird mitbestimmend sein für den Ausgang der nächsten EU-Wahl 2019.

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