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Bilder aus einem Workshop beim Impulstanzfestival

Emilia Milewska

What the witch?

Popstars schwören auf Kristalle, Online-Hexen wollen Trump verfluchen und junge Feministinnen nehmen sich die Figur der Hexe als Vorbild. Seit einigen Jahren kommt mir dieser Spiritualitätstrend immer wieder unter. Und jetzt auch als Workshop zum Impulstanz-Festival. Ein subjektiver Versuch einer Einordnung.

Von Irmi Wutscher

Schon seit ein paar Jahren fällt mir immer wieder auf, dass in feministischen Zeitschriften auch über Hexerei, Tarotlegen und Voodoo als widerständige Praxis diskutiert wird. 2017 wollten Hexen recht öffentlichkeitswirksam Donald Trump mit einem Fluch belegen, Magazine für junge Frauen wie Dazed Digital legen in Artikeln Tarot, in Online-Magazinen geht die Angst vor einem Sommer mit „mercury in retrograde“ um, wobei Untergangsszenarien heraufbeschworen werden.

“The truth is I am really a witch” Azealia Banks 2015 auf Twitter

Auch popkulturell ist der Hexentrend im Mainstream angekommen: Popstar Azealia Banks ist aber bekannt dafür, dass sie sich gerne auf Twitter mit anderen anlegt. Sie hat im Zuge einer solchen Fehde 2015 getwittert „The truth is, I’m really a witch“. Und damit ist sie nicht allein: Beyoncé zelebriert black girl magic, Katy Perry oder Lena Dunham sind angeblich Fans von Kristallen und Adele habe laut Boulevardzeitungen eine miserable Grammy Show abgeliefert, weil sie ihre Kristalle verloren habe.

Was soll das alles? Und was hat der Trend mit der gegenwärtigen politischen Lage zu tun? Das erkundet der Workshop „Political Witchcraft for the Current Era“ beim Impulstanzfestival. Dort will man mittels Tanz, Tarot und Zauberei „aktivistische Magie“ gegen die gegenwärtigen Zustände finden. Ich hab mir das angesehen, um auf meine vielen Fragen vielleicht Antworten zu bekommen.

Feministische Lesart der Hexe als widerständige Frau

Aber zuerst zu den Basics: Die Hexe als historische aber auch als Märchen-Figur wird in der feministischen Betrachtungsweise gleichgesetzt mit einer widerständigen Frau, die mit ihrer eigenen Form von Wissen, Sexualität und vielleicht auch Heilkunde männliche Autoritäten untergräbt. Und diese Figur hat Feminist_innen aller Zeitalter und Wellen schon immer Identifikationspotenzial gegeben.

Modern witches are fashionable, sexually liberated, young, and often actively engaged in political activism. – Guardian

Die Wiccas und andere neuheidnische Gruppen kennt man eher als weiße New Age-Frauen. Mit der postkolonialen Theorie ist noch eine weitere Dimension der Hexengeschichte dazu gekommen: die neue Spiritualität wird auch als widerständige Praxis gegen eine koloniale Zwangschristianisierung gedacht. Indem Menschen Voodoo praktizieren, holen sie sich die Kultur ihre Vorfahr_innen zurück, die von der weißen, christlichen Kolonialgesellschaft unterdrückt wurde.

”Tell the white media that you’re a voodoo king and you like to drink rooster blood and chew glass. Stop trying to get them to relate. LOL.“
Auch Azealia Banks on Twitter

Umgekehrt passiert in dieser ganzen New Age-, Ritual-Vermischung auch einiges an kultureller Aneignung. Also vermeintlich „urige“ oder „originale“ Rituale, die aus ihren ursprünglichen Kontexten gerissen und weißen Vorstellungen und Ideen angepasst werden – was zu Konflikten führt.

Tarotkarten

CC BY-ND 2.0 Atell Rohlandt via flickr

CC BY ND 2.0 Tarotkarten sind ein beliebtes Hexen-Vehikel

Politische Dimension in der heutigen Zeit

So weit, so unübersichtlich. Was aber heißt das in der Praxis, zum Beispiel in einem Workshop?

Workshopleiter Keith Hennessy geht von der Figur der Hexe aus, als eine Person oder eigentlich Personengruppen, die von dominanten Ideologien oder Moralvorstellungen als das Böse und das Andere identifiziert wurden. „And once we have a political frame of: How was the witch constructed politically over 300 years of torture and murder, then we can start to think about what would be resistant spiritual practice in this current time.”

