Monster, Mörder und Gemälde

In einer Mischung aus Coming-of-Age Drama, Pulp-Monsterheften und Krimi landet Emil Ferris mit ihrem Erstlingswerk einen optisch ebenso wie inhaltlich vielschichtigen Bestseller.

Von Conny Lee

Chicago in den 1960ern - Karen Reyes ist 10 Jahre alt, lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter und ihrem Bruder zusammen. Sie haben nicht viel Geld, und in Kombination mit ihrer Latino-Herkunft ist sie das Ziel von rassistischer Ausgrenzung und wird von anderen Kindern schikaniert.

Karens Mutter erkrankt, ihre beste Freundin hat sich von ihr abgewandt und obendrein wird ihr langsam bewusst, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. Aus all diesen Umständen flüchtet sich Karen in die Welt von Horror-Filmen und Monster-Romanen. Ihre Gedanken, Wünsche und Ängste zeichnet sie in ihr Tagebuch - und dieses Tagebuch ist gleichzeitig das Comic „Am liebsten mag ich Monster“ (im Original: „My favourite thing is Monsters“). Sich selbst stellt Karen in ihren Zeichnungen als Werwolf-Mädchen dar. Das ist ihre Wunschgestalt, denn dann könnte ihr niemand etwas tun, und sie könnte nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Familie beschützen.

Zu diesem Rahmensetting kommt hinzu, dass eine Nachbarin ums Leben kommt, sie wurde vermutlich ermordet. Karen nimmt sich, inspiriert von Detektivgeschichten, vor, den Fall aufzuklären. Der verwitwete Ehemann der Nachbarin lässt sie Tonbänder anhören, auf denen die verstorbene Nachbarin von ihrer tragischen Lebensgeschichte erzählt. Seit ihrer Kindheit hatte sie nur Misshandlungen, Bedrohungen und Zwangsprostitution erfahren. Auch diese Episoden werden im Comic dargestellt, und die Figur der Nachbarin rückt über lange Strecken in den Mittelpunkt. Und dann sind da noch die Szenen, in denen es um Karens Bruder geht, der sich vor allem für Kunst interessiert und ihr diese Liebe vermittelt, indem er sie regelmäßig mit ins Museum nimmt. Somit nehmen auch klassische Gemälde und Kunstgeschichte ihren Platz in „Am liebsten mag ich Monster“ ein. Wir sehen im Comic die Werke, wie Karen sie abmalt und dabei neu interpretiert.

„Am liebsten mag ich Monster“ ist eine Mischung aus Coming-of-Age Drama, Monster-Pulp und Krimi, gespickt mit Kunstgeschichte und den Covern fiktiver Horror-Comics, alles mit verschiedenfarbigem Kugelschreiber gezeichnet auf liniertes Collegeblock-Papier. Diese Optik ist nicht nur erfrischend anders, sondern vermittelt auch eine Direktheit. Die Striche sind so deutlich und machen einen so spontanen Eindruck, dass wir das Gefühl haben, wir sitzen neben Karen, während sie in ihr Tagebuch kritzelt.

Von der Autorin und Zeichnerin Emil Ferris hatte man vor diesem ihrem Erstlingswerk noch nicht gehört. Ihre Geschichte klingt selbst wie ein ausgeschmücktes Drehbuch: Mit 40 wurde sie durch einen Insektenstich mit dem West-Nil-Virus infiziert und fand sich im Rollstuhl wieder, von der Hüfte abwärts gelähmt, unfähig zu sprechen oder ihre rechte Hand zu benutzen, und das mit einer 6-jährigen Tochter daheim. Emil Ferris kämpfte sich ihren Weg zurück aus dieser Situation, brachte sich das Zeichnen wieder bei und machte einen Abschluss in Creative Writing. Sechs Jahre lang arbeitete sie an dem Comic „My favourite thing is Monsters“.

Dann, zu Halloween 2016, hätte es erscheinen sollen. Aber das Schiff, das die erste 10 000-Stück starke Auflage von Süd Korea in die USA hätte bringen sollen, wurde am Panamakanal beschlagnahmt, weil der Schiffseigentümer schwer verschuldet war. Dadurch wurde die Veröffentlichung weiter verzögert. Aber das Warten hat sich ausgezahlt für Emil Ferris - bei der letzten San Diego Comic Con, wurde „My favourite thing is Monsters“ mit dem Eisner Award ausgezeichnet - der wichtigsten Auszeichnung für Comics - in den Kategorien Best Graphic Album - New, Best Coloring und Best Writer/Artist.

„My favourite thing is Monsters“ ist der erste von zwei Teilen; im Original soll die Fortsetzung im September dieses Jahres erscheinen. Das Comic ist durch den außergewöhnlichen Stil, die vielschichtige Erzählung und die Vermischung diverser Genres eine große, schwere Empfehlung für Comicfans, ebenso wie für Menschen, die bisher noch keine Comicfans sind, es aber werden könnten.