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„Frösche im Meer“: Tanja Maljartschuk gewinnt den Bachmannpreis

Mitten in Europa vernichtet ein Mensch aus Verzweiflung seine eigene Identität. Davon erzählt Tanja Maljartschuk in ihrem Text und hat damit überzeugt. Der Bachmannbewerb ermöglicht auch einen Blick in die Literaturbranche. Bov Bjerg, Gewinner des Deutschlandfunk-Preises, dazu im Interview.

Von Maria Motter

Tanja Maljartschuk bei ihrer Lesung

ORF / Johannes Puch

Tanja Maljartschuk

„Frösche im Meer“ heißt die Geschichte, die überzeugte: Tanja Maljartschuk bekommt den Bachmannpreis mit 25.000 Euro. Seit sieben Jahren lebt Tanja Maljartschuk in Wien, geboren ist sie in der Ukraine, wo sie als Autorin längst bekannt ist. Sie ist emigriert, sagt Tanja Maljartschuk. In all dem Trubel um ihre Person ist sie freundlich und lächelt uns JournalistInnen und FotografInnen um Verständnis und verständnisvoll an.

Bov Bjerg wird der Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro) verliehen. Seine Vater-Sohn-Geschichte „Serpentinen“ sei „sprachlich brillant und mit einem Humor, den man nicht erklären braucht“, sagt Juror Klaus Kastberger in der Laudatio. „Der Text erklärt sich von selbst und stellt eine zentrale Frage: Wie halten wir es mit unserer Identität, woher kommen wir? Er zeigt den Dreck und den Schlamm, aus dem sich dieses Europa nach 1945 herausentwickelt hat, und er stellt die zentrale Frage: Wie sagen wir all das unseren Kindern und wie gehen wir damit um?“

Özlem Özgul Dündar wird für „und ich brenne“ mit dem Kelag-Preis (10.000 Euro) ausgezeichnet.

Anna Stern überzeugt dann in der finalen Jury-Entscheidung, jener über den 3sat-Preis, mit „Warten auf Ava“. Viele Figuren und eine Flugzeugabsturzstelle eröffnen hier ein Szenario, das sich in Sterns nächstem Roman auflösen wird.

Die meisten Stimmen des Publikums bei der Abstimmung im Internet bekam Raphaela Edelbauer für ihren Romanauszug „Das Loch“. Ihr Text führt in eine Gemeinde, die durch die Aushöhlungen eines Berges wiederum untergraben wird. Schauplatz ist ein ehemaliges nationalsozialistisches Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen.

Zu schade, dass es Stephan Lohse (Wie geht es weiter mit dem weißen Burschen in seinem Text, der sich als Schwarzer identifiziert? Dem man durch seinen Alltag folgt und nebenbei die Kolonialgeschichte des Kongos erfährt), Anselm Neft (der in seinem Text das Wegbrechen einer bürgerlichen Existenz exerziert) und Lennardt Loß (das Amüsement-Potential seines Mashups jüngerer deutscher Geschichte!) nicht auf die Shortlist geschafft haben.

Eine Auflösung will unbedingt noch nachgereicht werden: All die intensiven körperlichen Zustände, die Ally Klein in ihrem Bachmannbeitrag „Carter“ in Sätzen aufleben lässt und die sehr viele ZuschauerInnen bewegt haben, sind keine Panikattacke - wie viele für sich den Text lasen. Man könne das so interpretieren, sagt die Schweizer Autorin. Doch für sie handelt es sich um einen somatischen Anfall. „Im Roman ist das Ich von seinem Körper abgekoppelt“, sagt Ally Klein im Interview. „Der Körper fängt an zu sprechen, wenn das Ich sich in abstrakten Welten verliert.“ Ally Kleins Text liest sich jedoch alles andere als abstrakt, sondern nah und begreifbar. „Carter“ ist auch der Titel des Romans und der erscheint Anfang August. Das ganze Buch hält Klein diese paralysierende, faszinierende Sprache für die Zustandsbeschreibungen durch. „Es gibt schon eine Handlung, es passiert schon auch was!“ Ally Klein hat nicht Medizin studiert, doch ausgiebig recherchiert und sich viel mit Ärzten unterhalten.

