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Diego Maradona breitet die Arme aus

APA/AFP/OLGA MALTSEVA

Blumenaus WM-Journal

Fußball und Politik - Der Klassiker, neu aufgelegt

Anmerkungen aus aktuellem Anlass, und ein Rückgriff in die jüngere Geschichte: das Paradebeispiel des argentinischen Zusammenspiels zwischen Kirchner und Maradona.

Von Martin Blumenau

Es ist ja nicht das erste Mal Thema hier, das gestern wieder deutlich sichtbar aufgebrochene Zusammenspiel zwischen Fußball und Gesellschaftspolitik - aber mit jedem Mal wieder gibt es erstaunte Gesichter, die von einer strikten Trennung ausgegangen sind und sich in ihrer eskapistischen Freude belästigt fühlen oder Instrumentalisierer (ja, aber der Putin ist doch auch!), die ihre eigenen ideologischen Süppchen mitkochen wollen.

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

Blumenaus WM-Journal 2018 gibt es auch als täglichen Podcast!

Sie alle sollten jetzt aufhören diesen Text zu lesen. Es könnte ihre eingefahrenen Sichtweisen beeinträchtigen - und diese Verantwortung kann ich nicht auf mich nehmen.

Man kann nicht „nicht politisch“ sein. Auch der Fußball nicht.
Und: Fußball ohne Klüngelei, Korruption und politisch motivierte Machinationen geht nicht; egal ob bei der Vergabe des Sommermärchens oder eben jetzt in Russland. Und das ist ab der ersten Ausgabe dieses WM-Journals auch Thema hier.

Selbstverständlich steuert ein Semi-Demokrat wie Putin „seine“ Sportereignisse nach seinem Kalkül, zwischen tagespolitischem Bedarf und langfristiger Strategie. Die vor dem Turnier aufgetauchte Frage, ob er danach eine ebenso wuchtige Aktion wie die De Facto-Annexion der Krim direkt nach den Olympischen Spielen in Sochi durchführen würde, hatte ihre Berechtigung.
Selbstverständlich hat Erdogan das Qualifikations-Scheitern der türkischen Mannschaft ein paar Prozent gekostet, die er sich nur ganz partiell und mühsam über gemeinsame Propaganda-Fotos mit Stars aus der Diaspora zurückholen konnte.
Selbstverständlich haben sich Horror-Regime durch gütliche Präsidenten-Logen-Bilder ihr Image aufgepeppt.
Und selbstverständlich war sowohl für Kroatien als auch für Serbien (und auch für den anwesenheitslosen Kosovo) die Bühne für die Zurschaustellung von gruseligem Kriegs-Metapher-Nationalismus zu verlockend.

Siehe dazu auch Jürgen Puchers exzellente Analyse auf 90minuten.at und Susanne Scholls Einschätzung in Russlands große PR-Inszenierung.

Die 32 Teilnehmer-Länder zerfallen im Übrigen in vier etwa gleich starke Kohorten: ein Viertel autoritäre Regime, ein Viertel von Nationalismus und/oder Korruption zerfressene Noch-Demokratien, ein Viertel westliche Demokratien mit gruseliger imperialer Vergangenheit und ein Viertel an Republiken mit ganz normalen blinden oder schwarzen Flecken.
Und alle Definitionsmächtigen in diesen Teilnehmer-Ländern suchen ihren Vorteil.

Das deutsche Beispiel

Dass die Ereignisse einen unvorhersehbaren Drift nehmen können, lässt sich am Beispiel der absurden Spirale nehmen, die das deutsche Ausscheiden nach sich zog. Im Vorfeld nahm die extreme Rechte (deren Definitionsmacht sich über den ihnen hörigen Medien-Boulevard massiv auswirkt) den Özil/Gündogan/Erdogan-Vorfall, der von den Beteiligten und dem DFB äußerst schwach krisengehändelt wurde, zum Anlass das von ihnen herbeigewünschte/redete Scheitern von Multikulti auch mit einem entsprechenden Symbol anbieten zu können. Das wiederum kam im (wohl politisch recht plump gebildeten) DFB-Camp als Wunsch einer ganz allgemein fortschrittsfeindlichen, die Entwicklungen der Irrealwirtschaft im Fußball kritisierenden Gegnerschaft an und setzte eine dementsprechende Trotz-Energie frei, die für das Schweden-Spiel reichte.

Weil aber die von außen eingebrachte Bruchlinie zwischen Spielern mit/ohne Migrationshintergrund gar nicht existiert, sondern eine zwischen sogenannten Jungen und Alten die #MNNSCHFT entzweite, ging das 3. Spiel verloren. Was dann wieder nicht mehr nur von den Rechtsextremen, sondern auch vom Rechtsaußen-Regierungs-Partner von Kanzlerin Merkel als Fanal benutzt wird, als Signal, als Symbol für das Ende einer Ära. Ein paar Blicke in die zugehörige Springer-Presse, die von der völligen Gleichschaltung der Schicksale von Coach Löw und der Kanzlerin wie besessen waren, belegt die Absicht.

Das Beispiel mit Kirchner und Maradona

Ein noch viel intensiveres Beispiel des Zusammenspiels zwischen Geschehnissen/Erfolgen auf dem Spielfeld bzw. in der Politik findet sich in den Geschehnissen rund um Argentinien bei der WM 2010 unter Teamchef Diego Maradona, in einem umfassenden Text im aktuellen Journal für Entwicklungspolitik.

Da unser Wissen um argentinische Verhältnisse abseits von Rindfleisch, Klima, Messi und Maradona gering ist, will ich die wichtigsten Aspekte kurz rausgreifen. Und verspreche verblüffende Erkenntnisse.

