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Lukas Lauermann in der Karlskirche

Franze Reiterer

Popfest

Die Politik des Pop

Schöne Zeilen in Karlsgarten und Karlskirche: Der letzte Abend am Wiener Popfest mit Lyrik, Diskurs, einer besonderen Sonntagsmesse.

Von Lisa Schneider

Es ist bald vorbei, es ist der letzte Tag und vielleicht ist deshalb der vierte auch oft der beste Festivaltag: Weil es hier noch den letzten Schub Musik und Atmosphäre abzuholen gilt, die der Alltag am folgenden Tag wieder verschlucken wird.

Lyrik & Lyrics am Popfest

Es ist gute Popfest-Tradition, dass der letzte Abend mit einer „Sonntagsmesse“ in der Karlskirche endet, zum Runterkommen, Gedanken verarbeiten. Was besonders schön war am heurigen Popfest ist nicht nur das erneute Ausloten von Genregrenzen, sondern auch von Kunstgattungen: ein Text ist ein Text, in der Dichtung wie in der Musik. Also haben Katharina Seidler und Der Nino Aus Wien im Karlsgarten eine Lyrik-Bühne aufbauen lassen, wo nach dem Wiener Beschwerdechor Verena Dürr, Thomas Frechberger, Natalie Ofenböck und Clemens Denk gelesen haben - Stefanie Sargnagel musste ihren Auftritt leider kurzfristig absagen, für sie ist Puneh Ansari eingesprungen.

Mit sehr guten Wortkreationen wie „Gummistiefeltrommel“ oder „Kitzelkatze“ werden hier Geschichten erzählt: von einsamen Seefahrern und Kalligraphen, von tschechischen Städtenamen und von Küken, die am lautesten piepen können. Innerhalb der Lesungen variiert die Form: Clemens Denk ist ein Geschichtenerzähler, Natalie Ofenböck nimmt mehr Bezug auf Emotion, auf das innere Ich, „ich vermisse mich“. Wie auch im musikalischen Programm sind hier unterschiedliche, sehr persönliche Zugänge zum Schreiben vertreten; spinnt man die Gedanken zurück ins musikalische Wochenende, umso spannender wäre es gewesen, manche dieser Zeilen auch vertont zu hören.

Danach wird das Publikum wieder zurückgeschickt auf den Karlsplatz, direkt hinein in die Karlskirche. Die Schlange ist schon sehr lang, wie jedes Jahr. Die Möglichkeit zu sehen, was gleich passiert, ist rar. Bands an Orte zu holen, die sich vielleicht der perfekten Akustik verweigern, die sie anders verorten als im Club, wo sie sonst spielen. Diese Idee zieht sich nicht nur an diesem letzten Tag durchs Popfestprogramm, sie ist heuer auch ganz besonders gut mit der neuen Venue Theater Akzent in der Argentinierstraße umgesetzt worden. Nach Felix Kramer hat dort Alicia Edelweiss einen der berührendsten, intimsten und gleichzeitig unterhaltsamsten Auftritte des ganzen Popfests gespielt.

Gemeinsam mit Alicia Edelweiss auf der Bühne gestanden ist Lukas Lauermann, und in der Karlskirche, am letzten Abend, wird er das Grande Finale des heurigen Popfests eröffnen. Lukas Lauermann ist der wohl vielbeschäftigtste Cellist Wiens, manche kennen ihn von der Band „A Life, A Song, A Cigarette“, andere von seinen unzähligen - auch klassischen - Projekten. „How I Remember Now I Remember How“ hat er sein letztes Album genannt, gestern gibt es Auszüge daraus zu hören.

Politische Statements auch am vierten Festivaltag

Es ist ein ganz eigenes Gefühl, auf den Holzbänken zu sitzen, in die Apsis zu schauen, dorthin, wo Lukas Lauermann seine gestrichenen, dann geloopten Töne hinschickt, um dann die Saiten zu zupfen. Die einzelnen Stücke sind lang, eigentlich ist es ein Stück: Ohne Applaus als Unterbrechung spielt er die erste halbe Stunde durch, um sich dann seines Publikums erstmals direkt anzunehmen. „Ich habe schon oft hier spielen dürfen, auch beim ersten Mal schon. Es hat immer eine tolle Stimmung geherrscht. Keine Absperrungen vor der Bühne, keine Zäune und Gitter und scheinbar unsichtbare Securities, keine Ausschreitungen. Das soll man feiern. Allerorts werden Zäune sonst wieder aufgestellt und Menschen ertrinken, weit weggeschoben von unserem schönen Leben hier. Veranstaltungen wie das Popfest sind dafür da, Kraft zu tanken. Dafür, dass wir es uns bewahren können, wie gut es uns geht, und wir gemeinsam feiern können. Und andererseits dafür, dass jeder und jede es auch anderen ermöglicht. Es tun andere sicher viel mehr als ich - es gibt auch für mich viele Situationen, wo ich das noch ändern könnte.“

Während dieser vier Tage Popfest hat sich nicht nur die gemeinsame Leidenschaft für Musik unter den BesucherInnen entsponnen, es ist auch ein Diskurs entstanden, hervorgerufen (auch) von politischen Bühnenansagen der Bands. Schapka haben am zweiten Abend mit ihrem Auftritt, einer Parole gegen den Konzern Red Bull, gegen identitäres Gedankengut, wachgerüttelt. Kreisky sind nachgezogen, genauso wie viele weitere Bands in Folge, Aivery etwa werden später bei ihrem Headline-Slot auf der Seebühne anmerken, dass sie stolz sind, Schapka zu kennen. Esrap besingen ihre „Tschuschenherkunft“, ebenfalls laut, ebenfalls auf der Hauptbühne, der umstrittene Kroko Jack rappt „Kein Mensch ist illegal“.

Gemeinsam sein am Popfest

Gesinnung und Musik hält Publikum und auftretende KünstlerInnen hier zusammen; Genauer noch, die Popmusik. Es hat sich, gerade auch im letzten Jahrzehnt (das Popfest zählt mittlerweile neun Jahre) viel verändert in der Diskussion darüber, was Pop ist, und was er darf. Der Begriff ist schon um die Jahrtausendwende extrem, aber auch danach immer dehnbarer geworden. Das Wiener Hiphop-Duo Kreiml & Samurai erzählt über den Popaspekt in ihrer Musik: „Pop ist ein Begriff, der viel heißen kann. Was im Endeffekt Pop ist, entscheidet das Publikum. Wenn sie unsere Musik jetzt für Pop halten, ist das total okay für mich, es ist ja kein Schimpfwort mehr, wie es in Zusammenhang mit Kommerzialisierung vor einigen Jahren noch so war.“

Alles kommt immer wieder, jeder Trend, und das ist ein Grundbestandteil des Pop. Das Bluesrockduo Ash My Love sieht’s pragmatisch: „Wenn man Pop als etwas denkt, dass immer wiederkehrende Elemente drin hat - weil Pop verwurschtet in Wirklichkeit ja alles, was schon einmal war, ja, dann sind wir auch eine Popband.“

Das Ende vom Finale in der Karlskirche

Auch die junge Wiener Künstlerin Farce schreibt Pop; ohne analoge Instrumente, nur mit Laptop an ihrer Seite. Der Hall im Kirchenschiff dient ganz ihrer Sache, die Wörter, sie sind nicht wirklich zu verstehen, weil so dicht mit Soundeffekten beladen - man versteht einzig, dass hier jemand singt. Ein fast hypnotischer Akt, den Battle-Ax alias Beatrix Curran an der Bratsche fortsetzt. Eine kurze, experimentelle Elektronik-Performance, die auf das vorbereitet, was noch kommt: kurz nach elf Uhr, als musikalischer Abschluss des heurigen Popfests, steht Andreas Spechtl auf der Bühne.

Letztes Jahr hat Andreas Spechtl sein Soloalbum „Thinking About Tomorrow, And How To Build It“ veröffentlicht. Er hat einen Winter im Teheran verbracht und die Songs dort aufgenommen. Hat dort Abstand zu zuhause - mittlerweile Deutschland - gefunden, und Hoffnung: In der Zukunft liegt die Möglichkeit.

„Welcome to the church of Antifa“ sind seine begrüßenden Worte, bevor er sich, von einer Saxophonistin unterstützt, hineinstürzt in ein Set voll surrender Elektronika, tröpfelnden Beats, Noise-Schreddereien und langsamer Erzählstimme. Die großen Boxen ächzen und knacksen immer wieder, das passt gut so. „I was talking to a witness“, singt Spechtl, nur, dass ihm die Zeugin über die großen Fragen der Menschheit nichts verraten wollte.

Es ist kein gemütliches Sonntagskonzert, kein Dahindösen, eher eine angenehme Anstrengung, Spechtls Gedanken zu folgen. Selbst, wenn er in gut der Hälfte des Sets gar nicht singt. Wenn er es tut, ist es durchaus ebenfalls politisch zu verstehen: „The greater the distance, the clearer the view“ - weit weg von dem, was im eigenen Land passiert, registriert man endlich, dass sich etwas ändern muss. Die folgende Aufforderung formuliert sich da wie von selbst: „If you’re afraid of Dunkelheit, turn on the light.“ Und nicht nur das, als „Children of the Light“ bezeichnet Spechtl sich selbst, das Publikum, die Welt. Das Handeln müssen ist oft das Schwierige, und Spechtl setzt das Zögern musikalisch um, schreddert dahin auf tausend Knöpfen, der Rhythmus zerstreut sich, es gibt keine eindeutige Richtung mehr, es ist vorbei.

Zum zweiten Teil des Sets betritt erneut Lukas Lauermann die Bühne, er unterstützt Andreas Spechtl am Cello. Das ist sein dritter Auftritt an diesem Popfest-Wochenende: Er hat den hervorragenden Folkpop von Alicia Edelweiss live unterstützt, er hat seine eigene Mischung aus Klassik und Noise in der Karlskirche präsentiert, jetzt schmiegt sich sein Cellospiel hinein in die sperrig-minimalistische Elektronik Spechtls. Lukas Lauermann ist damit ein Künstler, der Pop hier am Popfest in seiner bestmöglichen Form verkörpert: zu finden in den kleinen, guten Details und der deshalb auch das Publikum, egal welchen Geschmacks, zusammenbringt und zusammen feiern lässt.

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