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Library Music: Im Hintergrund

FM4 Excursions, Episode 4, Liner Notes: Wir graben in den Archiven der Library Music, also ausschließlich für Funk, Film und Fernsehen produzierte Musik. Manche der raren Aufnahmen kleiner Labels schafften es auch in die Sampler von Beatmakern wie Madlib, The Alchemist, Kaytranada und den Waxolutionsts.

Von Florian Wörgötter

Library Music ist der Sammelbegriff für Produktionsmusik, Gebrauchs- oder Vertonungsmusik. Kleine Labels produzieren instrumentale Musik und verkaufen sie gegen eine Lizenzgebühr an Funk, Film, Fernsehen und Werbung. Manche Songs untermalen Radio- und Fernsehbeiträge, manche bringen es sogar zur Signation, einige schaffen es in Filmsoundtracks – und wenige erleben eine zweite Karriere als Samples von findigen HipHop-Produzenten.

FM4 Excursions

Bunt gemixte Assoziationsketten zeigen die Wurzeln aktueller Sounds und ihre Einflüsse auf die musikalische Jetztzeit. Die Excursions-Themen-Mixtapes von Trishes laufen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ab 0 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player. Ein Klick auf die Links der beschriebenen Songs führt zu ihrer Position im Mix.

Die Musik ist meist Stimmungen oder Genres gewidmet und verkörpert oft den aktuellen Zeitgeist ihrer Epoche. Da die Platten am kommerziellen Markt kaum erhältlich waren, sind viele Aufnahmen physisch genauso schwer zu finden wie virtuell und erzielen heute hohe Preise auf dem Sammler-Markt. Gerade ihre reduzierten Arrangements, vorwiegend als instrumentale Hintergrundmusik produziert, verbergen manchen Sample-Schatz.

Doch auch Trishes meint, ihre Suche gleicht jener der berühmten Nadel im Heuhaufen. Denn Durchschnittsware dominiert den mysteriösen Markt von Free-Lance-Komponisten und Session-Musikern. Trishes hat jedenfalls für Episode 4 der zweiten Staffel der FM4 Excursions eine Reihe gelungener Produktionsmusik-Titel gefunden, ohne die manche HipHop- und Dance-Tracks heute nicht existieren würden.

Mad Lib und The Alchemist

Trishes beginnt seinen Mix mit den Stringtronics und ihrem Song „Dawn Mists“ (1972). Ihr Album „Mindbender“ aus dem Hause Peer International Library Limited wird von Experten als der „heilige Gral“ der Library-Music abgefeiert. Zurecht erreicht die schmale Auflage des Originals heute sagenhafte Preise bis zu 900 US-Dollar. Wir hören psych-barocke Streicher, ein Electric Harpsicord, also ein elektronisch verstärktes Cembalo, eine knackige Bassline und schwingende Flageoletttöne. Trishes beschleunigt sie stufenweise auf den Beats pro Minute-Wert von „Falling“ (2003), den auch Chef-Producer und Obskuritäten-Sammler Madlib als Rap-tauglich erachtete. Am Mikrofon: Likwit-Crew-Member Declaime, der hier bereits als Dudley Perkins erzählt, was er nicht schon alles gesehen hat.

The Alchemist und Action Bronson beim Coachelle Festival 2015

AFP PHOTO / ROBYN BECK

The Alchemist und Action Bronson beim Coachella Festival 2015

Dieselbe zeitlose Sample-Quelle nutzte auch der kalifornische Produzent The Alchemist für seinen Dilated People-Stiefbruder Evidence und dessen aktuellen Song „Throw It All Away“ (2018). The Alchemist hatte auch schon Ende der Neunziger einmal Library Music in HipHop-Gold verwandelt: Für die Kollabo „Top Prospects“ (1999) von The High & Mighty featuring Defari und Evidence, das auch auf ein wunderbares Piano-Sample der großartigen Funk-Band War zugreift. Die Quelle aus den Library-Archiven: der Brite Brian Bennett und sein „Solstice“ (1978).

