Ein guter Tag für die Gitarre
Von Lisa Schneider
Schwitzt du noch oder duschst du schon (wieder)? Die Frage, die man sich im Normallfall zu aktuell gegebenen Temperaturen weit jenseits der 30 Grad-Marke stellen mag, aber nicht hier, im Greenpark St. Pölten. Der Alltag ist ausgehebelt, dann sitzt eben die Boxershort am Kopf, und statt einem T-Shirt gibt’s ja noch die guten alten Filzstiftverzierungen. Es ist doch die Oase Narrenfreiheit, keine Zeit zu raunzen, sie fehlt dann beim Feiern.
Hitze, Banane, Pfefferminzschnaps
Unglaublich trotzdem, wieviele Fans die deutsche Punkrockband Feine Sahne Fischfilet aus ihren Zelten lockt, mit ihnen in der sengenden Nachmittagssonne zu tanzen. „Vor zehn Minuten stand hier noch niemand, man kann’s verstehen“ schreit Monchi, der wahrscheinlich charismatischste Frontmann dieses Konzertabends. Es ist er, der auf Instagram vorwiegend seinen Hang zur Freikörperkultur auslebt; man darf davon ausgehen, dass der überdimensionierte Hintern, der uns da als Bühnendeko hinter der Band entgegengrinst, der seinige ist.
Alltagsrevolte, politische Statements und der gute, blöde Spaß: Wozu auch wurden sonst riesige, aufblasbare Bananen erfunden, auf denen dann nicht die Band, sondern das Publikum über den Köpfen dahinreitet. Oder wofür gäbe es ein übergroßes Fass an „Pfeffi“, Schnaps für alle. Punkrock als das gutgewählte Genre, den Zorn nach außen zu bringen, und dabei die Priorität Unterhaltung nicht vergisst. Eine Gratwanderung zwischen quietschendem Blödeln und raising awareness, gegen das Ertrinken im Mittelmeer, gegen Horst Seehofer oder auch gegen Sebastian Kurz; eine große Feier der Menschenliebe und der Brass-Elemente. Auch nicht unwesentlich: Es wurde Eis verteilt.
.@feinesahne holen den Eisverkäufer auf die Bühne, kaufen ihm die ganze Truhe ab und verteilen das Eis in die Menge "Und du machst heute frei" <3 Beste Aktion gegen die Hitze am @frequency_at #FQ18
— Radio FM4 (@radiofm4) 18. August 2018
Isländischer New Wave, Punkrock aus Manchester
Als kleiner Geheimtipp hat sich als Location auch heuer am FM4 Frequency Festival die Weekender Stage gemausert; ich frage mich, wieso hier nicht mehr Menschen Unterschlupf suchen: Es ist kühl, es ist nicht voll, und es kann gut sein, dass man dort die besten Bands des Festivals sieht. So stolpern die meisten leider aber auch gestern am Eingang vorbei, und mit etwa 15 anderen ZuhörerInnen ist es gemütlich da drinnen, in der Festivalhöhle.
Wo man fast kurz den grellen Blödsinn ausblenden kann und sich vorstellen will, man steht in einem britischen Underground-Club. Genau da hätte man nämlich auch gute Chancen, die sehr gute Band Fufanu zu sehen. Die kommt zwar eigentlich aus Island, schließt man aber kurz die Augen und hört nur hin, wird man nicht umhinkommen, an die große britische New-Wave-Ära zu denken.
Anders ist aber bei Fufanu, dass die Band zuerst als Duo, und zwar als Techno/Elektro-Duo begonnen hat; das Dringliche, Treibende, den Schweiß haben sie aus dieser Welt mitgenommen. Dunkelheit und Dystopie, trabender Drumbeat. Fufanu machen die Weekenderstage zur dunklen New-Wave-Disko, die Songs sind direkt und roh, und schon auch mal nur ein Zusammenspiel aus Drums und Stimme. Monoton intoniert, auf Genre und Thema abgestimmt: Es sind die ewigen Selbstzweifel, Wut, Entmachtung, Haareraufen. Wir sind jung, aber wir werden die Welt auch nicht mehr ändern. Und irgendwo tönt ein gemütlicher Synthesizer, er sagt, wenn die Liebe uns nicht rettet, dann auch nicht die Musik. So viel Zynismus kann nur gut sein.
