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Das erste Mal: „The Shawshank Redemption“

In der neuen FM4 Sommerserie stellen sich Filmredakteure endlich jenen berühmten oder vieldiskutierten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben. Manchmal auch ganz bewusst. Frank Darabonts Stephen-King-Adaption „Die Verurteilten“ macht den Anfang.

Von Christian Fuchs

OK, ich gestehe, ich habe diesen Film wirklich bewusst ignoriert. Eine Stephen-King-Verfilmung ohne wahlweise diabolische Clowns, die in der Kanalisation hausen, telekinetisch begabte Teenager oder mörderische Krankenschwestern, ohne gespenstische Vorkommnisse oder zumindest gefährliche Killer, da fehlt einfach was für mich. Sicher, es gibt Rob Reiners tollen Coming-of-Age-Meilenstein „Stand by Me“ aus dem Jahr 1986, aber auch der hat irgendwie diese legendäre King-Atmosphäre voller dunkler Geheimnisse, selbst wenn kein Monster auftaucht.

The Shawshank Redemption“ dagegen, auf deutsch etwas fade „Die Verurteilten“ betitelt, verzichtet gänzlich auf den Gruselfaktor, der den Autor normalerweise auszeichnet. Stattdessen steht bei dem Gefängnisdrama ein anderer Aspekt von Stephen Kings Schaffen im Mittelpunkt: Sein tief verankerter Humanismus. Die Kurzgeschichten-Vorlage „Rita Hayworth and Shawshank Redemption“, erschienen im Sammelband „Different Seasons“ („Frühling, Sommer, Herbst und Tod“), erzählt vom Triumph der Menschlichkeit inmitten unmenschlicher Verhältnisse.

Das ist schön, keine Frage, birgt aber auch Gefahren. Denn Mr. King hat einen Hang zur Rührseligkeit, der in seinen besten Büchern stets durch geballten Horror abgeschwächt wird. Regisseur Frank Darabont, soviel habe ich schon vorab mitbekommen, stürzte sich aber genau deswegen auf die kleine Häfn-Erzählung des Autors, weil ihn der sentimentale Kern der Geschichte so tief bewegte. Eine Wirkung, die der Film „The Shawshank Redemption“ auch auf Millionen Menschen ausübt. Seit 2008 belegt Darabonts Werk in den Top 250 der Internet Movie Database ununterbrochen den ersten Platz.

Szenen aus "Die Verurteilten"

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Konservatives Erzählkino und glatte Bilder

„Das erste Mal“ ist in diesem Fall also mit einem ordentlichen Ballast verbunden. Der für viele Filmfans beste Streifen aller Zeiten wartet auf mich und meine Freundin, die ich zum Mitschauen überredet habe. Also gut, Licht aus, Beamer an und schnell mal alle Vorurteile, die sich angesammelt haben, beiseite schieben. Vielleicht haben die vielen Voter auf der IMDB-Seite ja doch irgendwie recht.

Ein junger Tim Robbins wird unschuldig, wie wir erahnen, in ein gefürchtetes Gefängnis im Bundesstaat Maine eingeliefert. Dort tragen die Häftlinge - man schreibt das Jahr 1947 - alle Uniformen, die an die Heritage-Mode heutiger Hipster erinnern. Mit seinem freundlichen Grinsen kommt Babyface Andy in Shawshank jedenfalls nicht weit. Der slicke Bankmanager, in einem Indizienprozess zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt, mutiert schnell zum Spielball der älteren Insassen. Mobbingattacken und Vergewaltigungen lösen einander ab, auch die brutalen und korrupten Aufseher machen dem Großstadt-Sonderling das Leben zur Qual. Nur der afroamerikanische Mithäftling Red (Morgan Freeman) spendet dem traktierten Andy manchmal Trost.