Bennett war Schlagzeuger der Band „The Shadows“ und Komponist für Film und Fernsehen. Der Song mit den HipHop-Drums erschien zunächst auf Bruton Library Records und sollte Science-Fiction-Filme vertonen. Danach releaste Bennet den Song auf seinem New-Age-Funk-Album „Voyage (A Journey Into Discoid Funk)“ (1978). Kanye West, Nas und Rick Ross sampelten „Solstice“ ebenfalls. Trishes zeigt mit „Whole World“ (2002) von Ghost Cauldron featuring Apani B Fly ein weiteres Beispiel für dessen unversiegbaren Sample-Reichtum.

KPM und Delia Derbyshire

Das berühmteste Label für Library Music war wohl das britische KPM (Keith-Prowse-Maurice; nicht zu verwechseln mit der Königlichen Porzellan Manufaktur). Einer der Komponisten diverser Film- und Fernsehmusik der 1960er und 70er-Jahre war der Pianist und Keyboarder Alan Hawkshaw. Im Gegensatz zu vielen seiner heute noch unbekannten Kollegen gelang ihm mit dem programmatischen Titel „Here Comes That Sound Again“ (1979) sogar eine Nummer 1 in den Billboard Hot Dance-Charts.

Kaytranada beim Auflegen

CC BY-ND 2.0 von flickr.com/thecomeupshow/

CC BY-ND 2.0 via flickr Kaytranada

Trishes spielt sein unschlagbares „Bermuda Triangle“, dessen pragmatischer Albumtitel die Wirkung des Songs und auch die bürokratisch-kühle Welt der Library Music auf den Punkt bringt: „Bruton 17 BRCD10 Suspense, Tension“. Der hypnotische Loop bildet die Grundlage für Kaytranadas „Drive Me Crazy“ (2015). Das immer noch modern klingende Sample wird mit Sounds aus dem TR-808-Drumcomputer und den Raps von Vic Mensa noch einmal aufpoliert.

Auch der britischen Elektro-Pionierin Delia Derbyshire gelang im Auftrag der BBC-Soundeffektabteilung ein Volltreffer: Eines ihrer avantgardistischen Sound-Experimente lief als erstes Signature-Thema der britischen Dauerbrenner-Serie „Dr. Who“ (1963–1969), wofür sie aber keine On-Screen-Credits erhielt.

Trishes zeigt mit Derbyshire’s späterem Song „Pot au Feu" (1968), wie organisch im Jahr 1969 die Zukunft geklungen hat. Das Stück wurde mit Oszillatoren und 4-Spur-Recorder produziert und nimmt Rhythmen und Sounds der 90er-Hardcore-Rave-Bewegung vorweg. Kein Wunder, dass auch Detroits Danny Brown sich auf solchen Sounds wohl fühlt. Auf dem Song „When It Rain“ (2016) reißt er seinen Schnabel zu Derbyshires Sample gewohnt weit und lautstark auf.

Library Music war aber nur selten ihrer Zeit voraus. Meistens vertonte sie in einer abgespeckten Version die populäre Musik des vorherrschenden Zeitgeists. Ein Beispiel liefert Capitols „Media Music Release No. 14 - Headline Disco“ (1978). Jack Mayborns „Music People“ nimmt hörbare Anleihen beim Soundtrack von Stallones „Rocky“ (1976). Später rappt auf einem Sample davon der letzten Jahres verstorbene Mobb-Deep-Gangster Prodigy den Song „Keep It Thoro“ (2006).

ORF-Bigband und die Waxolutionists

Auch der Österreichische Rundfunk engagierte einst seine eigene ORF-Bigband, die auch funktionelle Library Music aufnahm. Über die Jahre 1971 bis 1982 erschienen unter der Leitung von Johannes Fehring und Erich Kleinschuster diverse Alben, die auch mit amerikanischen Jazz-Musikern wie dem Trompeter Art Farmer, dem Saxophonisten Jimmy Heath und dem Bassisten Jimmy Woode aufgenommen wurden. Hier das groovy Hörbeispiel „Rock A’ Motion“ (1972) von der unverkäuflichen „ORF Arbeitsplatte 72/9“, die nur für die Wiedergabe im Rundfunk aufgenommen wurde.

Heute betreibt der ORF seinen eigenen ORF-Enterprise-Musikverlag samt Musik-Library für Gestalter zur Film- und TV-Vertonung. Der Anspruch, marktdominierenden Genres gerecht zu werden, wird auch hier großgeschrieben, bietet man doch „Produktionsmusik vom Orchester bis zum HipHop-Sound“. Das schauen wir uns genauer an.