Die Saiten werden gleich dort, auf der Weekender Stage, an Cabbage weitergereicht, eine Band aus Manchester, die man früher wohl als „Indierock“ bezeichnet hätte, die man in der jetzigen -Ismen und -Postwelt aber besser Neo-Punkrock nennt. Eine Band, gelobt von der englischen Musikpresse, möglich wär’s ja, Manchester hat wahrscheinlich die meisten britischen Superstars hervorgebracht.
Auch Cabbage jedenfalls spielen gestern vor einer Handvoll Menschen, Österreich liebt diesbezüglich bekanntlich ja die Nachreiterstellung. Laut und verschroben ist das Set, Rotz und Schweiß und erhobene Hände, Sonnenbrille, Fußgestampfe, Gitarrensoli. Jugendliche Rebellion, Dada-Text, Strom, und außerdem ist es immer sehr gut, wenn der Bass eine ganz eigene Melodie zupft. Strengt man sich an, hört man Popmelodien aus diesem herrlichen, zusammengeschrammelten Lärm heraus. Muss man aber nicht.
Während die Sonne schon gnädig tief steht, spielt draußen, auf der Space Stage das kanadische Rockduo Death From Above, manchen vielleicht auch noch bekannt mit Namensanhängsel „1979“. Kurzes Intermezzo: die Jahreszahl ist weg, die Innovation auch; ein beliebiges Drum-Gitarren-Rockduo mehr für die Welt, Riffs zwischen Wolfmother und Queens Of The Stone Age, leider nie so ausgefuchst wie Josh Homme zu besten Zeiten. Gelangweilte Bühnenansagen über die Grausigkeit des hiesigen Flusses und natürlich auch der Menschen, die darin baden, machen die Entscheidung einfach: dann doch lieber an einer der Karaokebühnen vorbei zurückspazieren zur Green Stage.
Sich kurz beschallen lassen vom dreistückigen Repertoire der dortigen Wunderkiste, und die von Death From Above über die Fläche gedroschene Leere gegen einen kleinen Nostalgiemoment tauschen: Es muss natürlich ein lautes, falsches „By The Way“, „Seven Nation Army“, „Wonderwall“ sein. Der Horror und die klebrige Essenz jedes österreichischen Festivals.
Aus der britischen Gitarrenschule
Mit einer sehr guten, sehr britischen Band geht es auf der Greenstage an diesem frühen Abend weiter, The Vaccines sind da und haben ihr Anfang des Jahres veröffentlichtes Album „Combat Sports“ dabei. Das Cover, auf dem der Oberkörper eines jungen Mannes in Baseballshirt und Lederjacke zu sehen ist, erinnert stilistisch an Libertines’ „Up The Bracket“, und es ist genau diese Nostalgie, die heranschwappt, während man da gestern vor der Bühne steht. Das ist schon ganz die Schule Maximo Park, Arctic Monkeys, The Kooks, die 2000er-Gitarrenbands, die sich aktuell so abstrampeln wie niemand sonst im Musikzirkus, ihre Berechtigung zu zementieren, ihre jungen HörerInnen nicht ganz an den Hiphop zu verlieren. Wärme kommt diesmal nicht von der Sonne, sondern von der Bühne, es fühlt sich so an wie das FM4 Frequency noch vor sechs oder auch vor zehn Jahren, mit Headlinern wie Babyshambles oder The Killers.