Der Trend zu Kristallen und Hexenritualen, der vor allem im Internet blüht, könne auch als Gegenentwurf zu supermännlicher Machopolitik von Trump, Putin und anderen Rechtspopulisten verstanden werden, so Keith Hennessy. Das derzeitige New Age-Phänomen, wo man sich Kristall- und Kräuterboxen im Internet bestellen kann, ist so natürlich ein klassischer Trend im Kapitalismus. „But it still has some pockets of curious resistance available in the more feminist inspired witch or pagan world. So how do these practices resonate with dance or artistic practices? And how can we develop some techniques together?”

Bilder aus einem Workshop beim Impulstanzfestival

Emilia Milewska

Keith Hennessys Workshop 2017

Wasserritual und gemeinsames Erleben von Leid

Im Workshop werden politische Rahmenbedingungen diskutiert, aber es geht auch darum, etwas zu tun. Als ich da bin geht es um Totenrituale, die Idee einer Trennlinie zwischen den zwei Welten, aber auch um kulturelle Aneingnung solcher Rituale. Dann bricht der Diskussionszirkel auf, die Teilnehmerinnen sollen sich kleine Rituale mit Wasser überlegen. „We are going to make some kind of ritual, play, action, performance … I don’t know what we are making“, sagt Hennessy in seiner Anleitung. Wenn ich das richtig verstanden habe, sollen sie intuitiv handeln, nicht zu viel überdenken. Es bilden sich kleine Grüppchen. Es gibt zwei Gruppen in denen Personen in Tränen ausbrechen und von den anderen gehalten werden. Einer Person wird Wasser über den Kopf gegossen. Ich folge einer Gruppe zum Pool auf dem Gelände. Sie beschließen eine Person unterzutauchen und ihn beim Wiederauftauchen mit einem Lied zu begrüßen.

Was das alles zu bedeuten hat, kann ich als Außenstehende nicht beurteilen. Es sieht aber friedlich und befreiend aus. Es geht um das vielzitierte Heilen: „We are not doing healing rituals because someone has a broken leg“, sagt Hennessy. „We are working on the emotional level, the psychic level, the intellect. One of the strongest chracteristics of neoliberalism is, that we all individualize our suffering, we don’t politicize it.”

Viele Menschen seien ängstlich, bedrückt oder depressiv. Wir alle haben gelernt, das uns selbst zuzuschreiben und hart an uns zu arbeiten, dass es besser wird. Genau darum geht es bei der Hexerei und dem Ritual nicht. Es geht darum, solche Formen von Leiden öffentlich zu machen, gemeinsam zu erleben, gemeinsam zu verarbeiten. „We don’t do therapy or ritual to heal us, so we can be better producers in capitalism. We do it, so we can be better agents, who do not need authority. That we are creating alternative systems of care is actually a way to think through alternative organizing for alternative economic systems, alternative power systems. So that’s the politics.”

Was bleibt übrig?

Soweit ich das überblicken kann, ohne selbst drin zu stecken, geht es darum, eine gemeinsame Form von Fürsorge zu schaffen, die gleichzeitig die Kraft gibt, im gegenwärtigen politischen System zu existieren, vielleicht sogar dagegen zu kämpfen. Rituale oder sonstige magische Praktiken, die eine_n Dinge erkennen lassen, die das logische Denken (noch) nicht erfassen kann, helfen vielleicht auch weiter.

Today’s witchy sweet spot lies somewhere between the mind-body wellness movement and intersectional feminism. – The Daily Beast

Das neue Hexentum balanciert irgendwo zwischen einem Gefühl der Selbstermächtigung gegenüber der erlebten Ohnmacht in diesem politischen System und dem Wunsch oder dem Bedürfnis, an etwas Größeres zu glauben. Es passt zu Feminismus, Sorge um die Umwelt und linkem politischen Aktivismus (angeblich tendieren Hexen eher nach links) und soll vor allem jungen Frauen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Instinkte geben.

Vielleicht ist es eine Strategie, mit dem gegenwärtigen Wahnsinn umzugehen. Gegenüber Kräuterpaketen aus dem Internet, Gesprächen mit Verstorbenen und Kristallen zum Umhängen bleibe ich allerdings skeptisch.

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