FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Jugendlicher Lehrling mit Ausbildner

APA/HERBERT NEUBAUER

Ende des Lehr-Laufs?

In Österreich gibt es erstmals seit 2001 wieder mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende. An und für sich ist das eine gute Nachricht. Doch es gibt regional und branchenspezifisch immer noch große Lücken und einen Mangel an Fachkräften.

von Lukas Lottersberger

Seit April 2018 sind laut AMS in Österreich mehr Lehrstellen verfügbar als Lehrstellensuchende gemeldet. Nur in Wien, Niederösterreich und im Burgenland sind unterm Strich zu wenige Lehrstellen verfügbar. AMS-Chef Johannes Kopf freut sich jedenfalls auf Twitter über diese Entwicklung, die auf die gute Wirtschaftslage zurückzuführen sei.

So erfreulich diese Zahl für manche ist, in einigen Berufsgruppen gibt es weiterhin ein zu kleines Angebot an Lehrstellen für zu viele Interessenten. Umgekehrt deuten in manchen Branchen die vielen offenen Stellen auf das Problem des Fachkräftemangels hin. Besonders deutlich wird das im Bereich Tourismus und Gastronomie: In keiner anderen Berufssparte gibt es so viele sofort verfügbare Lehrstellen. Über 1.200 sind es aktuell laut AMS Arbeitsmarktdaten.

Rezeption in einem Hotel

APA/HERBERT NEUBAUER

Besonders im Tourismus und in der Gastronomie werden Lehrlinge gesucht.

Die Frage nach dem „Warum" lasse sich nicht so einfach beantworten, meint Eva Auer, Statistikerin beim AMS Österreich. Doch: „Die Tourismusregionen liegen sehr oft in entlegeneren Gegenden, wo eben nicht mehr sehr viele junge Leute leben“, meint Auer. „Wenn ich mich für eine Lehre dort entscheide, müsste ich von zuhause wegziehen“, was besonders jungen Menschen, die etwa in Städten aufgewachsen sind, schwerfällt. Und auch sonst ist diese Entscheidung für z.B. 15-jährige alles andere als leicht.

„Meine Überzeugung ist, dass man hier sehr viel regional tun muss“, sagt Josef Wallner vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft - IBW, „etwa durch den Zusammenschluss von regionalen Ausbildungs- und Bildungseinrichtungen.“ Damit junge Menschen in ländlichen Regionen bleiben und somit letztlich auch einem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sei es auch wichtig, die „Lebendigkeit“ dieser Regionen zu fördern. Etwa durch ein gutes kulturelles Angebot. „Das sind keine einfachen Aufgaben“, so Wallner.

Asylwerber gegen Fachkräftemangel

Um den Lehrlings- und Fachkräftemangel zu verringern, gibt es auch seit einiger Zeit die Möglichkeit für Asylwerbende bis 25, eine Lehre in einem der aktuell 27 Mangelberufe zu absolvieren. Doch immer wieder passiert es, dass AsylwerberInnen während ihrer Ausbildung einen negativen Asylbescheid bekommen.

Kritik an dieser Praxis kommt von vielen Seiten: Einerseits von NGOs, aber auch von der Wirtschaftskammer und vom AMS. Denn zum einen werde damit vielversprechenden, fleißigen und talentierten Menschen eine Chance genommen, andererseits verlieren Unternehmen mit einem Schlag angehende Fachkräfte. Unterm Strich hat eigentlich keine Seite etwas davon.

Vielfach wird daher gefordert, dass Asylwerbende in Ausbildung nicht abgeschoben werden sollen. Erst kürzlich sprach sich etwa der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) dafür aus, das Thema zu diskutieren. Ex-Ski-Star Hermann Maier meinte kürzlich, es sei „ein Gebot der Menschlichkeit“, jungen Asylwerbenden eine Chance zu geben. Bundespräsident Alexander Van der Bellen äußert sich im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung zu dem Thema: Auch er ist dagegen, dass Lehrlinge abgeschoben werden können und bezeichnet das als „wirtschaftlichen Unsinn“.

„Incentives“ weit verbreitet

Um Lehrstellen attraktiver zu machen, bieten viele Firmen, die Lehrlinge ausbilden, sogenannte Incentives, also Anreize an.

Manche Unternehmen zahlen mehr als den Mindestbetrag der festgelegten monatlichen „Lehrlingsentschädigung“. Andere übernehmen etwa einen Teil der Kosten für den B-Führerschein, oder bezahlen ihn bei guten Leistungen sogar zur Gänze. Auch leistungsbezogene Prämien, Fahrtkostenzuschüsse, die Übernahme von Internatskosten, Sportangebote, Seminare, Gutscheine und Sachleistungen sind weit verbreitete Anreize.

Einen kuriosen Zugang hat ein Lichtinstallationsunternehmen mit Sitz in Wels: Sie übernehmen leistungsunabhängig die Kosten für einen Tanzkurs für ihre Lehrlinge. Der Hintergedanke: „Unsere Lehrlinge lernen Bewegungsabläufe, Haltung, Manieren. Das Unternehmen profitiert davon, weil sich das auch im Umgang mit Kunden niederschlägt“, so der Personalchef der Firma kürzlich in der Tageszeitung Der Standard.

Egal ob Tanzkurs oder Führerschein, solche Incentives sind allerdings nichts Neues, betont Josef Wallner vom IBW: „Das gibt es seit Jahren.“ Doch: „Was jetzt durch den Fachkräftemangel dazukommt: Unternehmen bemühen sich einfach noch mehr, zu zeigen, was sie ihren Lehrlingen bieten können“, erklärt der Lehrlingsexperte. Daher rühre auch die aktuell höhere mediale Aufmerksamkeit dafür.