Sucht man auf der Webseite musiclibrary.orf.at nach HipHop/Rap, erscheinen 69 Treffer, einschließlich Titel, Komponist und erklärenden Schlagworten. Darunter Songs wie „Scratch it“ (indexiert mit: Dynamik, treibend, energisch, geschäftig, urban, repetitiv, aufwühlend, aggressiv, Kultur, Subkultur, cool, funky, Hip Hop, trendig, unverbindlich, m-f), das lautmalerische „Tschia“ (Hip-Hop, R & B, Jugendliche, Kriminalität, Gangster, urban, Gewalt, Aggression, modern, groovig, m) oder „Roll me out of this club“ (Freizeit, lifestyle, cool, urban, Wissenschaft, Technologie, m). Ob die hundertste Staffel der FM4 Excursions nostalgisch auf diese Geheimnische des Austro-Rap zurückblicken wird? Probably not.

Trishes beendet den Abend mit einem denkwürdigen Moment heimischer HipHop-Geschichte – dem melancholisch-pulsierenden „Nachtschattengewächs“ (2000) vom Vorarlberger DJ Bionic Kid und dem Tiroler Manuva von Total Chaos (erst später wurde daraus ein Waxolutionists-Song). Waxos-Produzent Bionic Kid hat uns für diese Folge verraten, aus welcher – auch im WWW – unauffindbaren Quelle das tragende Rhodes-Piano-Sample stammt: aus der Library des französischen Produktionsmusik-Label Tele Music.

Die Waxolutionists

__Lukas Gansterer(http://www.orf.at)__

Waxolutionists

Das Besondere an der Produktion: Er hat für die Wiederholung des elektromechanischen Pianos keinen Sampler verwendet, sondern den Loop mit dem Plattenspieler aneinandergereiht. Danach wurden Drums und Piano ergänzt, worauf Manuva uns auf einen poetischen Trip durch die lange Nacht der Großstadt schickt. Ein Meilenstein, der auch Staffel 100 der FM4 Excursions noch begeistern wird – und der Beweis, dass HipHop-Produzenten im Dunkeln verwelkten Pflänzchen wie der Library Music im Rampenlicht zum Blühen bringen können.

Nächste Woche würdigen wir das Schlagzeug – mit den wichtigsten Drum-Breaks der Sample-Geschichte.

Weitere Episoden der FM4 Excursions
Episode 1: Sounds of Brasilien
Episode 2: Klassische Musik
Episode 3: Das 21. Jahrhundert
Episode 4: Library Music
Episode 5: Drum-Breaks
Episode 6: Psychedelic Rock

Die gesamte Staffel 1 könnt ihr hier Nachhören und Nachlesen

Die Tracklist zu S02/EP04:

Stringtronics Dawn Mists
Dudley Perkins Falling
Evidence Throw It All Away
Westside Gunn Brains Flew By (1964 Version)
Rubba Way Star
Freddie Gibbs & Madlib Thuggin'
Ghost Cauldron feat. Apani B Fly Whole World
Brian Bennett Solstice
The High & Mighty ft. Defari & Ecidence Top Prospects
Alan Hawkshaw Bermuda Triangle
Kaytranada ft. Vic Mensa DRIVE ME CRAZY
Danny Brown feat. Kendrick Lamar, Ab-Soul & Earl Sweatshirt Really Doe
Giovanni Cristiani Fragments Of Crystal
Delia Derbyshire Pot au Feu
Danny Brown When It Rain
Anthony King & John Matthews Pots And Pans
Pusha T Numbers On The Boards
Prodigy Keep It Thoro
Jack Mayborn Music People
Janko Nilovic In the Space
Jay-Z D.O.A. (Death Of Auto-Tune)
Caravelli & Patrick Vasori Hawaian Et Fizz Guitars
Chet Faker Talk Is Cheap (Kaytranada Flip)
Titeknots Wordy
Rene Costy Scrabble
J Dilla Fuck The Police
Daniel Janin ft. Nancy Holloway Sand And Rain
DJ Vadim ft. Sarah Jones Your Revolution
Waxolutionists feat. Manuva Nachtschattengewächs
Telemusic Mystery

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