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Nelson Mandela 1990

WALTER DHLADHLA / AFP FILES / AFP

Buch

Neben und mit Nelson Mandela aufwachsen

Nelson Mandelas Enkel Ndaba Mandela begegnet seinem Großvater zum ersten Mal mit sieben im Gefängnis. Mit elf zieht er zum Großen Alten Mann und erlebt die Weltgeschichte hautnah mit.

Von Irmi Wutscher

Mitte Juli wäre Nelson Mandela 100 Jahre alt geworden. Viele Medien und AutorInnen haben es zum Anlass genommen, sich dieser großen Figur der Weltgeschichte zu widmen. Auch Barack Obama hat ihm in einer Rede gedacht. Zahlreiche Bücher über Mandela oder Veröffentlichungen seiner Schriften erscheinen dieses Jahr.

Passend zu diesem runden Geburtstag sind auch die Memoiren von Ndaba Mandela erschienen. Der Enkel von Nelson Mandela ist dem „Alten Mann“, wie er in dem Buch tituliert wird, zum ersten Mal in dessen Baracke im Gefängnis begegnet:

Buchcover "Mut zur Vergebung"

Dumont Verlag

„Mut zur Vergebung“ von Ndaba Mandela ist im Dumont Verlag erschienen. Übersetzung: Katja Hald, Heide Lutosch, Elsbeth Ranke.

Als ich meinen Großvater zum ersten Mal traf, war ich sieben und er einundsiebzig. In meinen Augen, wenn auch nicht in den Augen der Welt, war er ein alter Mann. Natürlich hatte ich unzählige Geschichten über den Großen Alten Mann gehört, aber ich war ein Kind und diese Geschichten hatten für mich nicht mehr mit der Realität und mir selbst zu tun, als die alten Volksmärchen, die meine Großtanten, Großonkel und alle anderen Leute in der Nachbarschaft erzählten.

Das war 1989, Nelson Mandela ist zu diesem Zeitpunkt seit 25 Jahren im Gefängnis. Seit zwei Jahren hat Mandela da im Gefängnis schon einen eigenen Bungalow, auch eingerichtet in der Hoffnung, mit diesen Annehmlichkeiten und den Besuchen der Familie seinen Kampfgeist zu brechen. Für Ndaba, das Kind aus dem Township Soweto bei Johannesburg ist die Hütte eine Luxusvilla.

Ich war so beeindruckt von dem Haus, dass ich das nächste Mal, als mich jemand fragte: Was möchtest du machen, wenn du groß bist?“, antwortete: „Ich will ins Gefängnis“.

Eine Kindheit als Mandela

Ndaba Mandela und andere Familienmitglieder sind in den Achtziger Jahren ständig umgezogen, denn jeder mit dem Namen Mandela war Schikanen ausgesetzt. Auch die Beziehung der Eltern ist turbulent. Ndaba lebt an vielen verschiedenen Orten, bei den Eltern, teilweise getrennt, bei den Großeltern, anderen Verwandten, in verschiedenen Städten. Viele Gedanken macht sich der kleine Ndaba darüber nicht.

Ich war ein cleverer kleiner Junge mit einem wachen Verstand und viel Fantasie, habe aber nie wirklich begriffen, dass meine Familie das Zentrum eines global politischen Flächenbrands war. Ich wusste nicht, weshalb man mich andauernd von einem Ort an den nächsten brachte, oder dass mich die Leute aufnahmen oder wegschickten, liebten oder hassten, weil ich ein Mandela war.

Nicht immer gibt es genug zu essen, oder genug Platz, wo Ndaba wohnt. Dass das Haus seiner Großmutter Winnie Mandela im Township Soweto heute ein Museum ist, wo Tourist_innen sich anschauen, wie die Familie Mandela in den Achtzigern eingepfercht gehaust hat, befremdet ihn, schreibt Ndaba Mandela an einer Stelle im Buch.

