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Straßenszene im Iran: Zwei Frauen gehen an einem Graffiti vorbei, das einen Buben zeigt mit Verbotszeichen vor den Augen

Kamyar Adl

Tanzen im Iran ist Protest

Die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen im Iran deckt sich nur noch wenig mit den strengen Ansichten des Wächterrats. Vor Kurzem wurden Frauen für Tanzvideos auf Instagram eingesperrt - dagegen regt sich Widerstand.

Titelbild: Kamyar Adl (CC BY 2.0)

Das Leben im Iran hat zwei Gesichter: es gibt ein öffentliches und ein privates. Die Hauptstadt Teheran ist mittlerweile bekannt als die Stadt der Lügen, in der nichts erlaubt aber alles möglich ist.

Jungen Menschen dort nutzen VPN-Filter, um Internet-Blockaden zu umgehen und einen Blick auf den Rest der Welt zu erhaschen, wenn sie schon nicht ausreisen können oder dürfen. Sie fragen sich: Wie ist das Leben fernab von islamischer Moral und Sittengesetzen? Das Internet ist für sie ein Einblick in einen Lebensstil, mit vielen Freiheiten, der den strengen islamischen Kriterien des iranischen Regimes nicht entspricht.

„The way we live is a protest against the government who wants to force us to follow their lifestyle. You don’t need to name yourself a political activist. By choosing another lifestyle, you are challenging the islamic lifestyle“, so die iranische Journalistin, Aktivistin und Autorin Massih Alinejad. Sie lebt im Exil in New York und ist eine der führenden Stimmen für Iranische Frauen, indem sie ihnen die Plattform „My Stealthy Freedom“ bietet.

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Beim Tanzen gefilmt

Zuletzt wurde dieser islamische Lebensstil durch Tanzen herausgefordert: Die 19-jährige Maedeh Hojabri hat sich in ihrem Jugendzimmer gefilmt und ihre Tanzvideos auf Instagram gestellt. Über 600.000 Follower hatte sie angeblich auf ihren verschiedenen Accounts. Zu sehen ist eine Teenagerin ohne Kopftuch, die zu iranischer und westlicher Popmusik tanzt. Für uns völlig normal - im Iran unter dem strengen islamischen Regime aber eine Sünde. Die junge Iranerin wurde Anfang Juli verhaftet, musste für ihre Tanzleidenschaft sogar ins Gefängnis. Sie wurde gegen Kaution wieder freigelassen und musste im iranischen Staatsfernsehen Reue zeigen: unter Tränen gestand sie dort vor laufender Kamera ihre - nach den strengen islamischen Kriterien im Iran - moralische Untat: „Ich wusste, dass Tanzen verboten ist, aber ich habe nichts Schlimmes hochgeladen“, sagte Maedeh Hojabri im iranischen TV.

Ähnliches kennt die Journalistin Massih Alinejad: Sie wurde vor zwanzig Jahren im Iran inhaftiert. Für ihre journalistische Arbeit, in der sie Korruptionsfälle öffentlich machte, wurde sie im Staatsfernsehen zur Schau gestellt. Sie sagt, man muss heute im Iran keine politische Aktivistin sein, um zur Buße im TV gezwungen zu werden. Es reicht schon, frei leben zu wollen.

„Women are the biggest threat for the regime.“ Journalistin Massih Alinejad

Die Demütigung schreckt aber die Wenigsten ab. Für die Instagram-Tänzerin Maedeh Hojabri gab es eine Welle der Solidarität: Amnesty International postete Tanzvideos, Männer und Frauen im Iran und im Ausland tanzen im Internet und laut Reuters berichteten iranische News von drei weiteren Verhaftungen im Iran, alle wegen Tanzvideos.

Auch der Hashtag #dancingisnotacrime zeigt, dass viele Iranerinnen und Iraner nicht mit den strengen Regeln einverstanden sind. Im Koran ist von keinem Tanzverbot zu lesen, trotzdem verbieten es die Gelehrten im Iran. Das System ist gegen persönliche Freiheiten. Aber das ganze Land tanzt, zu Hause, in den eigenen vier Wänden, es gibt heimliche Tanzkurse.

Junge IranerInnen wünschen sich ein anderes Leben

Die Mehrheit der Iranerinnen und Iraner ist unter dreißig Jahre alt, also jung. Ihr Lebensstil ist weit entfernt von dem, was sich der Wächterrat vorstellt. Sie sehen im Internet, was der Rest der Welt erlebt, sie folgen denselben Instagram-Feeds wie wir in Europa. Sie müssen aber alles geheim halten und sind im eigenen Land gefangen.

Besonders gilt das für Frauen: Über die Hälfte aller Studierenden im Iran sind Frauen, doch das Regime hat kein Interesse an ihrer Emanzipation oder Selbstständigkeit. Die meisten von ihnen verlassen daher das Land oder versuchen es. Oder sie träumen ewig davon sich selbst zu verwirklichen. Nach Schätzung der UNO verliert der Iran jährlich 50 Millionen Dollar durch den Brain Drain, also dass junge gebildete Menschen auswandern.

Massih Alinejad sagt: „Women in Iran don’t want to be victimized anymore, that period is gone. Now they are showing their civil disobedience. Let me give you an example: when the government arrested one woman for taking off her hijab, plenty of other women went on the street and put their headscarf on a stick. And now again, when Maedeh Hojabri got imprisoned because of dancing - guess what happened: Many other women repeated her protest act.“

Das beweise den Mut der Iranerinnen und Iraner. „Women think it’s the right time to take their bodies back. And the tactic of arresting people and threatening people is not working“, so Massih Alinejad. Die Verhaftungen der Tänzerinnen, die öffentliche Demütigung im Fernsehen sind laut der Journalistin nur Angstmacherei und sollen von den tatsächlichen Problemen im Land ablenken. Probleme wie Korruption, Missbrauch von jungen Mädchen oder Armut gegen die das Volk schon seit längerem friedlich und mutig ankämpft:

Die Mädchen der Revolutionsstraße, die seit Januar 2018 öffentlich gegen den Schleierzwang protestieren, die grüne Bewegung, die Demonstrationen gegen die steigende Armut und steigende Preise Anfang des Jahres, die diesmal auch die ländlichen Teile des Landes erreicht haben und nicht nur in der Hauptstadt stattfanden – das sind alles Zeichen, dass sich Widerstand regt im Iran.

"This regime is the biggest enemy of happiness and joy.” Journalistin Massih Alinejad

Die jungen Leute benutzen Internet und Handy, um sich eine von den Machthabern getrennte Welt zu schaffen und um Zeichen des Protests zu setzen. Wie es jetzt die mutigen tanzenden Frauen tun. Eine Lockerung, eine Liberalisierung wünschen sich die meisten, die keine Hardliner sind. Die junge Gesellschaft im Iran ist vergleichbar mit einem Vulkan: mit viel religiöser Asche belegt unter der es aber brodelt, und wo vielleicht ein heiß ersehnter Ausbruch bevorstehen könnte.

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