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Schapka bei ihrem Auftritt auf der Bühne eines Getränkeherstellers

Chris Stipkovits

Am Popfest wird’s politisch

Am zweiten Popfest-Tag stellt eine Band alle anderen in den Schatten und einen Getränkekonzern an den Pranger: Шапка (Schapka).

Von Christian Pausch

Doch alles nach der Reihe. Eröffnet wird die Seebühne am Karlsplatz an diesem zweiten Festivaltag von einer in mehrerer Hinsicht frischen Band: Pauls Jets. „Das hier geht raus an alle jungen Bands“, ruft Sänger Paul in die Menge und meint damit auch seine eigene Truppe. Die Songs des Trios heißen „Ich will dich lieben, Baby“ oder „Üben Üben Üben“. Der Schlagzeuger trägt ein Beatles-Shirt und Paul ein Hochhaus als Anzug, oder umgekehrt.

„Wer will schon ins Theater gehen, wenn man aufs Popfest gehen kann.“, lautet eine Zwischenansage und es stimmt: was uns von Pauls Jets geboten wird ist großes Theater mit großer Gestik. Es wird sich auf den Boden geschmissen, auf unangeschlossene Keyboards eingehämmert und es kommen spontane Gast-Solisten auf die Bühne. Die Schlagerszene könnte hier in Sachen Playback noch einiges lernen, aber auch in Sachen Dramaturgie und Poetik.

„All my friends are gone“

Diese von der nächsten Band vorgetragene Songzeile kann nur ironisch gemeint sein. Denn auf der Bühne steht das Duo Ash My Love heute ganz und gar nicht ohne Freund*innen da. Sie haben sich nämlich ein fast zwanzig-köpfiges Stimm- und Klatsch-Orchester mitgenommen: The Clapping Orchestra Of Joy. Eindeutig ein Highlight zu so früher Stunde, es ist erst 18.30Uhr als Ash My Love die Seebühne bespielen. Kinder und Erwachsene tanzen zu den bluesigen Rock-Rhythmen der Band und es ist eine Freude dem extra für das Popfest zusammengestellten Orchester beim Performen zuzusehen.

„Feminism is not a radical theory against men“

Schauplatzwechsel. Von der großen, alles überblickenden Seebühne geht es zur zweiten Outdoor-Bühne, der viel kleineren Red Bull Music Stage. Doch was hier gleich geschehen wird, ist größer als alle anderen Konzerte, die im Laufe des Abends noch kommen sollen. Шапка (Schapka) heißt die vierköpfige Band, die sich kein Blatt vor den Mund nimmt, nicht in ihren Texten und schon gar nicht wenn es um ihre politische Einstellung geht, was bei Schapka meist ein und dasselbe ist.

Schon nach dem Einstiegssong - ein Lehrstück über Feminismus - entrollen die vier Musiker*innen ein Transparent auf dem zu lesen ist: „Wir sind Propaganda, aber nicht für Rechtspopulisten“. Schapka haben sich ganz genau überlegt, von wem ihre Bühne hier am Popfest gesponsert wird und wie sie damit umgehen sollen. Für ihr Konzert haben sie Fakten über den Großkonzern Red Bull, seinen Gründer Dietrich Mateschitz und firmennahe Menschen wie Felix Baumgartner zusammengetragen.

Mehrere andere Bands, klären uns Schapka auf, hätten sich geweigert auf dieser Bühne zu spielen, nachdem DJ ReSista im Mai öffentlich Kritik an Acts geäußert hat, die bei einem Festival des Getränkeherstellers aufgetreten sind. In den Songs von Schapka geht es unter anderem um Scheidensekret, Sexarbeit und Queerness. Die Symbiose zwischen Politik und lauter, sehr guter Punk-Musik wird bei dieser Band gelebt und zelebriert. Das Publikum buhte bei den vorgetragenen Fakten und jubelte nach jedem Song - so geht Aufklärung! So geht Punk!

„Was soll das heißen: ‚identitär‘?“

Kurz herrscht angespannter Stillstand nach dem famosen und radikalen Auftritt von Schapka, denn was soll da noch kommen? Doch das Popfest bleibt nicht stehen und auf der Hauptbühne haben schon Kreisky Stellung bezogen. Dass sie politisch bei ihrer Vorgruppe stehen, beweisen sie gleich im ersten, gänzlich neuen Song „Takeover“. Dort singen sie: „Was soll das heißen ‚identitär‘? Das sind Nazis, das ist Abschaum, so haben wir dich nicht erzogen.“

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Frontman Franz Adrian Wenzl zeigt uns seinen Hüftschwung, es werden Songs aus dem diesjährigen Album „Blitz“ vorgetragen und gegen Schluss hin natürlich auch alte Hits wie „Vandalen“ gespielt, ein Song, der tatsächlich schon elf Jahr alt ist.

„Wir sind nicht grantig, wir freuen uns“

Headliner auf der Seebühne sind allerdings Aivery. Es ist eindeutig ein Tag der Frauen, dieser zweite Popfest-Tag. Aivery, die einst so DIY geklungen haben, haben nun einen reichen und vollen Sound. Es gibt keine großen Zwischenansagen, bei diesen Musikerinnen zählt einzig und allein die Musik. Gitarre, Stimme, Schlagzeug, Bass - diese einfache Besetzung ist das Erfolgsrezept der Band, die aus diesen vier Zutaten die schmackhaftesten Rocksongs komponiert. Courtney Love hätte ihre Freude.

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Hinter Aivery, und somit genau im Blickfeld des Publikums, entladen sich dutzende Blitze über dem Wiener Nachthimmel, doch das Gewitter soll den Karlsplatz heute nicht erreichen, es bleibt zum Glück bei der natürlichen Lichtshow, die dem Konzert des Trios eine gesunde Prise Dramatik verleiht. Im neu vorgetragenen Song „Not Sorry“ geht es „darum, dass man sich nie was scheißen soll“, sagt Sängerin Franziska und fügt hinzu: „Es ist eine Ehre, Schapka zu kennen.“

„I’m the female version of a hustla“

Sie habe gehört, dass Rapper immer Securities und Tänzerinnen haben, deshalb hat sich auch AliceD für diesen Auftritt welche besorgt. Die junge selbsternannte Gangsterrapperin füllt um Mitternacht den TU Prechtlsaal. Auf ihrem Shirt prangt Britney Spears und aus dem Publikum schallen AliceD-Sprechchöre. Diese Musikerin ist jetzt schon ein Star.

„Ich mache nichts so, wie es andere machen.“, sagt AliceD schmunzelnd ins Mikrofon, bevor sie ihre neue EP „Ubahnschachtromantik“ in ganzer Länge vorstellt. Auf der rappt sie zum ersten Mal auf deutsch und die Zuschauer*innen flippen aus. Auch AliceD gibt ihrem verschwitzten Publikum - wie schon zuvor Aivery - den Rat, man solle „immer darauf scheißen, was andere von dir halten“ und covert zum Abschluss „Bad Reputation“ von Joan Jett.

Die Menschen verstreuen sich mit diesem Ohrwurm im Kopf in alle Richtungen, viele bleiben noch, um Monophobe und Mala Herba zu sehen, andere ruhen sich für Samstag aus, den bereits dritten Popfest-Tag.

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