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Tätowierte Wadln von Neymar

Luis Acosta / AFP

Fußball-WM

Von der Nadel gestochen

Gefühlt jeder zweite Kicker ist tätowiert. Warum eigentlich? Und was sind die beliebtesten und seltsamsten Motive?

Von Christian Lehner

Er hat eins, er hat eins und der hat auch eins, also eigentlich haben sie ganz viele. Tattoos im Profifußball, das ist kein Trend mehr, sondern das neue Normal. Mann und Frau tragen dabei gern großflächig auf. Und wer ist schuld? David Beckham! Mr. Metrosexy hat Anfang der Nullerjahre den Trend zur Tinte angekickt. Es gibt sogar einen Tattoo-Stil, der nach Beckham benannt ist, die sogenannte Beckham-Cloud. Das sind kleine Wölkchen, die die verschiedenen Motive miteinander verbinden. Peck it like Peckham.

Narziss und Gruppenzwang

Wie viele Spieler dieser WM von der Nadel gestochen sind, lässt sich nicht so einfach feststellen. Zahlenmaterial lieferte im vergangenen Jahr die Online-Plattform Vice zur deutschen Bundesliga. Gut 28 Prozent der Fußballer sind nach einer vom Magazin durchgeführten Zählung tätowiert. Das entspricht dem Bundesdurchschnitt in der Altersgruppe der 25- bis 34-jährigen Männer. Allerdings fand die Erhebung mittels Sichtung von Mannschaftsfotos statt. Wahrgenommen wurden also nur jene Tattoos, die sich auf den frei liegenden Körperstellen befinden. Der Prozentsatz der tätowierten Fußballer ist also wahrscheinlich viel höher. Auffallend: bei großen Vereinen steigt die Zahl der Tattoo-Träger. Meister ist auch hier Bayern München mit einem Anteil von 42 Prozent.

Soziologen und Sportwissenschaftler nennen gleich mehrere Motive für die Tintenwut der Kicker. Erstens: Der Gruppenzwang, die Uniformierung, die Zugehörigkeit zu einem Verein, wie sie sich auch in den Vereinsfarben und Trikots ausdrückt. Zweitens: Der fortschreitende Individualismus. Jeder möchte etwas Besonderes sein. Und Drittens: Der Körper als Statussymbol. Edle Tinte ist teuer. Den Ferrari kann man nicht aufs Spielfeld mitnehmen, also muss die Haut herhalten. Außerdem helfen Tattoos beim Branding via Instagram und Co. und funktionieren psychologisch als Rüstung für den Träger. Dass sich Punkt 1 und 2 ergänzen und gleichzeitig neutralisieren, ist ein typisches Symptom unserer Zeit. Der Hang zum exzessiv ausgestellten Individualismus führt erst recht zu Konformität und Vermassung.

Tätowierte Wadln von Neymar

BENJAMIN CREMEL / AFP

Neymar

Wer trägt welche Tinte?

Kommen wir zu den Tattoo-Motiven. Besonders beliebt sind - eh logisch – Spielernummern, dann Zeichen der Stärke wie Krieger, Löwen und Adler. Der spanische Prügelfuß Sergio Ramos trägt solch ein Federvieh im Nacken. Auch gern gestochen: Tribals, Familienportraits und religiöse Symbole, sowie diverse Kalendersprüche, errungene Trophäen und durchlittene Lebensgeschichten.

Jérôme Boateng hat sich zusätzlich zu den Portraits seiner Kids 21 Familiennamen tätowieren lassen. Der Innenverteidiger ist somit der unangefochtene Tintenkönig der deutschen Nationalmannschaft. Brasiliens Schwalbenmaestro Neymar lässt sich – wie einst Vorbild Beckham – von einer Nackenkombi aus Kreuz und Federn beflügeln. Das Supertalent Leroy Sané spielt nicht nur sauschnellen Fußball, sondern auch den Narziss. Er hat sich ein
Riesen-Portrait von sich selbst auf den Rücken stechen lassen und damit den unausgelobten Preis des größten Tinten-Selfies abgestaubt.

Seltsame und ungesunde Motive

Eine Taschenuhr mit römischen Zahlen im Stile von Salvador Dali. Lionel Messi, Toni Kroos und James Rodríguez tragen so ein Tickerding. Arturo Vidal stellt stolz seine Rennpferde zur Schau, der englische Flügelstürmer Raheem Sterling trägt am Fuß ein AK16-Sturmgewehr und Lionel Messis linker Unterschenkel ist ein einziger Tintenklecks. Der bei dieser WM so glücklose Star hat sich ein Cover-Up stechen lassen. Mit dieser Methode werden unliebsam gewordene Tattoos überdeckt. Bisher unergründet auch der Hang vieler Fußballer zum Sleeve-Tattoo, also zur großflächigen Bestechung eines einzelnen Arms. Marco Reuss trägt so einen Ärmel, den man nie in der Waschmaschine waschen muss.

Messi trägt einen Tattoo-Sleeve

BENJAMIN CREMEL / AFP

Messi trägt einen Tattoo-Sleeve

Übrigens: Laut Professor Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln können Tattoos gesundheitsgefährdend sein. Sie kämen einer Vergiftung der Haut gleich. Vor allem großflächig gezeichnete Sportler müssten mit einer Leistungsverminderung von drei bis fünf Prozent rechnen. Wie zum Beweis seiner These führt der Engländer Harry Kane aktuell die WM-Torschützenliste an. Kane trifft jeden Elfer. Er trägt kein einziges Tattoo. Wer weiß, vielleicht laufen die kommenden Generationen wieder „ohne“ auf.

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