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National am Ahoi Full Hit Of Summer 2018

Franz Reiterer

festivalradio

Österreichs Festival-Zuckerstück

Das Tagesfestival Ahoi! The Full Hit Of Summer an der Linzer Donaulände war auch heuer das dem Line-Up nach bestausgesuchte österreichische Festival. Wenn, dann scheitert der gestrige Abend nicht an Chvrches oder The National, sondern am Publikum.

Von Lisa Schneider

Was macht ein gutes Festival aus? Unter anderem die Tatsache, dass nicht nur während der Konzerte, sondern auch dazwischen, während der Auf- und Umbauarbeiten, nur das Beste zu hören ist. Gemeint in diesem Fall: Foxygen, Django Django oder Preoccupations eingespielt vom Band. Vielleicht sind das ja die Bands, die das Team hinter dem Ahoi! The Full Hit Of Summer demnächst gerne in Linz an der Donaulände sehen würde - in das auch heuer wieder fantastisch kuratierte Line-Up hätten alle drei Genannten gepasst.

Das Line-Up des Linzer Tagesfestivals ist nämlich wirklich nicht „nur“ fantastisch, sondern das bestausgesuchte, was es festivalmäßig im österreichischen Sommer zu erleben gibt. Dahinter steckt natürlich eine genaue Idee, erzählt Leiter Gernot Kremser, der sich neben dem Festival auch um die Kuratierung des Programms im Linzer Posthof kümmert. Er kennt und liebt die Bands, die er ausgesucht hat, weiß über jede eine kleine Anekdote zu erzählen, Deap Vally etwa sind für ihn die „die neuen Black Keys“. Freude und Euphorie vor und hinter den Kulissen in Linz - und wie auch nicht, hier kommt musikalische Weltklasse in zwar abgespeckter, aber nicht weniger prestigeträchtiger Form auf die Bühne, man erinnere sich vor zwei Jahren an Beirut und Sigur Ros, oder letztes Jahr an die großen Arcade Fire.

Punkrock-Opening

Und ja, sie haben es auch heuer wieder möglich gemacht, holen Bands ins Land, die entweder ewig nicht mehr oder überhaupt noch nie hier waren. Regentropfen gibt’s nur am Beginn zu ertragen, der Schrammel-Punkrock von Dream Wife versammelt die zu dieser frühen Nachmittagsstunde überschaubar anwesenden BesucherInnen vor der Bühne. Netzstrumpfhosen, kurze Röcke und Slogans wie „I am not my body, I am somebody“ hat man schon oft in ähnlicher Form gehört, am besten gefällt mir da der Drummer, den nichts aus der Ruhe bringt. Dream Wife aus England/Island spielen ihre Musik weniger zucker-poppig als sie in ihren Videos zu sehen ist, live wäre das wegen Überproduktion wohl aber auch einfach schwierig umzusetzen. „Bikini Kill“ flüstert mir FM4-Kollegin Eva Umbauer ins Ohr. Sie hat die Band gerade zum Interview getroffen und das ist die erste Referenz, die ihr beim Zusehen ins Auge springt. Der alte Riot-Grrrl-Gedanke, aber nicht wirklich neu gedacht, es ist da, aber muss noch wachsen, das Eigenständige.

Deap Vally im Anschluss sind die rabiatere, erwachsenere und sympathischere Gruppe. Was Gernot Kremser mit Black Keys meint, ist schnell klar, Lindsey Troy und Julie Edwards aus L.A. pfeffern hingerotzte Rockstücke von der Bühne, zu zweit an Gitarre und Drums, Junkierock für die, die auch ohne Drogen auskommen. Die Lieblingsnummer im Set heißt „Smile More“, die die gelungene Selbstironisierung der Band bündelt. Sie schämen sich nicht für ihr Sexleben, „although I wish it were better“; Deap Vally schämen sich auch nicht „to be no one’s wife“, auch wenn der Gedanke ja eigentlich auch was Schönes hat, wie sie zugeben. Feminismus, der plakativ ist, aber mit sich selbst spielt; der mittlerweile in einer sehr eingefahrenen Situation feststeckt, die Deap Vally mit ihrer Musik aus ihm rauszuprügeln versuchen - es gelingt.

Avantgarde-Pop am Donauufer

Die wirklich letzten Regentropfen für den Abend fallen, als der ebenfalls aus L.A. stammende Musiker Moses Sumney die Bühne betritt. Die Bühne ist bestückt mit spannendem Equipment. Neben überdimensionierten Mikroständern, die nicht eins, sondern drei Mikros zu halten haben, gibt’s auch klassisches Gepäck: Streicher, Gitarre, Synthesizer. Mit „Aromanticism“ hat Moses Sumney nach zwei EPs 2017 sein erstes Album herausgebracht; „lang erwartet“ in engen Kreisen, war er zu dem Zeitpunkt noch ein Geheimtipp, der einem in später Stunde an der Bar über die Schulter zugeraunt wird. Und zumindest in Österreich ist es immer noch so. Was einmal mehr die Qualität des Festivals herausstreichen soll.

