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Walross

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Das Müll-Walross

Seitdem ich Möbel-Kartons in die Papiertonne geschmissen habe, verfolgt mich ein Herr mit Schnauzer, der genau studiert, was ich wegwerfe.

Von Todor Ovtcharov

Ich hasse es, Möbel zusammenzubauen. Manche Leute haben aber Spaß dabei. Wie Kinder, die mit LEGO spielen. Meine LEGO-Kreationen waren aber schon immer potthässlich: Wenn ich einen Reiter zusammenbauen sollte, sah er oft aus, wie eine Mischung aus einem Kentauren und R2D2.

Dieses Mal aber war ich beim Möbelbauen sehr sorgfältig. Außer, als ich bei Schritt 17 erfuhr, dass ich bei Schritt 5 einen Fehler gemacht hatte und eine Schublade nicht ganz reinpasste, gab es keine gröberen Pannen. Ich stand vor meinem neuen Bett wie Michelangelo vor seinem David. Ich betrachtete es mit Ehrfurcht, so, als hätte ich eine Pyramide gebaut.

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Alle Möbelteile waren in Kartons verpackt. Ich sammelte die Kartons, zerkleinerte sie und trug sie zur Papiertonne. Als ich ein zweites Mal mit noch mehr Kartons kam, wartete dort ein Onkel mit einem Schnauzer. Ein älterer Herr mit dem Aussehen eines Walrosses. Als er mich sah, fing er an zu knurren. Er war entsetzt, dass ich so viele Kartons in die Tonne werfe, die das ganze Haus benutzt. Er brauche auch Platz, für seine Zeitungen. Ich lächelte und sagte, dass morgen die Müllabfuhr komme. Danach könne er die ganze Presse der Welt in die Tonne schmeißen. Seine nächsten Worte kamen unerwartet: Alle Ausländer machen Müll. Sie kommen nach Österreich, nur um Müll zu machen. Seitdem ich in Wien lebe, habe ich nicht gemerkt, dass ich mehr Müll als die anderen produziere. Das Walross machte weiter: Er lebe seit mehr als 25 Jahre in diesem Haus und das gebe ihm mehr Rechte als uns, die wir gerade eingezogen sind. Ich sagte gar nichts. Mein Schweigen wertete er als Schuldeingeständnis.

Seitdem glaube ich, dass mich der Herr mit dem Schnauzer verfolgt. Eines Tages sah ich, wie er in meinem Müll herumwühlte, um nachzuschauen, was ich wegschmeiße. Er sah sich ein paar Knochen an: “Ha, die dreckigen Ausländer essen Steaks! Unverschämt!”, sagte er. Seitdem habe ich vor, das nächste Mal die Knochen von den Steaks mitzuessen, damit alle Beweise, was ich esse, verschwinden.

Warum studiert mich dieser Mann wohl? Ich fühle mich wie in dieser Bulgarischen Anekdote: Man erzählt sich, dass der französische Geheimdienst Brezhnevs Scheiße gestohlen haben soll, um seinen Gesundheitszustand zu überprüfen. Vielleicht will der Onkel mit dem Schnauzer überprüfen, ob wir Ausländer Krankheiten nach Wien bringen?

Eigentlich ist der Mann mit dem Schnurrbart gar kein Wiener. Er ist vor 35 Jahren aus irgendeinem Kaff hierhergezogen. Ich weiß das, weil ich mitangehört habe, wie er sich mit einer Nachbarin unterhalten hat. “Fahren sie oft zu ihrem Geburtsort, Herr X?”, fragte sie. “Nein, dort passiert nichts. Leider gibt es hier aber Ausländer…” Danach machte ich mein Fenster zu. Denn es ist nicht nett, fremde Gespräche zu belauschen.

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