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Laibach Sound of Music Steirischer herbst

Laibach / steirischer herbst

Der steirische herbst führt „Volksfronten“ vor

Ekaterina Degot ist die neue Intendantin des steirischen herbst und sie hat „Volksfronten“ als Titel des Programms gewählt. Was bedeutet das? Und weshalb knöpfen sich Laibach „Sound of Music“ vor?

Von Maria Motter

Als vor Monaten das Motto des kommenden steirischen herbsts mit neuem Sujet online ging, wirkte das wie eine Persiflage: „Volksfronten“ prangt in einem Schriftzug, der in den 90er Jahren einen Actionfilm eröffnen hätte können. Die neue Intendantin des Festivals für zeitgenössische Künste heißt Ekaterina Degot, sie ist in Moskau geboren und war vor ihrer Graz-Zeit Leiterin der Akademie der Künste der Welt in Köln. „Ich finde Graz schön zum Leben“, sagt sie.

Heute hat sie ihr Programm für den „herbst“ vorgestellt. „Volksfronten“ hat sie als Programmschwerpunkt gewählt. Wird alles radikal anders beim ältesten interdisziplinären Festival für zeitgenössische Kunst in Europa?

Eröffnet wird der 51.(!) steirische herbst mit einem Straßentheaterspektakel vom Bread and Puppet-Theater, einer im nordamerikanischen Raum recht bekannten Compagnie. Mit überlebensgroßen Puppen zieht die Gruppe vom Europaplatz durch die Straßen der Stadt. Am Schloßbergplatz wird der Sankt Petersburger Dichter Roman Osminkin performen, dessen Lyrik sich von politisch-aktivistischen und von musikalischen Einflüssen, etwa von Hip Hop, nährt. Dann geht es auf den Schloßberg: Die slowenische Industrial-Band Laibach knöpft sich das Musical „Sound of Music“ vor. „Was bedeutet diese biedere und sentimentale Geschichte? Was sagt sie heute aus?“, fragt Ekaterina Degot.

Laibach Band

Luka Kaše

Laibach

Für das gesamte Programm gibt es erstmals einen Festivalpass für alles. Degot wünscht sich, dass sich die Besucherinnen und Besucher möglichst viel Verschiedenes anschauen: Installationen, Performances, choreografische Klangstücke und das Symposium „Our little Fascisms“ sind zu besuchen.

steirischer herbst, 20. September bis 14. Oktober 2018, Graz

Das musikprotokoll für experimentelle, zeitgenössische Musik ist weiterhin ein Festival im Festival. Auf ein Festivalzentrum wird fortan verzichtet. Die herbstbar ist das Postgarage Café. Dort werden sich auch Mitglieder von Laibach einfinden für die eine oder andere abendliche Erläuterung. Soweit, so vertraut wirkt die Vorschau. Was nicht bedeutet, dass der steirische herbst uns nicht massiv herausfordern könnte.

Bei der Pressekonferenz gibt es schon den ersten befremdlichen Moment. Der Norweger Lars Cuzner trat auf, um mit seiner „The Intelligence Party“ um Verständnis für Weiße zu werben. Mit einem anderen Mann nahm er Aufstellung vor zwei Fahnen und entrollte ein Transparent mit der Aufschrift „Understand white people“. Es wurde noch stiller unter den anwesenden JournalistInnen, nur ein kurzer Auflacher. Dann gab es kurzen Frontalunterricht Cuzners, das Wahlrecht hätte Reformbedarf. Es ist eine komplexe Angelegenheit.

Poster für Lars Cuzners Inteligentspartiet (Intelligenzpartei) im Zentrum Oslos, 2018

Lars Cuzner

Poster für Lars Cuzners Inteligentspartiet (Intelligenzpartei) im Zentrum Oslos, 2018

Fortgesetzt wird die Tradition, dass der steirische herbst auch stets zur Vergangenheitsbewältigung beiträgt. Am Grazer Hauptplatz wird ein Container aufgestellt, in dem Gegenstände aus der Zeit des Faschismus und des Nationalsozialismus abgegeben werden können. Ausgedacht hat sich diese Aktion mit dem Titel „Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space“ der Künstler Yoshinori Niwa. Die Dinge würden dann fachgerecht vernichtet, versichert der herbst.