Szenen aus "Die Verurteilten"

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Nach etwa einer Stunde frage ich mich, ob ich ein schlechter Mensch bin, geht mir diese Story doch in keinster Weise nahe. Nein, sagt meine Freundin, auch sie lässt das tragische Geschehen eher kalt. Dabei gibt es nicht wenige Gefängnisfilme, die bei mir Gänsehaut hervorgerufen haben, ich denke an Meisterwerke wie John Hillcoats „Ghosts of The Civil Dead“, den erschütternden „Un prophète“ von Jacques Audiard oder moderne Klassiker wie Alan Parkers „Midnight Express“. Erst unlängst entpuppte sich „Brawl in Cell Block 99“ als kleines Meisterwerk des Schreckens, in dem Vince Vaughn hinter Gittern in die Hölle fährt.

„The Shawshank Redemption“ wirkt dagegen schon visuell viel zu glatt, um mich hineinzuziehen, obwohl der ikonische Roger Deakins hinter der Kamera steht. Dann die gediegene Art der Inszenierung, die stellenweise an einen biederen Fernsehfilm erinnert. Konservatives Erzählkino nennt man das wohl, eine Gattung, deren Aussterben ich irgendwann mal nicht bedauern werde. Interessant in diesem Kontext, dass Frank Darabonts Film anno 1994 am selben Tag wie Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ angelaufen ist, der sich mit seinem grellen Pop-Zugang und der verschachtelten Narration gegen Hollywood-Konventionen wandte. „The Shawshank Redemption“ repräsentiert das Gegenteil, das passt aber auch zum generell viel zu braven Geschmack der IMDB-Community.

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Ein Märchen im Gefängnis-Look

Nach zirka 90 Minuten gestehe ich einen sanften inneren Ausschalt-Impuls (wir befinden uns ja im Heimkino), aber der journalistische Auftrag muss natürlich erfüllt werden. Noch eine weitere knappe Stunde wartet. Begeisterung hat sich jedenfalls auf unserer Couch noch nicht eingestellt, immer wieder machen wir, was im Kinosaal ein ernsthaftes Verbrechen wäre: Wir plaudern über den Film und seine Dramaturgie, ich gestatte mir argerweise sogar, ein paar Nebendarsteller auf dem Handy zu googeln.

Als „The Shawshank Redemption“ dann allmählich in die schmalzige Zielgerade eintrudelt, angetrieben von einem ganz okayen Twist im letzten Drittel, spricht meine Freundin das umstrittene Wort aus. „Kitsch“, sagt sie, die Frau mit dem großen Herzen, mit der gemeinsam ich bei Sprechende-Tiere-Filmen wie „Babe“ oder „Paddington“ geweint habe, „das ist doch purer Kitsch.“ Ich muss an einen Satz denken, den Morgan Freeman zu Anfang dem gebeutelten Tim Robbins entgegenschleudert. „Prison“, sagt er mürrisch, „is no fairy tale world“. Dabei ist Frank Darabonts „bester Film aller Zeiten“ genau das: Ein Märchen im Gefängnis-Look, in dem Männer-Romantik und gute alte Kameradschaft über das Böse siegen.

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In der FM4 Sommerserie Das erste Mal stellen sich Filmredakteure endlich jenen berühmten oder vieldiskutierten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben.

Was muss ich mir nun als Nächstes antun in Sachen lange ignorierter Filmereignisse? Den im selben Jahr erschienenen und ängstlich gemiedenen „Forrest Gump“ vielleicht, weil es ja nie genug menscheln kann? Bitte nicht. Oder etwa Frank Darabonts ebenso gefeierten Stephen-King-Nachfolgefilm „The Green Mile“, wieder im Häfn angesiedelt, aber dafür auch noch mit Tom Hanks? Nein danke.

Darabont und King speichere ich beide lieber mit einem umstrittenen wie umwerfenden gemeinsamen Schocker in meinem privaten Filmarchiv ab. „The Mist“ (Der Nebel, 2007) ist die pure Antithese zu „The Shawshank Redemption“, ein zutiefst hoffnungsloses Pulp-Epos, in dem der Regisseur seinen Glauben an die Menschheit verliert. Eine rabenschwarze Linie, die Darabont dann in der von ihm entwickelten Serie „The Walking Dead“ weiterführte. Sind Pessimisten die besseren Regisseure? Eine gewagte These, der ich aber zumindest im Fall von Frank Darabont zustimmen würde.

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