Die Tage des Wettlesens bieten die Gelegenheit, mehr über den Literaturbetrieb zu erfahren. Juror Klaus Kastberger erzählt, dass Bov Bjerg über Twitter zu einem Freund wurde. Auf dem Kurznachrichtendienst sind auch die schärfsten KritikerInnen der Jury und des Bewerbs zuhause. Wie fühlt sich Klagenfurt für einen Autor an? Wieviel riskieren die Lesenden?

Bov Bjerg über Klagenfurt, Agenten und eine Songzeile, die er oft im Kopf hat

Mit „Serpentinen“ erzählt Bov Bjerg von einem Mann, der mit dem Gepäck seiner Familiengeschichte und seinem siebenjährigen Sohn unterwegs ist.

Wird die Geschichte weitergehen, wird das ein Roman?

Bov Bjerg: Es ist Teil eines längeren Textes! (er lacht) „Text“ ist so ein Klagenfurt-Begriff! Es ist ein Auszug aus einem Roman, aber der Roman ist noch lange nicht fertig. Ich hoffe, dass ich ihn in den nächsten ein, zwei Jahren fertig kriege.

Vor Klagenfurt hat Daniel Kehlmann direkt gewarnt. Clemens Setz hingegen sagt, der Bachmannpreis ist nicht gefährlich. Wie empfinden Sie das Wettlesen hier?

Bov Bjerg: Es gibt natürlich eine Menge guter Argumente gegen eine solche Art von Wettbewerb. Es hat ja nicht nur Daniel Kehlmann sich kritisch dazu geäußert, sondern auch Marlene Streeruwitz, die ich als Autorin sehr schätze. Und es stimmt natürlich alles, was sie zum Beispiel sagt. Auch, was man alles Kritisches zum Literaturbetrieb an sich sagen kann. Andererseits gibt es auch starke Argumente für so etwas wie Klagenfurt – genau so, wie es starke Argumente für Literaturkritik à la Literarisches Quartett usw. gibt.

Objektiv gesehen, gibt es dieses Spektakelhafte in Klagenfurt, dem ich schon was abgewinnen kann. Ich finde nicht, dass man Literatur so wahnsinnig puritanisch sehen muss, aber diese Situation, öffentlich kritisiert zu werden – das ist schon nicht unbedingt angenehm. Dann sitzt man da und hört sich die Kritik an; mir taten die Autorinnen und Autoren auch oft leid. Und ich denke: Naja, jetzt wirst du nicht nur hingerichtet, sondern musst auch noch gute Miene dazu machen. Das kann schon auch eine undankbare Aufgabe sein. Wobei die ganz schroffe Kritik ein bisschen zurückgegangen ist in den letzten Jahren.

Ich wollte vor zehn Jahren schon mal dabei sein und habe es dann nicht geschafft. Jetzt bin ich gefragt worden von Klaus Kastberger und habe ihm etwas geschickt und kann dabei sein. Das ist natürlich ganz schön. Trotzdem hatte ich irrsinnig Bammel vor der Lesung und bin froh, dass es vorbei ist.

Bjerg

ORF / Johannes Puch

Bov Bjerg

In dem Moment: Konnten Sie der Kritik überhaupt folgen? Also wenn man dann da sitzt in diesem Studio-Setting?

Bov Bjerg: Ja, in dem Moment, als ich da noch saß, konnte ich der Kritik schon folgen und fand auch – naja, gut, das sagt sich jetzt leicht, weil der Text fast einhellig gelobt worden ist: Ich habe mich über verschiedene Sachen, die herausgehoben worden sind, sehr gefreut, weil manches benannt wurde, was tatsächlich nicht zufällig im Text drinnen ist. Dass Leute Sachen rauslesen, die du reingeschrieben hast, das ist schon schön! (lacht)

Und einen Faktor haben Sie schon angesprochen: Dass man durchhalten muss als Autor. Dass man sich nicht abbringen lassen soll. Also die, die schreiben müssen, die können ohnehin nicht anders. Um ein bisschen hinter die Kulissen zu schauen: Wie sehr ist die Funktion des Agenten verbreitet? Ihr erstes Buch wurde von einer Agentur an zehn Verlage verschickt und es gab nur Absagen.