„Berufsmatura“ und Lehre nach Matura

Ein neueres Modell der Lehre feiert heuer sein zehnjähriges Bestehen: Die „Berufsmatura“, auch bekannt als „Lehre mit Matura“. Seit Beginn des Programms haben 6.776 Lehrlinge die Berufsmatura absolviert.

Die Wirtschaftskammer sieht in dem Modell einen „hohen Nutzen für Lehrlinge und Unternehmen“. Lehrlinge sollen neben der praktischen Berufsausbildung eine gute Allgemeinbildung vermittelt bekommen. Lehrlingen, die die „Berufsmatura“ machen, stehen die Türen zu Fachhochschulen und Unis für Weiterbildung offen. Die Vorteile für Unternehmer sieht die Wirtschaftskammer unter anderem im „Imagegewinn“ für das Unternehmen und in der Ausbildungsqualität der Lehrlinge.

Die Berufsmatura ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Generell geht der Weg zur Reife jedoch über Teilprüfungen, die zeitlich aufgeteilt werden können. Die letzte Teilprüfung findet nach der Lehrabschlussprüfung statt.

TeilnehmerInnen Lehre mit Matura

IWB/BMBWF

TeilnehmerInnenzahl der Berufsmatura. 6.776 Lehrlinge haben seit Beginn des Programms im Jahr 2008 die Berufsmatura absolviert.

Umgekehrt gibt es in Österreich relativ wenige Maturanten, die nach einer abgeschlossenen höherbildenden Schule noch eine Lehre beginnen. Nur 2,5% der NeueinsteigerInnen an Berufsschulen verfügten laut Statistik Austria im Schuljahr 2016/17 bei Lehrantritt über ein Maturazeugnis. Dabei gibt es einen entscheidenden Vorteil für MaturantInnen: Die Lehrzeit verkürzt sich um ein Jahr, wenn man will. Davon ausgenommen sind lediglich Lehrberufe mit zweijähriger Ausbildungsdauer.

In Oberösterreich, will man jetzt mehr MaturantInnen für Lehrstellen gewinnen. Auch dort ist der Fachkräftemangel ein Problem: 20.000 Fachkräfte fehlen laut WKOÖ-Präsidentin Doris Hummel aktuell. Ab Herbst 2018 soll daher eine sogenannte „Duale Akademie“ starten. Zielgruppe sind eben MaturantInnen - aber auch Berufsumsteiger und Studierende sollen angesprochen werden.

Dieses neue System sieht 70 Prozent der Ausbildungszeit in einem Betrieb vor, 20 Prozent werden geblockt in eigens für die Akademie geschaffenen Berufsschulklassen absolviert und 10 Prozent bei weiteren Bildungsanbietern wie Uni, FH oder Wirtschaftsförderungsinstitut, um dort zum Biespiel digitale und soziale Kompetenzen aufzubauen. Die Trainee-Programme dauern anderthalb bis zwei Jahre und enden mit einer Lehrabschlussprüfung.

Lehrlingsanzahl gesunken, Beliebtheit konstant

In absoluten Zahlen ist die Anzahl von offenen Lehrstellen und Lehrlingen in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Das habe vor allem mit dem demografischen Wandel zu tun, erklärt Eva Auer, Statistikerin beim AMS Österreich: „Vor 20 Jahren hat es noch 13.000 mehr Jugendliche im Alter von 15 Jahren gegeben.“ Einzig in Wien sei die Zahl der 15-jährigen gestiegen, in den Bundesländern und besonders in ländlichen Regionen werden sie weniger: „Es stehen dort also weniger [potenzielle Lehrlinge, Anm.] zur Verfügung," so Auer.

Ein weiterer Grund für den langfristigen Rückgang von Angebot und Nachfrage am Lehrstellenmarkt ist, „dass viele nach höheren Schulen streben. Diese stehen natürlich in Konkurrenz zu den Lehrstellen“, erklärt Eva Auer.

Doch prozentuell gesehen ist das Interesse an der Lehre seit Mitte der 1990er-Jahre ziemlich konstant. Seit Jahren befinden sich etwa rund 40 Prozent der Jugendlichen im Alter von 15 Jahren im ersten Lehrjahr. Auch was den prozentuellen Anteil an SchülerInnen in der 10. Schulstufe betrifft, stehen Berufsschulen seit Jahren an der Spitze.

Verteilung von SchülerInnen in der 10. Schulstufe

IBW/Statistik Austria

Anteil der SchülerInnen in der 10. Schulstufe nach Schultyp

Was das „Image“ der Lehre angehe, habe das System der Lehrausbildung in Österreich den letzten Jahren jedenfalls „über Umwege“ eine Aufwertung erfahren, meint Josef Wallner vom IBW: Europäische Länder mit hoher Jugendarbeitslosigkeit hätten in den Krisenjahren neidvoll auf Österreich geblickt, wo die Jugendarbeitslosigkeit selbst in wirtschaftlich schlechten Zeiten im Rahmen blieb.

„Die Lehre ist natürlich wichtig wie eh und je“, meint Josef Wallner, der sich um deren Image keine Sorgen macht. Der aktuelle Fachkräftemangel könnte vielleicht für eine weitere Aufwertung sorgen, denn: „Die Lehrlingsausbildung ist die Basis für die Sicherung unseres Fachkräftebedarfs und eine ganz wichtige Säule.“

mehr Politik:

Aktuell: