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Buchcover "Du springst, ich falle"

Blumenbar Verlag

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„Du springst, ich falle“

Mit hohem Tempo, französisch kontrolliertem Narrativ und persischer Poesie schreibt Maryam Madjidi einen autobiografisch gefärbten Roman. Literatur über das, was unsere Zeit bestimmt - zerrissene Identitäten und die Suche nach Heimat.

Von Gersin Livia Paya

„Du springst, ich falle“, ist ein Buch, dessen deutscher Titel den Inhalt eindeutig macht. „Du springst“ beschreibt die Mutter, die 1980 aus dem Fenster im zweiten Stock der Medizin-Universität von Teheran springt. Und das „Ich“, das fällt, ist die Erzählerin selbst, noch ungeboren im Bauch der Mutter. Beide überleben den Sprung.

Buchcover "Du springst, ich falle"

Blumenbar Verlag

„Du springst, ich falle“ von Maryam Madjidi ist bei Blumenbar/Aufbau erschienen, übersetzt von Julia Schoch. Eine Leseprobe gibt es hier.

Kurz nach der islamischen Revolution im Iran und dem Ende der pro-westlichen Monarchie des Schahs ist die Autorin Maryam Madjidi in Teheran geboren, in eine Familie, die gegen das Regime protestiert. Ihre Eltern schmuggeln geheime Schriften in ihren Windeln und so wie viele Gegner des strengen Regimes haben auch sie damals in Frankreich Asyl gefunden. Dadurch ist die eigentlich junge Iranerin zur Französin geworden. Heute, mit Ende 30, hat sie ihre bewegende Lebensgeschichte niedergeschrieben. „Du springst, ich falle“ ist ihr stark autobiografisch inspirierter Debütroman, der kürzlich von Julia Schoch ins Deutsche übersetzt wurde.

Der französische Originaltitel „Marx et la poupée“ spricht auch aus ihrer Vergangenheit. Marxs Schriften mussten ebenso wie ihre Puppen vor dem Haus im Garten vergraben werden. Alles musste weg, für ein besseres Leben in Freiheit. Madjidis Eltern wollten leben, doch dafür mussten sie fortgehen, und zwar nach Paris.

„Na los, hol die Bücher, ich grabe das Loch.“ Die Mutter legt Marx, Engels, Lenin, Makarenko, Che Guevara und all die anderen ins Loch. Der Vater schippt feuchte Erde darüber. Die Kleine ist auch da. Sie steht auf der Eingangstreppe vorm Haus und beobachtet die beiden. Bei sich denkt sie, dass der Garten jetzt viele Dinge enthält: ihr Spielzeug, und nun auch die verbotenen Bücher ihres Vaters. Sie hat sich geschworen , zurückzukommen und alles wieder auszugraben, später, wenn sie die Möglichkeit dazu hat.

In Frankreich soll das neue Leben anfangen, die „zweite Geburt“, wie Madjdidi es in ihren Kapiteln betitelt. Die Geburt im Iran, dann die Geburt in Frankreich und schließlich die dritte Geburt bei der Rückkehr in die Heimat Iran - als Europäerin.

An Iranian woman walks past a mural painting illustrating ancient Persian poetry in the Iranian capital Tehran on August 7, 2018

AFP PHOTO / ATTA KENARE

Straßenszene aus dem heutigen Teheran: Eine Frau geht an einem Wandbild einer antiken persischen Dichtung vorbei

Das Leben ohne Gefängnis, ohne Angst und mit Freiheiten im französischen Exil führt bei Madjidi zu einer tiefen Fremde in sich selbst. Sie vergisst gewollt ihre Muttersprache und ihr Vaterland, bis sie älter wird und von ihrem Geburtsland so stark angezogen wird, dass sie zurück muss, in den heute moderneren Iran.

2012 - Teheran - in einem Taxi
„Ja, ich bin Iranerin. Sie merken ja, ich spreche persisch.“
„Aber Sie haben eine Akzent. Einen ausländischen Akzent. Woher kommen sie?“
„Ich bin in Frankreich aufgewachsen.“
„Ah, daher also. In Paris?“
„Ja.“
„Da haben Sie Glück. „
„Ja, aber ganz so leicht war das nun auch nicht. Wissen sie, im Exil…“

Die endlos wirkende Suche nach ihrer Identität und Heimat, die französische abgeklärte Narration und die sinnliche Poesie der persischen Dichterkunst sind das, was das Buch ausmacht. Madjidi wechselt die Erzähler-Perspektiven und beschreibt ihre Erinnerungssplitter mit klarer poetischer Sprache.

Die junge Autorin mit Migrationshintergrund lebt in Paris, arbeitet mehrere Jahre in Peking und Istanbul und ist von mehreren Kulturen, Sprachen und Sichtweisen der Welt geprägt. Ihr Roman ist unkonventionell, ihr Literaturstudium an der Sorbonne hat bestimmt seinen Teil dazu getragen, dass sie viele narrative Erzählformen ausprobiert. Sie vermischt Roman und Autobiografie, Märchen und Phantasie und berichtet als Exilantin. Ihre Geschichte bringt sie mit poetischer Überlegung, stark von persischer Dichtung geprägt, zu Papier.

Madjidi hat in ihrer persönlichen Geschichte den Nerv der Fragen, die unsere Zeit bestimmen, mit viel Gefühl getroffen. Sich in der Welt, in die man geboren wurde, fremd zu fühlen, das Zuhause zu verlieren und rastlos zu suchen, das ist der Kern, den viele Menschen nachvollziehen können, und den Madjidi kraftvoll beschreibt.

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