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Die Musikerin Mitski

©Bao Ngo

„More than just distorted guitar“

Auf ihrem neuen Album „Be The Cowboy“ kehrt die Musikerin Mitski zu ihrem Ursprungsinstrument zurück - dem Piano.

von Christian Pausch

An dem Vormittag im Juli, an dem ich auf einen Anruf aus London warte, läuft im Fernsehen „BBCs Blue Planet“, die berühmte Naturdokumentation. Das Herz eines Blauwales sei so groß wie ein Auto, erklärt der Forscher Sir David Attenborough da, und durch die Venen des Wals könnte ein erwachsener Mensch hindurchschwimmen.

Als das Telefon dann klingelt und sich die amerikanische Musikerin Mitski am anderen Ende meldet, bin ich noch so geplättet von der unglaublichen Größe der Blauwale, dass ich es sofort mit Mitski besprechen muss. „No, really?“, sagt Mitski noch erstaunter als ich, „How big is a blue whale!? That’s just like being told that space is infinite. I can’t imagine it.“

Wachmaschinen-Herz

Auf Mitskis neuem Album „Be The Cowboy“ befindet sich ein Song mit dem schönen Titel „Washing Machine Heart“, aber als sie den geschrieben hat, da wusste sie das von den Blauwalen noch nicht, sagt sie. Und auch um die Größe des Herzens ging es ihr nicht: „When you toss shoes in a moving washing machine it goes dudumdudumdudum - it just makes a huge ruckus and I like the idea that someone throws something into your heart.“

Das Herz auf Mitskis fünftem Studioalbum geht uns tatsächlich über vor Schmutzwäsche, beziehungsweise Schmerz und Einsamkeit. Kaum jemand in der Indie-Welt ist derzeit so gut darin, Gefühle in Worte zu packen wie die 27-jährige Songwriterin mit japanischen Wurzeln. Schon zu ihrer ersten Single „Geyser“, die im Mai veröffentlicht wurde, sagt sie: „This song is all feeling.“ Die Erzählstruktur, die ihren Songs sonst inne wohnt, fehlt hier komplett, es bleiben nur vage Anwandlungen von Gefühlen zurück.

„I can’t be without you“, singt sie, alles soll so bleiben wie es ist, wäre da nicht auch noch der Geysir der in ihr brodelt: „Feel it bubbling from below, hear it call, hear it call, hear it call to me.“ Manchmal muss man Gefühle unterdrücken, um eine Beziehung zu retten. Ist es Mitski selbst, die uns hier ihre Welt öffnet? „It’s just one exaggerated part of me. I identify with this character and she comes from me, but I don’t walk around being her all the time“, erklärt sie mir am Telefon.

Albumcover Mitski "Be The"Cowboy"

Dead Oceans

Mitski „Be The Cowboy“ ist auf Dead Oceans erschienen und beinhaltet vierzehn Tracks.

In die verschiedensten Figuren zu schlüpfen und sich in sie hineinzudenken, falle ihr auch deshalb so leicht, weil all diese Figuren zu einem gewissen Teil eben doch sie selbst seien. Im Song „Me And My Husband“ ist das vielleicht am schönsten zu sehen: „That song is essentially about being in a committed relationship for a long time. There’s no passion anymore, there’s no romance anymore and you’ve decided this life for yourself.“ Diese Idee, sei sie auch noch so fern vom eigenen Lebensweg, ist etwas in das wir uns alle hineinfühlen können. Es ist Mitskis große Gabe diesem traurigen Song eine gewisse Fröhlichkeit und auch Witz zu verleihen:

And at least in this lifetime
We’re sticking together
Me and my husband
We’re sticking together
Me and my husband
We are doing better

Zurück zum Klavier

Der Witz und die Fröhlichkeit auf „Be The Cowboy“ erschließt sich vor allem auch auf instrumentaler Ebene. Mitski, deren letzte Alben von Gitarrensounds gelebt haben, kehrt auf ihrem fünften Album zurück zu ihren Anfängen und setzt sich wieder ans Piano. Das Klavier war nämlich auch das Hauptinstrument auf ihren beiden ersten Alben „Lush“ (2013) und „Retired from Sad, New Career in Business“ (2013). „It was like going back to an old friend. I wanted to make sure that people knew, I was more than just distorted guitar.“

Dass die Texte weiterhin komplex und traurig sein können, obwohl der Sound teilweise tanzbar und uplifting ist, beweist sie am ganzen Album, am eindrucksvollsten aber in der zweiten offiziellen Single „Nobody“. Der fast schon Disco-Song animiert zum Feiern, hat aber Einsamkeit als Thema: „There’s a sort of loneliness that you can’t do anything about and all you can do is go out and dance about it.“

And I don’t want your pity
I just want somebody near me
Guess I’m a coward
I just want to feel alright

Weibliche Perspektive

„I don’t think the protagonist or the person singing is being the cowboy, she is trying to get to that ideal, but not quite there yet.“ Der Cowboy als selbstständiger Mensch, unabhängig von allen anderen. Für Mitski ist das ein feministischer Gedanke, den sie uns auf „Be The Cowboy“ vermitteln möchte. Dass dieser Cowboy auch Einsamkeit und Einsiedlerdasein mittransportiert, passt gut in Mitskis Themenkatalog.

Mitskis Musik hat etwas sehr Eindringliches, etwas zugleich Zerbrechliches und Starkes, etwas Aufbauendes und gleichzeitig zutiefst Trauriges. Dass sie ganz nebenbei auch noch mit rassistischen Klischees über asiatische Frauen aufräumt und als selbstbestimmte Künstlerin auch dem Sexismus den Kampf ansagt, wird in Zusammenhang mit ihrer Musik selten erwähnt, ist aber ein großer Bestandteil ihres Schaffens. Representation matters!

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