Einziehen beim Großvater

Mit diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der kleine Ndaba erst mal skeptisch ist, als 1993 vor seinem Haus ein Chauffeur hält und sagt, er komme vom Präsidenten des ANC und Ndaba solle mitkommen. Er hat seinen Großvater seit dem Gefängnisbesuch nicht mehr gesehen. Erst als sein Vater nach Hause kommt, und ihm sagt, er soll das nächste Mal mit dem Mann im BMW mitfahren, willigt Ndaba ein. Ohne zu wissen, ob er ein paar Tage oder längere Zeit bei seinem Großvater sein soll.

Auch um verlorene Zeit mit seinen eigenen Kindern wieder gut zu machen, nimmt Nelson Mandela seinen Enkel bei sich auf. Zunächst sieht sich Ndaba im Luxus: nach dem teilweise kargen Leben zuvor ist er froh, dass es regelmäßig Essen gibt, dass er ein eigenes Zimmer, neue Klamotten und einen Fernseher hat. Das Ganze hat aber einen Preis. Der Alte Mann ist sehr streng: er verlangt gute Noten und legt besonderen Wert auf ein aufgeräumtes Zimmer. Auch Mädchen darf Ndaba keine mitbringen, solange er nach der afrikanischen Tradition noch kein erwachsener Mann geworden ist. Das führt zu Konflikten und so weit, dass Ndaba in der Pubertät sogar auszieht und wieder eine Zeitlang bei seinem Vater wohnt.

Ndaba Mandela mit Schulkindern 2011. Sie halten Happy Birthday-Schilder hoch zum 93. Geburtstag von Nelson Mandela

STEPHANE DE SAKUTIN / AFP

Ndaba Mandela (2.v.l.) 2011 mit Schulkindern, die Nelson Mandela zum 93. Geburtstag gratulieren.

Annäherung im Kampf gegen AIDS

Später gibt es eine erneute Annäherung. Ndaba erkennt, dass Werte wie Bildung und Engagement, die sein Großvater immer hoch gehalten hat, doch nicht so schlecht sind. Großvater und Enkel finden wieder zusammen im gemeinsamen Kampf gegen AIDS, auch weil beide Eltern von Ndaba an dieser Krankheit sterben.

Nelson Mandela entschließt sich 2005, nach dem Tod seines Sohnes, Ndabas Vater, das Tabu zu brechen und dessen AIDS-Erkrankung öffentlich zu machen. Zu dieser Zeit ein Tabubruch, der zu großer Diskussion im Familienkreis führt:

Jeder von uns hatte eine andere Vorstellung, was gesagt werden sollte:
„Es geht niemanden etwas an – das ist unsere Familienangelegenheit. Wann wurde je ein weißer Präsident über seine privaten Familienangelegenheiten ausgefragt?“
„Man stirbt nicht an HIV. Man wird nur schwach davon. HIV tötet das Immunsystem.“
„Genau. Man stirbt an einer Lungenentzündung. Oder an Tbc. Wir könnten Tbc sagen.“
“Nein“ bellte der Alte Mann, und im Raum wurde es schlagartig still. „Das werden wir nicht sagen. Wir werden sagen, dass er an AIDS gestorben ist. Lasst uns aufhören, um den heißen Brei herumzureden. Wir müssen das Stigma bekämpfen anstatt es zu verfestigen.“

HIV und AIDS soll der letzte große Kampf seines Großvaters im Leben werden, schreibt Ndaba Mandela am Ende des Buchs. Auch Ndaba selbst wird zum politischen Aktivisten, auch, aber nicht nur gegen AIDS. Er gründet mit seinem Cousin die Stiftung Africa Rising, die die Entwicklung des Afrikanischen Kontinents voranbringen will.

Das Leben neben einer historischen Figur

Die Geschichte Nelson Mandelas und der Befreiung Südafrikas von der Apartheid liest man besser woanders nach. Ein guter Anfang wäre zum Beispiel Nelson Mandelas Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“. Ndaba Mandela kann aber gut davon erzählen, wie es Menschen geht, die an der Seite von so großen historischen Figuren leben. Welche Konflikte das bringt, welche Lebensweisheiten man mitbekommt und wie man schlussendlich selbst an der Weltgeschichte teilhaben kann.

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