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Angeklagte im Grazer Gerichtssaal

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Finale im Prozess gegen „Identitäre“

Heute gab es das Urteil im Verfahren gegen mutmaßliche Sympathisanten und Mitglieder der „Identitären Bewegung Österreich“: Freispruch für sämtliche Angeklagten vom Vorwurf der kriminellen Vereinigung und der Verhetzung. Schuldsprüche für zwei Angeklagte wegen Sachbeschädigung bzw. Nötigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung.

Von Maria Motter

Bis zum gestrigen Verfahrenstag war der Ausgang des Prozesses nicht absehbar. Heute gab es einen Freispruch von den Vorwürfen der Verhetzung und der kriminellen Vereinigung im Prozess gegen 17 mutmaßliche Mitglieder und SympathisantInnen der Identitären Bewegung Österreich.

So ruhig es im Gerichtssaal war, als der Richter sein Urteil begründete, umso lauter und heftiger debattierten Richter und Staatsanwalt danach. Die Angeklagten umarmten einander gerade im Foyer, als im Saal das Wort „Benchmark“ in Bezug auf das Verfahren fiel. Inwieweit hat der Richterspruch einen Präzedenzfall geschaffen?

Die Vorwürfe

16 Männer und eine Frau mussten sich am Landesgericht für Strafsachen Graz verantworten. Die Staatsanwaltschaft Graz hatte sie wegen mehrerer Vergehen angeklagt: kriminelle Vereinigung (gegen sämtliche Angeklagte), Verhetzung (gegen elf Angeklagte), Sachbeschädigung sowie Nötigung (gegen einen Angeklagten).

Der Hintergrund der Anklage: Für den Tatbestand der kriminellen Vereinigung muss gegeben sein, dass sich Personen zusammenschließen, um Straftaten zu begehen. Seit 2016 zählt zu diesen Straftaten auch die Verhetzung. Verhetzung ist laut Strafgesetzbuch, wenn jemand öffentlich oder auf eine Art und Weise, wie es vielen Menschen zugänglich wird, zu Gewalt und zu Hass gegen bestimmte Personengruppen aufstachelt. Es muss eine bestimmte Personengruppe sein – definiert durch Religion, durch Herkunft oder Staatsbürgerschaft – gegen die jemand hetzt.

Birgt die Identitäre Bewegung Österreich tatsächlich Gefahrenpotential oder sind ihre Aktionen bloß Teil des politischen Diskurses? Welches Generalziel verfolgt die „Identitäre Bewegung“? Das sind die Fragen, die der Richter in diesem Verfahren klären wollte.

Anklage und Verteidigung

Die Angeklagten verteidigten sich bei ihren Einvernahmen unisono: Ihre Aktionen seien dezidiert gewaltfrei und immer friedlich gewesen. Die „Identitäre Bewegung Österreich“ stelle „eine friedliche und patriotische Möglichkeit dar, sich zu äußern“ sagte einer der Hauptangeklagten. Eine Aussage wie „Multikulti stoppen“ könne er nicht als verhetzend empfinden, sagte der zweite Hauptangeklagte. „Holen wir unser Land zurück“ schrieben auch die FPÖ und die SPÖ, äußerte sich wiederum der erste Hauptangeklagte.

An einem früheren Prozesstag ging es um ein handschriftliches Dokument. Der Staatsanwalt las einen Text vor, in dem es hieß: „Es ist Krieg, ein Kampf bis aufs Messer, um jede Straße, um jede Stadt, jedes Land“. Dazu verteidigte sich der Hauptangeklagte, er brainstorme öfter in pathetischem und emotionalem Ausdruck. Verwerflich fände er das nicht und Wörter wie „Krieg“ und „Kampf“ will er nicht als Gewalt verstanden wissen. Die Identitären seien patriotisch, nicht rechtsextrem, wies einer der Angeklagten die Einschätzung des Verfassungsschutz zurück. Die Verfasser des Verfassungsschutzberichts seien tendenziös, mutmaßte ein Angeklagter bei einer Einvernahme. Der Richter schlug daraufhin das Vorwort zum Verfassungsschutzbericht 2017 auf, wo ein Porträtfoto des Innenministers zu sehen war: „Kickl ist nicht wirklich ein Linksradikaler“, so der Richter.

Heute, Donnerstag, reagierte der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer auf den Vorwurf von Beobachtern des Prozesses, hier käme mit dem Vorwurf des Vergehens der kriminellen Vereinigung der „Mafia-Paragraf“ zur Anklage: „Das ist Unsinn! Der Gesetzestext wurde modifiziert, weil jeder heute ein Medienunternehmer sein kann.“

So blieb der Staatsanwalt bei seinen Vorwürfen: Die Angeklagten würden undifferenziert die Gruppe der Muslime, der Ausländer sowie türkische Staatsbürger als Terroristen darstellen, daher handle es sich um Hetze. Er wandte sich an die Angeklagten mit den Worten: „Sie sind Angehörige der Bourgeoisie, die hier ein bisschen Bürgerkrieg spielen“ und „Sie nennen sich Front von Patrioten. Sie sind für mich eine Front von Feiglingen.“ Der Ankläger betonte die Struktur der Identitären Bewegung Österreich: Für ihn stelle sie sich so dar, dass die Führung die Aktionen plane und das „Fußvolk“ diese umsetze.

Der Verteidiger der Angeklagten hatte auf Freispruch plädiert. Polemisch und aktionistisch seien die Aktionen seiner Mandanten, doch niemals Verhetzung. „Es wird nicht auf Flüchtlinge losgegangen. Wer das tut, ist nicht mein Freund. Niemand von der IB hat was gegen Flüchtlinge, niemand von der IB richtet sich gegen Flüchtlinge“, so Verteidiger Bernhard Lehofer im Schlussplädoyer. Seine Mandanten seien nicht vor einem Flüchtlingsheim gestanden, sie hätten sich ein legitimes Ziel für ihren Protest gesucht.

Angeklagte im Grazer Gerichtssaal

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Das Urteil

Für den Richter ist die Identitäre Bewegung Österreich im Kernbereich legal. Die Verhetzung sei zwar „unstrittig“, aber ausschlaggebend für eine Verurteilung wegen des Vergehens der kriminellen Vereinigung und der Verhetzung wäre die Eindeutigkeit der Äußerungen. Sind mehrere Auslegungen möglich, heißt es im Zweifel für den Angeklagten. Die Äußerungen der Identitären sind mehrdeutig, sagt der Richter damit. Er verweist auf befragte Zeugen einer Störaktion an der Uni Klagenfurt. Die hätten nicht eindeutig gewusst, worum es den Identitären mit dieser Aktion ging und deren Botschaften unterschiedlich interpretiert.

Gefundene Schriftstücke, um die es an den Prozesstagen ausführlich ging, ordnet der Richter als Konzeptpapiere mit durchaus martialischen Ausdrücken ein – doch es hätte keinen Hinweis gegeben, dass diese Texte als Reden vorgetragen worden wären. Auch die anderen Aktionen der Identitären wertete der Richter nicht als Verhetzung – denn Rhetorik gegen „Asylwahn“ oder den politischen Islam fänden sich auch im politischen Diskurs.

Aus allen diesen Gründen sprach der Richter die Angeklagten heute vom Vorwurf der kriminellen Vereinigung frei. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Einiges deutet darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft dagegen berufen wird.

Im Prozess kam auch die Sprache auf die finanziellen Mittel der „Identitären“: 704.000 Euro sollen sie von 2012 bis 2017 eingenommen haben, eingerechnet sind die Einnahmen des Onlineshops der „PHXE Creatives OG“. Von 13.400 Euro im Jahr 2014 hätten sich die Einnahmen auf 471.000 Euro im Jahr 2017 erhöht - verteilt waren die Gelder auf über 30 Konten, bis die Banken diese aufkündigten. Inwieweit die Geldflüsse legal sind, ist Gegenstand weiterer Ermittlungstätigkeit und an anderer Stelle zu klären, so das Schlusswort des Richters.

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