2010 war es die linkspopulistische Cristina Fernández de Kirchner, die, wie einst Evita ihrem Juan, ihrem Mann Nestor Kirchner nachgefolgt war (nicht monarchisch, sondern in einer Wahl, mit hochprozentigen Vorsprung). Die Politik des Kirchnerismus setzte auf starke Sozialprogramme für die Unterschicht (vor allem das Asignación Universal por Hijo) und den zusehends abrutschenden Mittelstand, Protektionismus, Rückverstaatlichung und so ziemlich alles, was der weltumspannenden neoliberalen Idee unserer Tage zuwiderläuft. Sie setzte etwa auch eine nicht-kommerzielle Anbieter und Regionalität fördernde Rundfunk-Reform.

Außerdem stand 2009 die Kampagne Fútbol para todos (Fußball für alle) im Mittelpunkt: die Kirchners setzten durch, dass die TV-Rechte für die Spiele der argentinischen Liga vom staatlichen Sender Canal 7 aufgekauft wurden - ein protektionistischer Schlag gegen die private Clarín-Gruppe, die stärksten Unterstützer der Kirchner-Gegner. CFK, wie die Präsidentin in Argentinien genannt wird, setzte in ihren flammenden Reden einen problematischen Vergleich ein: sie sprach von einer „Entführung der Tore“, was Assoziationen zu den 30.000 ungeklärten Entführungen unter der argentinischen Militärdiktatur auslöste; die Rückholung der Tore für alle als selbstbestimmter, politischer Akt. Man stelle sich das einmal übertragen auf die europäischen Ligen vor, oder nur in Österreich...

Noch stärker verbanden die Kirchners (der damals schon sehr kranke Nestor starb 2011) die WM-Teilnahme 2010 mit ihrer Politik. Coach war damals Diego Maradona, die Lichtgestalt, die menschgewordene Entsprechung der Picardia, der Schlitzohrigkeit, die Argentinien dem von ihnen so gerne adaptierten Fairplay-Sport der Engländer (des alten Lieblingsfeindes) entgegensetzten. Maradona war der Pibe (später zum El Pibe de Oro geadelt) ein Trickster, der spontanen Genuss und Virtuosität über Disziplin stellt, der die ihm zugedachte niedere gesellschaftliche Stellung sprengt und der (auch weil kreolischen Ursprungs) kein klassisches Männlichkeitsbild zitiert - wie ja auch Maradona selber.

Im Vorfeld der WM kam es zu einer öffentlichen Bruchlinie: die Clarin-Medien verbreiteten schlechte Stimmung (mala onda), die weniger auf Maradonas (ja tatsächlich) eingeschränkte Coaching-Fähigkeiten, sondern auf die Instrumentalisierung durch die Kirchners abzielte. Der Philosoph Ricardo Forster beschrieb das so: „Die Dämonisierung Maradonas als undisziplinierte Person und die Übertragung der Attribute auf den Kirchnerismus dienten dazu beide mit Chaos und Verantwortungslosigkeit zu identifizieren.“ Die Regierung als Förderer von Unordnung und schlechtem Benehmen also.

Die Stabilität der Regierung hing also tatsächlich vom Abschneiden Argentiniens bei der WM ab. Im Land selber spielte die Person oder die Performance des schon damaligen Weltfußballers Lionel Messi, der ob seiner Bravheit ein recht untauglicher Pibe ist, kaum eine Rolle.

Nun startete Argentinien 2010 ins Turnier wie die Feuerwehr, was auch damit zu tun hat, das Maradona mit Bilardo und Batista zwei Männer an seiner Seite hatte, die sich um die tatsächlichen Coaching-Aufgaben kümmerten, während er selber fürs Repräsentieren und Stimmung-Machen zuständig war. Sein Team marschierte durch die Gruppe und das Achtelfinale. Zudem stellte der südamerikanische Fußball vier von acht Viertelfinalisten - ein bis dorthin unerreichter Erfolg.

Dass Argentinien im Viertelfinale dann gegen Deutschland 0:4 unterging, änderte nichts am Homecoming-Jubel-Empfang für das Team am Flughafen. Aus der mala onda war die buena onda erwachsen, der Kirchnerismus mit CFK an der Spitze gewann die Wahlen 2011 und konnte sich noch bis 2015 halten. Das Narrativ des Aufbruchs der Unterprivilegierten hatte funktioniert - auch über die Figur Maradona, der mit der WM 2010 seine schlimme Phase (Drogen. Alkohol, Hepatitis etc.) beendete, und seitdem nur noch durch seltsame Wortmeldungen auffällig wurde.

Achtelfinale
AF1: Frankreich - Argentinien 4:3 Review
AF2: Uruguay - Portugal 2:1 Review
AF3: Spanien - Russland 1:1 - 3:4 i.E. Review
AF4: Kroatien - Dänemark 1:1 - 3:2 i.E. Review
AF5: Brasilien - Mexiko 2:0 Review
AF6: Belgien - Japan 3:2 Review
AF7: Schweden - Schweiz 1:0 Review
AF8: Kolumbien - England 1:1 - 3:4 i.E. Review
Viertelfinale
VF1: Frankreich - Uruguay 2:0 Review
VF2: Brasilien - Belgien 1:2 Review
VF3: Schweden - England 0:2 Review
VF4: Russland - Kroatien 2:2 - 3:4 i.E. Review
Semifinale
SF1: Frankreich - Belgien 1:0 Review
SF2: England - Kroatien 1:2 Review
Spiel um Platz 3
Belgien - England 2:0 Review
Finale
Frankreich - Kroatien 4:2 Review

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