„Hi, my name is Taylor Swift“
Weil wir aber im Jahr 2018 angekommen sind, werden nach The Vaccines nicht genregerecht The Kooks gebucht, sondern Left Boy. Der österreichische Rapper, der lieber Englisch, aber manchmal doch schon auch Deutsch spricht, plant in seinem ohnehin begrenzten Festivalslot gleich mal zwei Support-Acts für sich ein. Das allein ist Statement genug, aber auch die Show ist nennenswert. Nennenswert skurril und trashig, wenn da plötzlich die Backstreet Boys aus den Boxen gröhlen, später auch noch Lana Del Rey, der Soundtrack zum Film „Fluch der Karibik“ oder ähnliches mehr. Songs, die in den Neunziger Jahren auf einer Poolparty in Beverly Hills hätten laufen können, wo sich zu reiche Kids damit rühmen, wie elaboriert ihr HipHop-Geschmack ist.
Im Crossover-Mashup liegt aber gleichzeitig der Festivalspaß, frei nach dem ewigen Motto „Es ist für alle was dabei“. Der dumpfe Bass, das billige Achtziger-Jahre Gitarrenriff vom Band, eine bunte Quatschwundertüte aus Ass, Titties, doofen Einwort-Visuals und der totalen Moshpit-Eskalation. Man fühlt sich unterhalten.
Auch fabelhaft unnachvollziehbar gebucht spielen The Kooks nach Left Boy. Sie fangen da an, wo eigentlich The Vaccines aufhören, und ohne dem Dilemma der britischen Gitarrenmusik erneut nachzugehen muss man sagen: The Kooks sind auch mit ihren ersten Hits, teils sehr guten Songs, schlecht gealtert; ein bisschen fad, ein bisschen lasch ist die Show, kein Saft, schon gar kein Salz oder Pfeffer. Es ist auch viel zu leise. Das neue Album „Let’s Go Sunshine“, es erscheint Ende August, lässt hoffen, dass der Inhalt nicht so belanglos ist wie der Titel - oder die ersten beiden veröffentlichten Singles.
Wie Genre-Crossover funktionieren kann
Den letzten großen Slot, bevor es auch auf der Space Stage hinausgeht in die Nacht der elektronischen Klangliebhaberei, spielt Casper. Das Album „Lang lebe der Tod“, das ihn wohl einige Nerven gekostet hat, ist mittlerweile fast ein Jahr alt. Lange ist nämlich der Release verschoben worden, vielleicht wurden auch die Fans zu lange auf die Probe gestellt, die Stadthallenshow in Wien etwa war dann nämlich alles andere als ausverkauft.
Bei dieser Stadienshow war alles streng choreographiert und geplant, die riesige Hebebühne, die Lichter, und er, Casper, als die Schattengestalt vor weißem Grund. Gestern hat Casper dieses straffe Korsett aufgelockert, es gibt wieder eine üppig besetzte Band zu sehen, dazu nicht einen, sondern zwei Gitarristen, und auch sonst alles an Instrumentierung, was man für den druckvollen Hiphop/Metal-Crossover so braucht. Casper hat dem Crossover den Trashfaktor genommen, das ist ihm hoch anzurechnen; bei ihm wirkt das Heavy-Metal-Gitarrenriff nicht aus der Zeit gefallen, sondern wie die logische Konsequenz.
Casper läuft von einer Bühnenseite zur anderen, niemals Stillstand, eher plötzlich in der Mitte des Publikums auftauchen, dort weiterrappen. Atemlos ist man beim reinen Zusehen, vielleicht wirkt das dann auch nach zu viel gewollt; gelöst, entspannt und sichtlich gerührt ist Casper erst am Ende des Sets, er zückt die Kappe und wischt eine kleine Träne weg, als die Chöre zu „Hinterland“ ganz am Ende gar nicht mehr versiegen wollen. „Vor fünf, sechs Jahren haben wir noch kleine Clubshows gespielt und jetzt das hier. Es ist unglaublich, ich danke euch.“ Versöhnt mit dem Festival, einmal mehr, Tag drei, es war die Strapaze wieder wert.
Publiziert am 19.08.2018