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Orange Is The New Black

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Darum sollten wir alle „Orange Is the New Black“ feiern

Nach dem Aufstand in Litchfield geht es in Staffel 6 für die Insassinnen in ein neues Gefängnis. Darüber, was diese Serie seit Anbeginn so besonders und für unsere Zeit so relevant macht.

Von Jan Hestmann

Sie ist eine der erfolgreichsten Serien des Streaming-Anbieters Netflix und wird auch nicht selten als eine der besten Serien in dessen Sortiment aufgezählt: „Orange is the New Black“. Dennoch, die letzte Staffel bekam auch einiges an Kritik ab. Staffel 5 drehte sich ausschließlich um einen großen Aufstand der Inmates, der die bis dahin gekannte Ordnung der Knast-Gemeinschaft zertrümmerte. An sich eine vielversprechende Ausgangslage, die Handlungsstränge verliefen sich aber nach einiger Zeit, der Aufstand wirkte bald zu langgezogen, die Episoden etwas langatmig. Selbst Serien-Schöpferin Jenji Kohan meinte einmal öffentlich, dass das keine besonders gute Staffel gewesen sei.

Nun ist also Staffel 6 da. „This is a whole new World“ lautete schon der Slogan im ersten Teaser. Und genau das ist es auch, was uns erwartet. Der durch den Aufstand erzwungene Umzug in ein neues Gefängnis kommt gut gelegen, um für frischen Wind in der Serie zu sorgen. Neue WärterInnen, neue Zellengenossinnen und neue Regeln bieten jedenfalls endlos Möglichkeiten für neue Nebenschauplätze und neue Intrigen.

Orange Is The New Black

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Neue WärterInnen, neue Regeln

Das Gefängnis als Querschnitt der Gesellschaft

„Orange Is the New Black“ ist 2013 erstmals ausgestrahlt worden und hat damals eingeschlagen wie eine Granate. Dass sich ausgerechnet diese Serie als dermaßen breitenwirkam herausgestellt hat, ist schon gewissermaßen faszinierend wie auch erfreulich. Schließlich beleuchtet sie seit jeher Themen, die im Mainstream auch noch im Jahr 2018 unterrepräsentiert sind. Innerhalb der Gefängnismauern von Litchfield wird eine höchst diverse Sub-Gesellschaft gezeichnet, sei es aufgrund der sexuellen Orientierung der Insassinnen, ethnischer Herkunft, sozialer Klasse oder des Alters.

Die Serie bildet nicht nur oberflächlich eine bunte Gefängnis-Gemeinschaft ab, sie elaboriert sie anhand einer Vielzahl vielschichtiger Charaktere samt deren Background-Stories und leistet damit wichtige Repräsentationsarbeit. Dass es gelingt, dass man tatsächlich auch mit einer Vielzahl an Protagonistinnen mitfiebert, ist ein erzählerisches Qualitätsmerkmal der Serie und macht „Orange is the New Black“ nach wie vor zu einer Ausnahmeerscheinung am Serienmarkt.

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Red fühlt sich von allen hintergangen.

Spannend ist auch zu beobachten, wie sich diese Unterscheidungsmerkmale auf das Zusammenleben im Gefängnis auswirken und wie sich dieses Zusammenleben im Laufe der Staffeln auch verschiebt. So ist die Ausgangslage in Litchfield eine Cliquenbildung nach ethnischer Herkunft. Schwarze sitzen bei Schwarzen, Weiße bei Weißen, Latinas bei Latinas. Weniger äußerlich erkennbare Merkmale wie etwa soziale Klasse spielen im Gefängnis hingegen eine geringere Rolle als in der Außenwelt. So kann es auch einer sozial Schwächeren gelingen, sich zur Gruppenführerin hochzuschwingen. Insofern kann der Knast hier auch als Utopie funktionieren, die die Zwänge der Außenwelt außer Kraft setzt.

Blau vs Beige statt Weiß vs Schwarz

Aber auch die Relevanz ethnischer Zugehörigkeit schrumpft spätestens mit der neuen Staffel. Durch den Umzug ins neue Gefängnis und die Aufspaltung der bis dato existierenden Cliquen entstehen neue Allianzen, die die Hautfarbe weniger berücksichtigen als andere, neue Codes. Unter all den neuen, fremden Insassinnen ist es nun viel wichtiger, wen man hier kennt, wem man vertrauen kann, unabhängig von Herkunft, Alter oder Klasse.

Zusätzlich gibt es im neuen Gefängnis neue Farbcodes: statt den einheitlich orangen Overalls gibt es nun beige und blaue. Und nach diesen Farben formieren zwei sich hierarchisch aufgebaute Fronten. Die Spaltung innerhalb der Gefängnis-Gemeinschaft wird von der Administration bewusst forciert und zeigt vor, wie simpel es ist, rasch Feindbilder entstehen zu lassen, wenn man nur möchte. Generell wirkt die Außenwelt immer mehr auf das Leben im Gefängnis ein. Zusätzlich zu den kleinen Machtkämpfen innerhalb der Mauern spielt ein weit größerer Kampf gegen das System eine immer wichtiger werdende Rolle. Was in Staffel 5 während des Aufstands noch primär ein physischer Kampf war, ist in der neuen Staffel vor allem ein rhetorischer Kampf gegen ein patriarchalisch-rassistisches Justizwesen. Und der ist wesentlich brutaler als alles Bisherige.

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Neues Knastleben: Einzelhaft

Phänomen Piper Chapman: Das „Trojan Horse“

Mit Piper Chapman hat „Orange Is the New Black“ eine sehr ungewöhnliche Protagonistin. Um sie baut sich erst die gesamte Dramaturgie der Serie auf, schließlich basiert die Figur auch auf Autorin Piper Kerman, deren niedergeschriebene Erfahrungen im Gefängnis die Grundlage für die Serie liefern. Gleichzeitig ist die gutbürgerliche Piper Chapman wohl eine der uninteressanteren Figuren der Serie. Und tatsächlich verliert sie auch Staffel für Staffel zunehmend an Relevanz, ihre eigene Geschichte verläuft sich zwischen all denen der schillernden Heldinnen rund um sie, die man, im Gegensatz zu Piper, mehr und mehr lieb bekommt.

Das ist durchaus ein Glücksfall für die Serie, tatsächlich aber auch nicht ganz ungewollt. Die Serienmacherin Jenji Kohan selbst hat die Figur Piper Chap als „Trojan Horse“ bezeichnet. Das soll heißen, ihre Funktion ist es gewesen, ein möglichst breites Publikum in die Serie reinzuziehen, sprich es in die diverse Gefängnis-Gesellschaft reinzuziehen. Was es über unsere Gesellschaft sagt, dass es eine weiße, gutbürgerliche Frau in einer Hetero-Beziehung braucht, um eine Serie möglichst breitenwirksam zu lancieren, ist die andere Sache. Der Plan ist jedenfalls aufgegangen.

Die Entwicklung der Figur Piper Chapman ist im Vergleich zu den anderen Figuren so schwach ausgeprägt, dass man sich spätestens nach den ersten paar Staffeln aber auch fragen muss, warum sie überhaupt noch so viel Screentime bekommt. Ihre Auftritte scheinen mehr und mehr redundant und ihre Motivation teils auch nicht ganz schlüssig. Auch in Staffel 6 bekommt man dieses Gefühl leider nicht ganz los. Es wirkt ganz so, als würde das „Trojan Horse“ Piper Chapman ein bleibender Ballast für die Entwicklung der Serie sein.

Die Neuen aus Staffel 6: Badison & Daddy

Unumstritten ist die Qualität, mit der „Orange Is the New Black“ eine Vielzahl an Protagonistinnen entwickelt, eine der größten Stärken der Serie. Diese Qualität muss sich nun in Staffel 6 aufs Neue beweisen und tut das auch. Weit oben in der neuen Hierarchie befinden sich die beiden Charaktere Madison „Badison“ Murphy und Daddy („Nobody fucks with Daddy’s girls!“), jeweils eine Vertreterin der verfeindeten Fronten im neuen Gefängnis.

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Mastermind der beigen Fraktion: Daddy

Während Badison nach den ersten Episoden in erster Linie zum Unterhaltungs- und Spannungsfaktor beiträgt, ist der Serie mit Daddy wieder ein nuancierter Charakter gelungen, der die Bandbreite an Figuren nochmals sinnvoll erweitert. Das Entdecken neuer Lebensgeschichten ist auch nach fünf Staffeln und unzähligen etablierten starken weiblichen Kultcharakteren immer noch ein großes Vergnügen und das ist „Orange Is the New Black“ hoch anzurechnen.

Seit der Erstausstrahlung 2013 ist zum Glück am Serienmarkt schon viel Gutes in Richtung Entertainment-Emanzipation passiert. Als aktuelles weiteres Beispiel könnte man die Wrestlerinnen-Serie „Glow“, aber auch viele viele andere nennen. „Orange Is the New Black“ ist hier aber so etwas wie ein Flaggschiff und hat sich seine hohe Relavanz im Serienuniversum mehr als verdient. Weiterschauen ist daher dringend empfohlen. Und es ist auch schon eine siebente Staffel geplant. Danach soll laut Jenji Kohan aber Schluss sein, auch wenn es rein theoretisch ewig weitergehen könnte.

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