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Sexualität ist nicht die Antwort aller Fragen

Ida Bauer war wohl nicht Freuds Lieblingspatientin, doch einer seiner berühmtesten Fälle. Katharina Adler, die Urenkelin Idas, hat einen Page-Turner geschrieben, der Sigmund Freud auf eine Nebenrolle verweist.

Von Maria Motter

Mit Verlaub: Es gibt Unterhaltsameres als die Schriften Sigmund Freuds. Der Begründer der Psychoanalyse notierte Fallbeispiele, in denen er ausführlich über seine PatientInnen und deren Behandlungen schrieb. Zu „Dora“ hält Freud in „Bruchstück einer Hysterie-Analyse“ Hypothesen zu erogenen Zonen, Bisexualität und Hysterie fest, sowie zur Übertragung. Ein „Bruchstück“ ist das Werk geblieben, weil die Patientin die Behandlung beim Herrn Doktor abgebrochen hat. Freuds „Dora“ war in Wirklichkeit Ida Bauer.

Sie ist gerade mal 18, als ihr Vater sie zu Freud schickt und die schwere Holztür zu Sigmund Freuds Praxis in der Wiener Berggasse 19 hinter ihr ins Schloss fällt. Ausgerechnet eine junge Frau tritt an, Verhältnisse und die Verhältnismäßigkeit in Frage zu stellen!

In ihrem Roman rollt Katharina Adler den Fall „Dora“ von der anderen Seite auf: „Ida“ ist der Titel eines historischen Romans und die Autorin ist die Urenkelin Ida Bauers. Mit „Ida“ tun sich ein Frauenleben und eine Familiengeschichte auf, die mehr als ein halbes Jahrhundert so en passant erzählt. Der Roman ist so lebendig geschrieben, als laufe man direkt neben Ida her – durch ein längst verlorenes Wien, am Hafen in New York und als Kind durchs Domizil in Meran. Das Herz geht einem auf, wie hier scheinbar mühelos ein Gesellschaftsporträt geboten wird.

Der eigentliche, einstige Affront bleibt aus: Dass Ida die Analyse aus eigenen Stücken beendet, ist nur die logische Konsequenz. Freud hatte bei Ida seine neuen Methoden der Traumdeutung und der Sprechkur angewandt. Doch diese Ida erweist sich als eine Persönlichkeit, die weniger durch Charme als durch ihren eigenen Kopf beeindruckt. Beim Lesen bereitet das großes Vergnügen. Sie widerspricht Freud. Sie antwortet ausweichend auf seine Fragen. Sie testet sogar die Vorhersagbarkeit seiner Konversationsführung.

Katharina Adler

Christoph Adler

Autorin Katharina Adler

98 Jahre liegen zwischen Autorin und Hauptfigur

1882 kommt Ida Bauer zur Welt. Der Vater ist ein erfolgreicher Textilfabrikant, die Familie lebt gutbürgerlich und während der Bruder Idas zunehmend politisch wird, will Ida nicht in die für Frauen offen stehenden Vereine. Sie liebt das Theater und einen Komponisten – Ernst Adler - und beschließt zu heiraten, ohne vorab ihre Eltern zu informieren. Ida raucht, was Herren von Damen nicht gewohnt sind. Die Vorliebe für Zigaretten hat sie sich von ihrem geliebten Bruder abgeschaut, dem späteren Politiker Otto Bauer. Wie er will sie studieren. Dass es Ida zu oft die Stimme verschlägt, sie verstummt und Reizhusten sie quält, das soll sich der Herr Doktor ansehen. Niemand Geringerer als Dr. Sigmund Freud. Zu Silvester 1900 hatte doch noch alles nach einem neuen Jahrhundert, einem Jahrhundert für Ida ausgesehen!

Die Autorin Katharina Adler ist 1980 geboren. 98 Jahre liegen zwischen diesen beiden Geburtsdaten. In diesen Jahrzehnten wird Europa zum Schlachtfeld, der Erste und der Zweite Weltkrieg toben. Das Weltgeschehen tritt im Buch aber erstaunlich in den Hintergrund, das ist das Bedauerliche an diesem Page-Turner. Die Erzählung von Idas Leben spiegelt die Umbrüche allerdings greifbar wider: Allein die damaligen medizinischen Behandlungsmethoden zeugen von unbarmherzigen Zugängen. In den Rachen geschobene Elektroden, angesetzte Schröpfgläser - dann ein bärtiger Unsympathler, der eine junge Frau über Intimstes ausfratschelt und jede Äußerung mit Sexualität in Verbindung setzt. Wehe, die Patientin streicht mit ihren Fingern über das Innenfutter einer neuen Handtasche, während sie auf der Couch liegen muss und sich wie in einem Schraubstock fühlt, obwohl ihr das Dienstmädchen das Mieder möglichst locker geschnürt hatte!

Wie kommt man zurück ins Wien Anfang des 20. Jahrhunderts?

Katharina Adler baut keine Hollywood-Kulissen, sie hat die Wiener Salonkultur ebenso wie das vom Mund abgesparte Mobiliar im US-amerikanischen Exil der Adlers akribisch beschrieben. All diese Details, ob Whiskey-Schwenker oder Gefühlszustände, prägen die Stimmung des Romans wunderbar. „Da war ich auf vielen Ebenen unterwegs“, erzählt Katharina Adler im FM4-Interview von ihrer Arbeit. „Ich bin in Archive gegangen, um Persönliches herauszufinden – wobei da nicht so viel war. Ich habe den kompletten Schnitzler gelesen, Biografien, Erzählungen, Sachbücher, Geschichtsbücher und Theaterstücke. Ich habe mir viele Bilder, historische Fotografien und die Kunst der Zeit angeschaut. All das, um irgendwie die Atmosphäre einzufangen.“

Buchcover "Ida" von Katharina Adler

Rowohlt Verlag

„Ida“ von Katharina Adler ist 2018 bei Rowohlt erschienen.

Sie selbst war 14 oder 15, als sie auf die Geschichte in der Familie aufmerksam wurde. „Das war in einem Gespräch mit meiner Mutter. Sie meinte: ‚Deine Urgroßmutter war ja bei Sigmund Freud als Patientin‘. Wobei es interessant ist, dass es nicht mein Vater erzählt hat, weil eigentlich ist es seine Familienlinie.“ Freud sei ihr damals schon ein Begriff gewesen. „Freud ist ja eine Art Ikone, die mittlerweile in die Popkultur eingegangen ist.“ Sogar Freud-Hausschuhe gibt es inzwischen, weiß Adler. Aber ihre Großmutter wollte sie jenseits von Freud darstellen. „Ich wollte, dass es ihr Buch ist“.

Die notwendige Distanz zu gewinnen, hat allerdings gedauert. "Es hat mehrerer Anläufe bedurft und mehrerer Überlegungen und hat sich auch während des Schreibens noch einmal gewandelt. Der Durchbruch kam, als ich mir Ida am weitesten weg von Freud imaginiert habe: Als alte Frau stand sie mir am nächsten, weil sie da auch mit anderen Figuren agiert, die ich noch kennenlernen durfte. Also mit meinem Großvater und meiner Großmutter“.

Fünf Jahre hat die intensive Beschäftigung mit ihrer Urgroßmutter in Anspruch genommen. Wie sehr hat die Arbeit sich auf ihr Leben ausgewirkt? Hat sie das Leben Idas auch ein bisschen nachgespielt? War sie im Sigmund Freud Museum in der Berggasse, wo sich auch an heißen Sommertagen viele neugierige BesucherInnen aus aller Welt im Eingangsbereich drängen? „Natürlich habe ich versucht, diese Orte zu besuchen. Zum Beispiel die Vegagasse in Wien, wo sie gelebt hat. Auch alle anderen Wohnorte bin ich abgelaufen, die ich aus dem Wohnregister aus dem Archiv in Wien bekommen habe. Ich muss aber sagen: Letztendlich habe ich mir Ida erschrieben. Ich habe schon immer geschaut, gibt es Details, die ich verwenden kann. Aber die Fassade eines Hauses hilft dann doch nicht so viel, eine Figur zu entwickeln. Das ist letztendlich doch ein innerer Prozess.“

Nur zwei Bilder der Urgroßmutter gibt es. Die „Ida“ war auch für die Urenkelin Katharina Adler vor diesem Roman eine abstrakte Figur. "Jetzt ist sie ist viel näher und ich empfinde viel mehr Wärme jetzt für sie, wo ich mit meinen Mitteln ihr Leben und auch die Härte, die sie erleben musste, für mich nachvollzogen habe.“

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