Bov Bjerg: Ich hatte für meinen allerersten Roman „Deadline“ eine Agentur, die immer was von mir haben wollte, und denen ich dann das Manuskript geschickt hatte. „Deadline“ ist ein Roman, der sich stilistisch stark von „Auerhaus“ unterscheidet, viel experimenteller ist und auf eine gewisse Art stilistisch auch interessanter als „Auerhaus“ ist. Die Agentur war nicht so erfreut darüber. Die erste Reaktion war: Ein Bestseller wird das ja nich’. Dann dachte ich: Okay. Sie haben es dann trotzdem probiert, weil sie mir etwas Gutes tun wollten. Es wollte niemand haben. Dann habe ich selber versucht, einen Verlag für den Roman zu finden. Und das ist eine Erfahrung, die gönne ich keinem Autor. Sich eine Watsche nach der anderen einzufangen, ein Todesurteil nach dem anderen und eine Absage nach der anderen. Das ist schon wahnsinnig demütigend. Ich habe dann schließlich einen Verlag gefunden, „Deadline“ ist beim Mitteldeutschen Verlag erschienen. Bei „Auerhaus“ wollte ich das nicht so haben. Ich habe die Agentur, mit der ich in losem Kontakt war, gefragt, die hat es herumgeschickt, und es fand sich genau ein Verlag, der es machen wollte, der Aufbau Verlag und vor allem sein damaliger Chef Gunnar Cynybulk. So eine Agentur kann eine wichtige Funktion haben und vor allem auch eine schützende Funktion für Autoren.

Inwieweit haben Sie noch einen Agenten und was macht diese Position einer Agentur aus Sicht des Autors auch?

Bov Bjerg: Generell bin ich kein Fan von Literaturagenturen gewesen. Ich finde auch heute noch: Es hat ein bisschen etwas von einem Wohnungsmakler, wo ich dann auch denke, wozu brauche ich einen Makler. Aber natürlich hat der auch eine Funktion und kann einem viel Generve abnehmen. Und inzwischen sehe ich schon das Positive, das Literaturagenturen haben können.

Also die können einem auch vieles abnehmen, nicht nur Geld. Im Kunstbereich schneiden die Galeristen ja sehr viel mit.

Bei Literaturagenturen sagt man – ich glaube, da ist auch was dran –, dass das Geld, das die an Prozenten einnehmen, das zahlen die Verlage dann halt mehr. Und du hast als Autor unter dem Strich noch einen besseren Vertrag. Es ist dann eher die Frage, dass du dich mit dem Text an die Agentur bindest und die Agentur dann immer ihre Finger in jeder Weiterverwertung hat. Das muss man in Kauf nehmen. Sie haben bei jeder weiteren Rechtevergabe ihr Mitspracherecht.

In Klagenfurt haben wir viele schöne, auch bizarre Sätze gehört. Haben Sie Lyrics, die Sie begleiten?

Bov Bjerg: Es gibt eine völlig irrsinnige Zeile von Bob Dylan, die so daneben ist, dass sie fast schon wieder gut ist. Ich bin eigentlich ein ziemlicher Fan von Bob Dylan. Aber als ich die Zeile gehört habe, dachte ich, naja, hm. (lacht) Die habe ich tatsächlich oft im Kopf. And on the highway of regret, the wings of change are blowing wild and free. - „Auf der Autobahn des Bedauerns blasen die Winde des Wechsels wild und frei.“ - Tja.

Herzlichen Dank!

Bov Bjerg: Dankeschön.

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