Ein König des Falsetts, das ist Moses Sumney, aber auch ein Schichten- und Schablonenbastler, ein Melodieverzichter. Er loopt seine Stimme, er klopft auf seine drei Mikros und generiert so selbst Schlagzeugklänge. Schön hat es Jason King von Pitchfork beschrieben: „What does it mean to never experience romantic love in a world so structured by the need for it?“ Moses Sumney, ein in seine Rolle gezwungener Nihilist mit Tiefgang und Charisma, auf der Suche nach und doch auch schon wieder am Aufgeben der Liebe, die Songs sind Wehmut und Aufschrei, der kleine, schmerzhafte. James Blake würde das sehr gut gefallen.

Die laute Bühne, das fade Publikum

Als nächstes eine Band, die mir im Vorhinein schon so oft als grandiose Liveband angepriesen worden ist, so kraftvoll, so gut. Chvrches aus Schottland, das Trio, das sich 2013 mit seinem Elektropop hinaufkatapultiert hat in Höhen, in denen sich neue Hypes wie von selbst kreieren. Dass Chvrches ihre Wurzeln eigentlich im Punkrock hatten, ist nur mehr schwer herauszuhören; Susi Ondrusova schreibt folgerichtig: „EDM für Leute, die EDM nicht mögen“. Punk für den Club also vielleicht - aber wie geht das dann live?

Lauren Mayberry trägt den neuen Albumtitel „Love Is Dead“ als Kette um den Hals, er gibt auch den dröhnenden Opener ab. Ab Sekunde eins ist der Pegel hochgeschraubt, und es soll dröhnen bis zum Ende: Dicke Synthesizer drücken das Linzer Publikum in die Wiese vor der Bühne, der Bass knallt und wummert, es ist eine unüberwindbare Klangwand vor der Donau, synthetisch, Disko. Alles lebt hier vom eingängigen Beat, von laut und schnell; das ist viel, voll, und muss man mögen. Als Grimes-Fan spüre ich bei der Musik von Chvrches eine Schwelle, die sie noch überschreiten müssen, es ist nicht das „zu viel und zu dick aufgetragen“, der Kitsch, Pomp, Pathos, der stört oder sie zurückhält. Es ist die Relevanz (die Grimes hat, wenn sie ihren fetzigen, harten Zuckerpop mit Statement verbindet), es sind aber auch die Songs - selbst dann nämlich, wenn das Konzert als eigener kleiner Chvrches-Hitreigen passiert.

LIVE IN WIEN

Am 10. November werden Chvrches eine FM4 Indiekiste im Gasometer spielen. Anger sind Supportact.

Es ist außerdem ein seltsames Gefühl, das Publikum während des Auftritts von Chvrches zu beobachten, wie die meisten die Bühne eher anzusehen als ihr Produkt zu genießen scheinen. Gerade bei dieser berstenden Musik, die live ihre Kraftauswirkung gar nicht verfehlen KANN, ist es erstaunlich, wie gelangweilt die BesucherInnen vor der Bühne gerade einmal die Nasenspitze nach oben gereckt haben. In dem Moment gab es dafür aber immerhin noch eine Ausrede: Die meisten sind wohl für The National hier, das ist eben eine andere Sorte Publikum. Einen kleinen Vorgeschmack darauf gibt’s schon am Ende des Chvrches-Sets: Matt Berninger, Sänger von The National, der mit Chvrches vor einigen Wochen den Song „My Enemy“ aufgenommen hat, macht alle Wetten im Vorfeld wahr und betritt vor seiner eigenen Show schon die Bühne. Ein bisschen verloren wirkt seine Stimme zwischen dem hochgepushten Energielevel dort oben, und gleichzeitig ist sie schön, die gealterte Melancholie in so unbekanntem Mantel da oben.

Chvrches und Matt Berninger am Ahoi Full Hit Of Summer

Franz Reiterer

Kurz nachdem die Hügel hinter der Uferseite die Sonne gänzlich verschluckt haben, steht Matt Berninger schließlich mit seiner Band auf der Bühne, The National aus Ohio - die Headliner, auf die sehr viele Menschen gewartet haben. „This is a great spot, looks like in Cincinnati. We love it.“

Die Songs sind da, die Dynamik abwesend

„Quiet Light“ ist ein ganz neuer Song, der noch auf keinem Album erschienen ist. Schon eine gute Idee, die Freude des Publikums zu Konzertbeginn zu nutzen, um ganz neue, unbekannte Töne zu spielen. Gut nämlich, weil so im ersten Überschwang die meisten wohl nicht gemerkt haben, dass der Song, der sich ohne gezielte Melodie dem Berninger’schen Lieblingsthema der einsamen Sinnsuche widmet, leider technisch nicht gut gespielt war.

