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Titanic

20th Century Fox

Mehr Tiefgang als erwartet

Ich gestehe, ich habe Titanic nie gesehen aber trotzdem immer drüber gelästert. Mein erstes Mal Titanic: Die Geschichte einer späten Einsicht.

Von Daniel Grabner

Ja, ich weiß: Wie kann es sein, dass man DEN einen Film nie gesehen hat, den Film, der über 10 Jahre lang als der erfolgreichste Film aller Zeiten gegolten hat, der 11 Oskars gewonnen und 1,8 Milliarden Dollar eingespielt hat. Naja, immerhin hab ich Avatar gesehen, den Film, der den Box Office Rekord von Titanic 12 Jahre später gebrochen hat. Der ist übrigens auch von James Cameron.

Ich glaub, dass es Verweigerung war, weil ihn damals in der Schule schon alle extrem super fanden, und ich immer schon eine unweigerliche Skepsis gegenüber Dingen hatte, die alle extrem super finden. Da wollte ich einfach nicht mitmachen.

Aber natürlich hab ich alle anderen Filme mit Leonardo Dicaprio und Kate Winslet gesehen. The Beach zum Beispiel, Die Vorleserin, The Departed, Romeo and Juliet, Eternal Sunshine Of The Spotless Mind - der beste Film mit Kate Winselt, wenn ihr mich fragt, und mit Jim Carry in seinen wenigen ernsten Rollen.

Aufgeblasener Hollywood Kitsch?

Aber zurück zu Titanic: Ohne ihn gesehen zu haben, war für mich Titanic bisher einfach nur aufgeblasener Hollywoodkitsch. Und klar, die Handlung hab ich natürlich ungefähr gekannt: Ein unrealistisch gut aussehender Junge aus der Arbeiterklasse verliebt sich in die ebenfalls gut aussehende Rothaarige aus der Upperclass. Sie lieben sich auf einem Schiff, das angeblich nicht sinken kann. Das Schiff sinkt, der Junge stirbt, Celine Dion singt, und man muss weinen. Jetzt, wo ich den Film gesehen habe, kann ich sagen: Ja, so ungefähr läuft das auch.

Überrascht war ich dann trotzdem wie unendlich lang dieser Film ist. 3 Stunden und 14 Minuten. Sogar mit einem mittelmäßig schnellen Lieferservice kann man sich in der Zeit sogar zwei Mal Pizza bestellen. Und als Serien verwöhnter Mensch, fällt es einem schwer, diese Länge am Stück durchzuhalten. Als das Schiff endlich den Eisberg rammt, hab ich schon gefühlte 20 Mal aufs Handy geschaut, und als ich draufkomme, dass noch immer über eine Stunde Film vor mir liegt, gehe ich dann doch kurz zwischendurch einen Kaffee trinken.

Es ist eine Aufgabe sich Titanic anzuschauen. Gerade im letzten Drittel, nachdem die Titanik den Eisberg gerammt hat, sinkt das Schiff sehr, sehr lang - gefühlt in Echtzeit.

Stark übertriebenes Transpirieren beim Sex

Und dann sind da noch die kitschigen Dialoge zwischen Jack und Rose. Das berühmte „I’m flying!“ von Rose am Bug des Schiffes, oder der Dialog im Lagerraum als Jack Rose spielerisch fragt, wohin er sie mit dem dort abgestellten Wagen bringen soll, und Rose verträumt antwortet: „To the stars!“. In solchen Momenten muss man schon sehr stark sein.

Im kalten Lagerraum des Schiffes, das im Frühling über den rauen Atlantik unterwegs ist, haben die beiden dann auch Sex auf der Rückbank des Autos. Nicht nur, dass die Scheiben des Wagens beschlagen, nein: nach dem pietätsvollen und berühmten Cut, in dem die Hand von Rose an die beschlagene Scheibe des Autos klatscht, sieht man die beiden nach dem Sex noch nackt aufeinander liegen. Klitschnass, schweißgebadet, im kalten Lagerraum, während draußen Eisberge vorbeischwimmen? Come on!

Aber irgendwann akzeptiere ich den ganzen Kitsch, die bis zum Anschlag überzeichneten Szenen und die Überlänge, etwas in mir gibt auf, und das Ganze catcht mich dann doch irgendwie. Fassungslos schaue ich die Szenen, in denen um die Rettungsboote gekämpft wird, ich lache, als Rose die Augen schließt, während sie mit einer Axt Jacks Handschellen zerschlägt, und ich bin ehrlich überrascht und sogar gerührt, als sie im letzten Moment vom Rettungsboot zurück auf die sinkende Titanic klettert. Die irische Flötenmusik und das Synthie-Chor Thema, das immer wieder kommt, nerven nicht mehr, sondern unterstützen meine emotionale Aufgewühltheit beim Zuschauen. Und genau wie unzähliger Menschen vor 20 Jahren frage ich mich, warum Jack nicht ebenfalls auf der im Wasser schwimmenden Tür Platz haben soll. Zwischen durch ertappe ich mich dabei, wie ich immer wieder gerührt aufseufze. Well done, James.

Sogar die Myth-Busters haben sich mit der „Tür-Problematik“ in Titanic beschäftigt. James Cameron widerspricht ihnen.

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Okay: Titanic ist ein Stück kantenlose Hollywoodperfektion. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund dafür, dass man – abgesehen von den Klassikern - nur eine Handvoll Memes oder Gifs zu Titanic findet. Es gibt einfach kaum Angriffspunkte! Und es erzählt die schon sehr gute Geschichte vom Versuch zweier Liebenden Klassenunterschiede zu überwinden, von der Emanzipation einer jungen Frau, die in patriarchalen Machtstrukturen gefangen ist. Von der kalten Unbarmherzigkeit des Kapitalismus: Die dritte Klasse wird im Bauch des Schiffes festgehalten, bis die oberen Klassen in den Rettungsbooten sind.

Diese Motive in Verbindung mit dem historischen Setting, mit dieser unglaublichen Katastrophe, machen den Film zu einem behäbigen aber super eindrücklichen Epos. Dicker auftragen und mehr Vorschlaghammermoral geht nicht. Und ja, ich geb’s zu: Geschichten von Liebe gegen widrige Umstände, haben mich immer schon gekriegt. Es ist nicht einfach sich das Ding anzusehen, aber macht man es nicht, hat man auf jeden Fall was verpasst.

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