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Die „einfachen Wahrheiten"

Ein Pestausbruch unter Schafen und Ziegen bringt in Bulgarien einige Verschwörungstheorien hervor.

Von Todor Ovtcharov

Die Gendarmerie hat die Straßen versperrt und lässt niemanden rein. Menschen in Spezialanzügen besprühen Autos mit irgendwelchen Chemikalien. Ganze Dörfer werden desinfiziert. Die Bilder erinnern an einen Hollywoodfilm, in dem ein Terrorist eine Biowaffe gestohlen und versucht hat, die Welt zu verseuchen. Es wird aber kein Film gedreht. In einer entlegenen bulgarischen Region wurde die Pest bei den Schafen und Ziegen festgestellt. Damit sich die Seuche nicht verbreitet, musste eine große Menge von Tieren notgeschlachtet werden. Für ihre Eigentümer ist das eine persönliche Tragöde – viele betrachten ihre Tiere wie Kinder. Das Foto einer weinenden Oma, die ihre Ziege umarmt hat, wurde ein Hit in den sozialen Netzwerken in Bulgarien. Alle politischen Parteien versuchten den Fall für ihre Ziele zu nutzen: Die Regierung sagte, dass alle Betroffenen reichlich kompensiert werden. Die Opposition meinte, dass die Tiere gar nicht krank wären und organisierte Demos gegen ihren Tod. Die so genannten „Patrioten“ hingegen sahen in den verseuchten Tieren den langen Arm ausländischer Geheimdienste.

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Der Fall mit Tierseuche hat viele Verschwörungstheorien hervorgebracht. Mein ehemaliger Mitschüler N. schrieb auf Facebook: „Die Ziegen der Menschen werden getötet, damit sie diese Region verlassen. Genau in diesen Dörfern will die Regierung die Migranten ansiedeln, die aus Deutschland und Österreich zurückgeschickt werden!“ Ich versuche ihm zu erklären, dass das nicht stimmt und das die Ziegen nichts mit den Migranten zu tun haben. N. ist verärgert: „Du hast keine Ahnung, das ist alles ein Plan der links-grünen Liberalen, zu denen du offensichtlich auch gehörst!“ Dann spricht er nicht mehr mit mir. Ich schaue mir sein Profil auf Facebook an. Ich habe N. seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen. Er arbeitet irgendwas, hat zwei süße Kinder und hat einen Kredit aufgenommen, um sich eine Wohnung und einen gebrauchten BMW zu kaufen. Auf den meisten Fotos sitzt er an einem reich gedeckten Tisch und prostet in die Kamera. N. Ist ein gewöhnlicher Mensch. Die Politiker kotzen ihn an. Er identifiziert sich mehr mit den Leuten mit den Ziegen, als mit den politischen Anführern. Hinter deren Worten sieht er nur Täuschung und Lügen. N. sucht die einfachen Wahrheiten. Solche wie die „einfache Wahrheit“, dass die EU ein Übel ist, die zur Brexit geführt hat. Oder die einfachen Wahrheiten von Präsident Trump. Ich würde ihm gerne sagen, dass wir uns gleichzeitig vor „fake news“ und vor den „einfachen Wahrheiten“ fürchten müssen.

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