Yoshinori Niwa Nazi-Entsorgungsaktion steirischer Herbst

Yoshinori Niwa / Yelena Maksutay

Yoshinori Niwa, Anzeige für Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space, 2018. Design: Yelena Maksutay

„Schnee von Gestern“ ist der Titel einer großen Installation der Moskauerin Irina Korina in der Helmut-List-Halle. Es soll eine aufblasbare Landschaft werden, ein Sci-Fi-Raum. Die österreichischen Künstler Martin Behr und Martin Osterider begeben sich indes in die Triestersiedlung, einen sozialen Wohnbau, der schon in früheren herbst-Jahren Schauplatz von Erkundungen gewesen ist. Ein „Schulausflug“ für alle führt dann auch nach Eisenerz – jene österreichische Stadt, die als erste rückgebaut wurde, weil die Bevölkerung derart drastisch schwand. Auf dem Dach des Hotel Daniels indes geht es in die Zukunft: Hier wird ein Sci-Fi-Hörbuch präsentiert werden. Der steirische herbst umfasst fast ausschließlich Auftragsarbeiten von über 40 KünstlerInnen an 20 Orten in Graz.

Aufhorchen lässt Intendantin Ekaterina Degot: „Wir leben heute in einer Welt vieler großer und kleiner Nationalismen, die immer mit dem Interesse des Volkes argumentiert werden. Die künstlerischen Werke, die wir zeigen, sind aber keine direkten Illustrationen dazu und sogar weniger direkte Aktionen dagegen. Sie sind künstlerische Kommentare, reflexive intellektuelle Positionen.“

Das werden keine Statements, sagt Ekaterina Degot im FM4-Interview. Sie sei an komplexen künstlerischen Arbeiten interessiert, die unser Leben von verschiedenen Seiten zeigen. Mit allen Zusammenhängen, allen Widersprüchen.

„Volksfronten“ ist ein harter Begriff. „Natürlich denkt man an die antifaschistische Front der 1930er Jahre, die ziemlich erfolgreich war - zum Beispiel in Frankreich“, erklärt Degot. „Das war eine klare Front: Wir alle gegen den Faschismus. Und statt dieser Situation haben wir jetzt viele Fronten und viele Kämpfe. Das sind Volksfronten. Die Frage ist: Wie kann man sich als Künstler oder als Zuschauer, als Bürger dagegen wehren? Nicht nur in unseren Aktionen, sondern in unserem Denken. Wie kann man anders denken? Wie kann man anders Kunst schaffen?“

Ekaterina Degot

Christian Benesch

Ekaterina Degot

Die Beschäftigung mit steirischen Orten wird fortgeführt. Milica Tomic etwa recherchiert rund um ein ehemaliges Arbeitslager in Aflenz. „Aber ein großes Projekt kommt im nächsten Jahr“, so Degot.

Noch etwas ist jetzt geklärt: Ekaterina Degot spricht man, wie man sie schreibt. Die Kunsttheoretikerin und Kuratorin lächelt milde-verschmitzt. Sie kennt Russland, wo sie aufgewachsen ist und studiert hat, und Europa. Wie sollen wir auf diese Kunst zugehen, die uns der herbst präsentieren wird? „Vielleicht bringt die Tatsache, dass ich aus Russland komme, dieses Osteuropäische, sozusagen mehr Humor und Ironie. Das ist vielleicht wahr. Und ich bin sicher, das westeuropäische Publikum hat viel Respekt vor Kunst, vielleicht sogar mehr Respekt als russisches Publikum zu moderner Kunst, zeitgenössischer Kunst. Aber vielleicht mit ein bisschen mehr Humor dazu - das wäre vielleicht eine ideale Attitüde.“

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