Alles vergeben und vergessen, wenn es dann heißt „Nobody Else Will Be There“ und dann die Jahrhundertnummer „The System Only Dreams In Total Darkness“. In diesem Song kulminiert so vieles, was auch live im besten Fall passiert: das Zackige, Ruckelnde, die sirenenartigen Gitarren, die trabenden Verse, ja, man darf tanzen, und dann der Refrain, der einen doch wieder zurückholt ins große, schwere, traurige The-National-Repertoire, und es wird wehmütig, schnüffelnd gegrölt: „I can’t explain it any other way“.

The National spielen ein kleines Best Of an diesem Abend in Linz, wo sie 2004 „in front of about four people“ gespielt haben, Gitarrist Bryce Dessner zwischendurch sagt. Seit bald 20 Jahren gibt es diese Band, ihre Fanbase haben sie sich aus Bars und Studentenfesten heraus langsam, aber stet erarbeitet, mittlerweile finden ihre Shows auf den größten Festivals weltweit statt.

Das Ahoi Full Hit Of Summer ist unser kleines Primavera Sound, zwar nicht am spanischen Meer, aber an der Donau.

Jede Band lebt live nicht nur von ihren Songs und ihrer Performance, sondern von den Reaktionen des und der Interaktion mit dem Publikum. Vielmehr lebt die Show davon: haben Chvrches schon unter der nicht vorhandenen Tanzwut gelitten, legen die ZuseherInnen bei The National fast nochmals eins drauf. Vereinzelte Hände schießen hinauf, „Bloodbuzz Ohio“ wird noch mitgesungen, ansonsten ist das eher ein Stehen und Warten.

Das ist in Ordnung, denkt sich Matt Berninger, schnappt sich sein Mikro und geht hinunter und ins Publikum hinein, wie er es auch schon bei vielen vorigen Auftritten dieser Tour gemacht hat. Nur dass ihm die Leute dort die Hände entgegengestreckt haben, Interesse gezeigt haben, wohingegen das gestern alles wirkt wie eine nicht vollständig ausgekühlte Gulaschsuppe. Warm wird hier niemand mit niemandem. Berninger singt „I’m not alone, I’ll never be“, und man kann es ihm nicht ganz glauben, weil er es noch dazu singt, während er durchs Publikum läuft, das entweder nicht wahnsinnig interessiert an seinen schönen Lebensweisheiten ist, oder sich gestern einfach sehr, sehr verhalten gibt.

Das an sich wäre alles noch kein Problem, die Songs sind ja gut, auch, wenn die Band die älteren deutlich besser spielt als die neuen und Bryce Dessner wesentlich besser Klavier als Gitarre. Abgesehen von Spitzfindigkeiten ist es also gut, würde nur besagte verschlafene Publikumsdynamik nicht langsam wie eine Schlange hinauf zur Bühne kriechen. Menschen, die sich in die erste Reihe gekämpft haben, berichten enttäuscht nach dem Konzert, Berninger wäre genervt gewesen, man hat es genau gesehen, man hat es gespürt. Ein Wechselbad der Gefühle: das Publikum, zumindest in den ersten Reihen, ist nicht ganz glücklich, und Berninger ist es ob des von ihm gewitterten Desinteresses ebenfalls nicht.

Da mittendrin zu stehen fühlt sich ein bisschen so an, als könnte das Kartenhaus gleich einstürzen, nicht nur gefühlt, auch rein technisch, die Band spielt teilweise an sich selbst vorbei, was die ausgetüftelten The-National-Rhythmen, die im Studio auf Perfektion gedrillt sind und live auch an guten Tagen schon manchmal schwer überwindbar, nicht gerade einfacher macht. Der letzte Song ist aus, Matt Berninger schießt von der Bühne und ward nie mehr gesehen. Verhaltener Applaus danach, was auch sonst. Dabei gab es bei ähnlicher Setlist auf früheren Konzerten immer noch einen weiteren Song zu hören.

Das Ahoi! Full Hit Of Summer in Linz ist das beste österreichische Festival, die These steht und hält, weil die Eigendynamik, die bei Konzerten (nicht) entstehen kann, nicht in der Macht der Veranstalter liegt. Diese haben vielmehr seit drei Jahren Perlen der internationalen Musikbranche gebucht, mit dem wiederholten Risiko, die Linzer Spielstätte nicht auszuverkaufen, aber mit der Intention, dem Publikum auf anspruchsvolle Weise Programm zu bieten, das die großen Cashcows - aus noch wirklichem Einsatz für die gute Musik - außen vor lässt. Dass Bands, die bei uns nicht so ziehen, überall anders aber längst schon Cashcows sind, ist eine Diskussion, die an anderer Stelle geführt werden muss - soviel sei aber schnell noch verraten: für das nächstjährige Festival sind Bilderbuch der erste bestätigte Act.

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